Schwerpunkt

«Black Mirror» als möglicher Türöffner: Wie viel Zukunft haben interaktive Serien?

von   |  2 Kommentare

In der fünften Staffel von «Black Mirror» versucht sich Netflix an einem neuen Format des Erzählens, das auf Entscheidungen des Zuschauers reagiert. Kann das zukunftsweisend sein?

Viele Kinder hatten irgendwann schon einmal große Freude an Büchern wie „Die Insel der 1000 Gefahren“. Inmitten der Trivial-Literatur bereiteten die Bücher Kindern im Grundschulalter Lesespaß, indem sie ihre jungen Rezipienten durch die Notwendigkeit zu treffender Entscheidungen in die Geschichte hineinzogen. „Wohin willst du gehen? In den Dschungel, zum Wasserfall oder in die geheimnisvolle Höhle?“ Fragen dieser Art, die einige Abenteuerbücher ihren Lesern stellten, könnte sich bald schon das Fernsehen massenhaft zunutze machen – sollte dieses Modell des interaktiven Storytellings denn beim Rezipienten ankommen.

Interaktive Serien als logischer nächster Schritt


Das darf Netflix‘ «Black Mirror» für die TV-Branche herausfinden. Noch in diesem Jahr kehrt die Anthologie-Serie, die für ihre dystopischen Zukunftsvisionen bekannt ist, mit neuen Folgen im Rahmen einer fünften Staffel zurück. Zwar hält sich Netflix insbesondere bezüglich eines Starttermins bei «Black Mirror» stets zurück und veröffentlich die neuen Folgen gerne plötzlich und auf einen Schlag, ein paar Details zu den neuen Ausgaben ließ der Streaming-Dienst aber schon verlauten. Eine Folge, die wohl den Namen „Bandersnatch“ trägt und von einem Videospiel handelt, soll sich genau die Mechaniken der angesprochenen Kinder-Romane zunutze machen und den Zuschauer über die Handlungen eines Protagonisten entscheiden lassen, um eine ganz eigene Story zu kreieren. Tipps von Fans zufolge soll die Folge am 28. Dezember erscheinen. Das war schon im vergangenen Jahr der Starttermin der neuen Staffel. Ein rasch gelöschter Tweet eines offiziellen Netflix-Accounts soll das Datum obendrein versehentlich getwittert haben.

Interaktive Serien? Eigentlich hätte man darauf schon viel früher kommen können. Immer wieder versucht sich die Unterhaltungsindustrie schließlich, sich mit neuen technischen Spielereien neu zu erfinden, um seinen Umsatz zu verbessern. Ob 4D, Ultra HD oder 4K – gerade die Innovationen, die sich auf die Qualität des Bildes oder des Tons bei audiovisuellen Produktionen beziehen, lassen sich für gängige und vor allem preiswerte Endgeräte aber kaum umsetzen und bringen deshalb für den täglichen Gebrauch auch so schnell keine wirklich flächendeckende Innovation.

Interaktivität besitzt da schon eine ganz andere Qualität. Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass die Technik dafür längst da und einfach in den Alltag des Nutzers zu integrieren ist. Tatsächlich hat sich das Fernsehen schon des Öfteren an mehr Interaktivität versucht, allerdings weniger im Bereich der Fiction. Gerade in Shows sollten Apps und ein höheres Involvement der Zuschauer für bahnbrechende Innovation und Quoten-Hits sorgen. So wurden Interaktivität und Crossmedialität schon in der TV-Saison 2013/2014 kurzzeitig zum großen Trend ernannt.

Interaktivität: Von Fehlschlägen und raren Experimenten


Doch gerade Versuche in Deutschland fruchteten nicht. Die Castingshow «Rising Star», bei der Zuschauer live mit ihren Smartphones über das Weiterkommen von Kandidaten abstimmen konnten, floppte bei RTL. Ein weiterer interaktiver Fehlschlag war hierzulande «Millionärswahl», das als „crossmediales Event“ angekündigt worden war und letztlich aufgrund von Quoten-Armut im Internet enden musste. Wirklich live und interaktiv sind derzeit nur Quiz-Formate wie «Das Quiz-Duell», ansonsten schreckte die Branche vor weiteren Experimenten größtenteils zurück und baute seine Produktionen nicht mehr allein um das Funktionieren und die Beliebtheit einer App auf.

Wie viel ist also angesichts des scheinbaren Desinteresses der Zuschauer angesichts interaktiver Formate überhaupt möglich in diesem Bereich? Oder besitzt die Fiction in dieser Hinsicht vielleicht viel mehr Potenzial als die Unterhaltungsshow? Ein Beispiel für gelungene Interaktion im Fiction-Bereich kennzeichnete «Terror – Ihr Urteil» – zumindest, wenn man auf das Zuschauerinteresse blickt. Das ARD-TV-Event wurde basierend auf einem Roman von Ferdinand von Schirach als Gerichtsprozess aufgezogen. Am Ende durften die Zuschauer als Schöffen entscheiden, ob ein Luftwaffen-Major schuldig gesprochen werden soll, weil er ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug mit 164 Passagieren abschoss, das in Richtung der mit 70.000 Menschen gefüllten Allianz-Arena in München zugesteuert wurde. Der Film kam mit 6,88 Millionen Zuschauer und je knapp 20 Prozent bei Jung und Alt sehr gut an, allerdings gab es sowohl technische Probleme mit der Internetseite als auch mit den bereitgestellten Telefonnummern zur Abstimmung.

