Die Kino-Kritiker

«Under the Silver Lake» - Verschwörungsschnitzeljagd durch L.A.

von   |  3 Kommentare

Mit «It Follows» rüttelte David Robert Mitchell vor drei Jahren das Horrorgenre durch. Nun begibt er sich mit «Under the Silver Lake» auf die Spuren von David Lynch und beweist, dass man auch heute noch eine ähnliche Stimmung kreieren kann, wie der Meister einst mit «Mulholland Drive».

Filmfacts: «Under the Silver Lake»

  • Start: 6. Dezember 2018
  • Genre: Crime/Mystery
  • Laufzeit: 92 Min.
  • FSK: 16
  • Kamera: Mike Gioulakis
  • Musik: Rich Vreeland
  • Buch & Regie: David Robert Mitchell
  • Darsteller: Andrew Garfield, Riley Keough, Topher Grace, Riki Lindhome, Jeannine Cota, Chris Gann, Jessica Makinson
  • OT: Under the Silver Lake (USA 2018)
One-Hit-Wonder oder Dauerbrenner – diese Frage beantwortet in der Regel das Zweitwerk eines jeden Regisseurs, wenn dieser das Glück hatte, mit seinem Debüt direkt einen Volltreffer gelandet zu haben. Bei David Robert Mitchell ist das ein wenig anders: Sein Horrorliebling «It Follows» war nicht etwa sein erster Film, sondern nach «The Myth of the American Sleepover» bereits sein zweiter. Trotzdem lief das Teenagerdrama so fernab der öffentlichen Wahrnehmung, dass Mitchell für «It Follows» wie ein Newcomer behandelt wurde. Auf der surrealistischen Krimi-Schnitzeljagd von Ex-Spider-Man Andrew Garfield hafteten letztlich also ähnliche Erwartungen: Würde der gebürtig aus Michigan stammende Filmemacher seinen Ruf des gleichermaßen unkonventionellen wie brillanten Horror-Inszenators auch ein zweites Mal bestätigen können?

Die Antwort auf diese Frage lautet: Nein, denn «Under The Silver Lake» ist kein Horrorfilm. Stattdessen tobt sich Mitchell diesmal auf ganz anderer Ebene aus, auch wenn er dem Genre treu bleibt. Auf dem Filmfestival von Cannes erntete er dafür nur verhaltene Reaktionen. Eines der Kernargumente dafür, dass sich der Autorenfilmer diesmal verhoben haben soll: Sein Film ist trotz der üppigen Laufzeit von 139 Minuten schlicht und einfach zu voll. Das stimmt, doch genau das macht den Reiz des Projektes aus.

Hollywood, Los Angeles.


Obwohl die Miete für sein Apartment überfällig ist, hegt Sam (Andrew Garfield) keinerlei Ambitionen, einen Job zu finden. Lieber hängt er auf seinem Balkon herum, liest Comics und beobachtet die Nachbarinnen durchs Fernglas. Als ihn die umwerfend schöne Sarah eines Abends zu sich einlädt, kann er sein Glück kaum fassen. Doch am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden. Sam wittert eine globale Verschwörung, die Millionäre, Celebrities, Hundemörder und urbane Mythen involviert. Seine Suche nach Sarah mutiert zur rauschhaften Odyssee durch den undurchsichtigen Dschungel der Großstadt.

Mit rund vier Millionen Einwohnern ist Los Angeles nicht nur eine der größten Metropolen der USA, sicher auch aufgrund ihrer Nähe zur Traumfabrik Hollywood ranken sich außerdem zahlreiche Mythen und urbane Legenden um die „Stadt der Engel“. Dass David Robert Mitchell nun zumindest einen Teil von ihnen in seinem irren Genremix «Under The Silver Lake» aufgreift, wird zumindest einer Sache schon mal gerecht: der Stadt selbst. Insofern ist es fast schon ein Muss, dass man hier bisweilen gar nicht mehr weiß, worum es im Kern der Geschichte eigentlich gehen soll. Die einzige Konstante ist Hauptfigur Sam; Und der entdeckt mindestens ebenso planlos das Faszinosum L.A., wie der Zuschauer. Dabei macht es einem Mitchell zu Beginn gar nicht mal so leicht, mit diesem Zeitgenossen zu sympathisieren. Sam lebt in den Tag hinein. Anstatt sich endlich darum zu kümmern, Geld für die längst überfällige Miete seiner Wohnung aufzutreiben, verbringt er den Tag lieber damit, von seiner im Halbdunkeln gelegenen Terrasse die knapp bekleideten Bikini-Mädels aus der Nachbarschaft zu begaffen – natürlich ganz stilecht mit Fernglas!

Regelmäßig legt er Frauen flach, sein Herz hängt er nicht an sie. Er hat eine gute Freundin, doch auch mit der unterhält er sich lieber über Banalitäten, anstatt sich mit dem Ernst des Lebens auseinanderzusetzen. Als er sich in seine schöne Nachbarin verliebt, die nach einem gemeinsamen Abend einfach verschwindet, stürzt sich Sam in eine wilde, von Verschwörungstheorien angetriebene Jagd durch Los Angeles – und je mehr sich die Theorien in Widersprüche verstricken und Sam dadurch an den Rand des Wahnsinns treiben, desto unterhaltsamer wird es für den Zuschauer; auch weil es dieser Sam schon ein wenig verdient hat, derart am Rad zu drehen.

Andrew Garfield erforscht die urbanen Legenden L.A.s


Dass sich Sam seinen kruden Theorien mit der Zeit immer mehr hingibt, ist im Anbetracht dessen, was David Robert Mitchell für seinen Protagonisten bereithält, auch gar nicht verwunderlich. Eine nackte Frau mit Eulenmaske bricht nachts bei fremden Menschen ein, für die diese Begegnung die letzte in ihrem Leben sein wird. Eine geheimnisumwitterte Rockband namens „Jesus & The Brides of Dracula“ (!) versteckt angeblich Botschaften in ihren Songs, die man nur entschlüsseln kann, wenn man ihre Platten rückwärts abspielt. Hinzu kommen ein irrer Hundekiller, der des Nachts die Straßen unsicher macht, Schatzkarten in Cornflakes-Packungen, die auch viele Jahre nach dem Verfallsdatum immer noch zu einem echten Schatz führen sollen und jede Menge Symbole, Zahlen und skurrile Menschen, auf denen Sam während seiner Streifzüge trifft.

Vieles davon ist nicht neu. Die Legende von in Liedern versteckten Hidden Messages ist genauso bekannt wie die Verschwörungstheorie, dass die Oberen Zehntausend unserer Gesellschaft viel mehr wissen, als das gemeine Volk. Aus dieser geballten Ansammlung hingegen, bei der auch schon mal verschiedene Theorien gebündelt zu einer noch viel größeren Idee werden können, ergibt sich für den Zuschauer ein raffiniertes Kaleidoskop des Unwissens, das einen – zumindest für die hier und da ein wenig ausufernd geratene, zweieinviertelstündige Lauflänge des Films – voll und ganz in Beschlag nimmt, bis man irgendwann selbst zu glauben beginnt, dass dieser Sam vielleicht gar nicht so Unrecht hat.

Unterstützt wird das Ganze von einer packenden Regieführung, in deren Dienst sich Kameramann Mike Gioulakis und Komponist Rich Vreeland (die beiden unterstützten Mitchell bereits bei «It Follows») voll und ganz stellen und mithilfe ihrer Bilder und Klänge das surrealistische Feeling von «Under The Silver Lake» noch einmal verstärken. Doch ohne Andrew Garfields herrlich entrücktes (und gerade dadurch auch immer wieder zum Brüllen komisches) Schauspiel würde «Under The Silver Lake» nur halb so gut funktionieren. Der sich in Filmen wie «Hacksaw Ridge», «Silence» und «Solange ich atme» jeweils von einer komplett anderen Seite zeigende Mime präsentiert hier Facetten seines darstellerischen Könnens, die von seinem ehemaligen Image des Teeniestars nicht weiter entfernt sein könnten. Neben ihm zeigen sich Stars wie Riley Keough («The House That Jack Built») und Callie Hernandez («Alien: Covenant») vor allem von ihrer undurchsichtigen Seite. In «Under The Silver Lake» sollte man erst einmal Niemandem trauen.

Das gilt auch für die von Popkulturreferenzen nur so übersäte Handlung, denn auch, wenn diese jederzeit im Hier und Jetzt verwurzelt scheint, zieht David Robert Mitchell die surrealistische Spannungsschraube mithilfe von Traumsequenzen und Wahnvorstellungen so weit an, dass die Geschichte inszenatorisch (und auch erzählerisch?) mehr und mehr von der Realität abrückt. Schade ist einzig und allein, dass sich die Macher hintenraus dazu entscheiden, die Ereignisse aufzuklären. Es bleiben schlussendlich zwar immer noch genug Fragen offen, an denen man sich interpretationstechnisch ordentlich austoben kann (Was hat eigentlich der Papagei die ganze Zeit da vor sich hin gebrabbelt?“), doch das große Mysterium wird im Laufe der Zeit immer mehr entmystifiziert. Und die Auflösung als solches ist dann leider auch nicht der allergrößte Wurf.

Fazit


In «Under The Silver Lake» begibt sich Andrew Garfield auf die Spuren von David Lynchs „Mullholland Drive“. David Robert Mitchells Schnitzeljagd durch Los Angeles präsentiert sich als Sammelsurium aller möglichen Verschwörungstheorien, die der «It Follows»-Regisseur gar nicht unbedingt hätte auflösen müssen. Sein packend inszeniertes Mysteryabenteuer weiß auch so ziemlich gut zu unterhalten.

«Under The Silver Lake» ist ab dem 6. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/105667
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Nr27
06.12.2018 15:46 Uhr 1
Für mich sogar einer der besten und unterhaltsamsten Filme des Jahres - alleine die Sequenz mit dem Songwriter ist so herrlich irre! :D



Kleine Korrektur allerdings: Beim Fantasy Filmfest lief "Under the Silver Lake" mitnichten im "Fresh Blood"-Wettbewerb, sondern wurde im "Director's Spotlight" präsentiert.
pristinae
06.12.2018 21:26 Uhr 2


Das ist natürlich völlig korrekt, ich hab gerade auch nochmal ins Programmheft des FFF geschaut und kann mir beim besten Willen nicht erklären, was ich da für einen Quatsch gemacht hab. Einfach nicht aufgepasst, danke für den Hinweis! :-)



Davon abgesehen: Toll, dass Dir der Film gefallen hat. Ein kleines Juwel!





Liebe Grüße

Antje
Nr27
08.12.2018 14:30 Uhr 3
Um fair zu sein: Ich war mir selber sicher, "It Follows" wäre Mitchells Regiedebüt gewesen und dann hätte sich "Under the Silver Lake" auch als "Fresh Blood" qualifiziert ... ;)
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