Videospiele machten es vor


Ansonsten sind interaktive Versuchsanordnungen im Fernsehen die absolute Ausnahme. Nicht aber im Bereich der Videospiele, die zwar von Natur aus einen interaktiven Charakter besitzen, aber mit der Zeit immer cineastischer wurden und mehr als interaktive Filme gelten. Die Mechaniken, die dort populär wurden, scheint sich «Black Mirror» nun zunutze machen zu wollen. Populäre Videospiele, die eher als Filme angelegt sind, heißen etwa „Heavy Rain“ (2010) oder „Detroit: Become Human“ (2018). Sie alle haben gemeinsam, dass die Handlung und das Erleben der Geschichte im Vordergrund stehen und nicht die Fähigkeiten des Spielers am Controller.

Wie sehr die Grenzen zwischen TV, Film und Videospielen mittlerweile verschwimmen, zeigt auch „Beyond: Two Souls“ (2013), in dem per Motion Capturing Hollywood-Schauspieler wie Ellen Page und William Dafoe mitspielten. „Beyond: Two Souls“, „L.A. Noire“ (2011) und „Late Shift“ (2016) wurden sogar auf Filmfestivals vorgestellt. Das Entwicklerstudio Telltale Games macht sich seit 2005 gezielt populäre Serien und Filme zunutze, um aus ihnen interaktive Videospiele zu machen, die nur auf den Entscheidungen des Spielers basieren. So erschienen Spiele zu «CSI», «The Walking Dead», «Game of Thrones», «Zurück in die Zukunft» oder «Batman».

Vorteil für Streaming-Dienste


Mit dem Spieleentwickler schließt sich auch wieder der Kreis zu Netflix, denn der Video-on-Demand-Riese experimentierte bereits mit interaktiven Serien, nämlich in «Der gestiefelte Kater und das magische Buch» (2017) und «Minecraft: Story Mode» (2015) – von Telltale Games. Ursprünglich war das Point-and-Click-Videospiel auf allen gängigen Spielekonsolen erschienen, ehe es für die Zwecke von Netflix angepasst wurde. Nun also «Black Mirror». Mit der Anthologie-Serie geht dieses Modell der Interaktivität, das in der jüngeren Vergangenheit im Bereich der Videospiele immer weiter an Popularität gewann, einen Schritt weiter. Denn wie die zu Beginn erwähnten Abenteuerromane waren auch die Netflix-Vorstöße in dieser Richtung vor allem für Kinder gemacht. Das wird sich mit dem stets düsteren «Black Mirror» sicher ändern.

Die «Black Mirror»-Folge soll nur eine von vielen Specials an interaktiven Serien und Filmen sein, die Netflix gerade entwickelt. Gerade «Black Mirror» einen Vorstoß wagen zu lassen, wirkt dabei wie eine smarte Entscheidung. Macher Charlie Brooker und sein Team sollten jedenfalls besonders geeignet dafür sein, diese neue Technologie tiefgehend auszuloten und sie wirklich bedeutungsvoll in die Erzählungen einzubinden. «Black Mirror» zielte von Anfang an darauf ab, den Zuschauern hinsichtlich ihres Umgangs mit Technik den Spiegel vorzuhalten. Die Botschaften könnten durch den höheren Einbezug der Zuschauer auf diese Weise noch dringlicher wirken.

Letztlich steht und fällt das Gelingen interaktiver Serieninhalte mit deren sinnvoller Einbindung in die Erzählungen. Bieten Entscheidungen des Zuschauers keinen Mehrwert, sollten die Macher die Finger von ihrer Nutzung lassen. Wenn Netflix allerdings Erfolg mit seinen interaktiven Formaten hat, könnte dies in der Branche Schule machen. Wie so oft besitzt das lineare Fernsehen hier wieder einen Nachteil. Zwar hat es dank Apps längst die Möglichkeit, ebenfalls interaktive Fiction-Inhalte zu produzieren. Direkt per mobilem Endgerät auf den Bildschirm, auf dem man gerade schaut, zu klicken, ist aber erstens noch ein Stück bequemer und zweitens kann wirklich jeder Nutzer seine ganz eigene Geschichte erleben, während es im linearen Fernsehen wieder auf Mehrheitsentscheidungen des Live-Publikums hinauslaufen wird. Diese sind dann nicht einmal unmittelbar, sondern Zuschauer müssen erst die Wahl auf den entsprechenden Apps abwarten, ehe das Programm fortgesetzt werden kann. Eine wirklich strahlende Zukunft scheint interaktive Fiction also vorerst nur bei Streaming-Diensten zu haben.

Kurz-URL: qmde.de/105755
Finde ich...
super
schade
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelNeue Ausgabe von «Verstehen Sie Spaß» lockt gewohnt viele Zuschauer annächster ArtikelPrimetime-Check: Samstag, 8. Dezember 2018
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
dirkberlin
09.12.2018 16:28 Uhr 1
Interaktivität ist doch auch irgendwie ein Gimmick. Statt einer guten Story erzählt man am Ende mehrere Mittelmäßige. Egal in welchem Medium, spätestens bei einer Fortsetzung zählt dann doch ein richtiges Ende.



Meistens sind es ja doch Storyknoten die irgendwie wieder auf einen Hauptpfad zurückführen, damit dieser eine gewisse Länge bekommt und die Produktionskosten überschaubar bleiben.



Derweil schau ich Kalkulon weiter zu, wie er seine Akten nochmal durchgeht...
LittleQ
09.12.2018 17:19 Uhr 2
Ich bin da sehr dafür. Früher hat man ja auch bei Videospielen argumentiert, dass das ja alles gar nicht ginge und immer nur doof wäre. Ich könnte mir vorstellen, wenn man erst mal so weit ist, dass sich da gerade durch VR ganz neue Möglichkeiten hervortun könnten.
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Mario Thunert

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung