Schwerpunkt

TV gegen Streaming: Wer hatte 2018 im Serienbereich die Nase vorn?

von   |  4 Kommentare

Das vergangene Jahr gab neue Aufschlüsse über die Vorherrschaft bei Serienfans. Besonders in Deutschland sieht die Zukunft von linearen Fernsehsendern im Serienbereich finster aus.

Seit Netflix auch außerhalb der USA in immer mehr Märkten startete, kündigte sich an, auf welche Widersacher der Kampf in der Unterhaltungsindustrie hinauslaufen wird: etablierte, lineare Fernsehsender gegen Streaming-Dienste. Nirgendwo ist dieses Duell, dessen Ergebnis die Zukunft eines riesigen Industriezweigs bestimmen wird, aktuell so hart umkämpft wie in der Serienwelt. Serien, das waren mal diese in wöchentlichen, leicht verdaubaren Mengen erzählten Geschichten, für die sich Interessenten zu einer ganz bestimmten Uhrzeit vor die Empfänger setzen mussten. Die Technik und die Sehgewohnheiten haben sich jedoch geändert. Heute wollen vor allem junge Zuschauer anspruchsvolle Serien sehen – und zwar, wann sie wollen. Obendrein müssen sie einen nicht zu unterschätzenden Aufwand dafür aufbringen, überhaupt den Überblick über die Massen an Formaten der stetig steigenden Zahl an Anbietern zu behalten.

Eine Journalistin des US-Portals „Indiewire“ machte sich das Jahr über die Mühe, in einem Google Doc mitzuzählen, wie viele Serien bis Ende November irgendwo in den USA ganz neu oder mit neuen Folgen erschienen. Letztlich umfasste ihre Liste 545 Titel von Fernsehsendern oder On-Demand-Anbietern und Videoportalen. Dabei beschränkte sie sich nur auf die USA, schloss Kinderserien sowie Reality-Formate sogar aus. Die Währung bei Fernsehserien heißt damit nicht länger Einschaltquote, sondern Aufmerksamkeit. Denn es ist schwer genug, für ein Format, angesichts dieses Wusts an neuen Serien selbige überhaupt noch mit einem einem lohnenswerten Ertrag zu produzieren.

Die US-Perspektive: noch beherrschen Fernsehsender die Branche


Weil die USA in Sachen Serien noch immer die Hegemonialmacht darstellt, gestaltet sich ein Blick auf die US-Traumfabrik besonders interessant, will man ernsthaft der Frage nachgehen, ob denn Streaming-Dienste die etablierten Fernsehsender schon abgehängt haben. Besagte Fernsehsender sind dabei längst nicht mehr mit rein linearen Anbietern gleichzusetzen. Alle Kanäle bieten ihren Zuschauern auch die Möglichkeit an, Serien zeitversetzt abzurufen. Gerade in den USA werden zusammen mit den Live-Einschaltquoten schon seit Jahren auch die Abrufe innerhalb von drei und sieben Tagen nach der Erstausstrahlung gemessen und in die Analyse miteinbezogen. Hinsichtlich dessen hinkt Deutschland beispielsweise noch arg hinterher.

Im Zweikampf Streaming gegen traditionelles Fernsehen und angesichts der Frage, wer von beiden 2018 die besseren Serien schuf, muss also besonders darauf geachtet werden, wo zuallererst die besten neuen Formate des Jahres erschienen, die ja vor allem in anderen Ländern wie Deutschland teilweise trotz ihrer Weltpremiere im linearen Fernsehen zuerst auf Streaming-Portalen erscheinen. Serienfans mögen je ihre ganz eigene Antwort auf die Frage haben, wer denn nun im vergangenen Jahr die Nase vorn hatte. Ein einigermaßen objektiver Anhaltspunkt sind die Nominierungen für die Golden Globes, der renommiertesten Preisverleihung für Fernsehformate. Diese zeigen auch, dass gerade in den USA, wo am meisten Geld für Fernsehserien in die Hand genommen wird und wo in diesem Fach am meisten Expertise vertreten ist, traditionelle Fernsehsender noch immer das Zepter in der Hand halten.

Netflix, Amazon und Hulu heimsten auf der Seite der Streaming-Dienste 18 Nominierungen ein. Besonders erfolgreich waren hierbei Netflix‘ «The Kominsky Method» mit Michael Douglas und «A Very English Scandal» mit Hugh Grant, außerdem die Amazon-Serien «Homecoming» und «The Marvelous Mrs. Maisel» mit Aufsteigerin Rachel Brosnahan (je drei Nominierungen). Netflix‘ UK-Hit «Bodyguard» mit «Game of Thrones»-Star Richard Madden erhielt zwei Nominierungen. Dem gegenüber stehen 36 und damit doppelt so viele Nominierungen für klassische Fernsehsender. Mit vier an der Zahl erhielt das FX-Drama «American Crime Story: The Assasination of Gianni Versace» am meisten Nominierungen überhaupt. Weitere aussichtsreihe Serien heißen «The Americans» (FX), «Barry» (HBO) und «Sharp Objects» (HBO), die sich alle Chancen auf drei Trophäen ausrechnen dürfen.

Zum Vergleich: im September fand die Verleihung der Emmy-Awards statt. Hier wurden zwar teilweise auch Formate aus dem Jahr 2017 ausgezeichnet, lineare Fernsehsender gewannen unter den wichtigen Serien-Awards allerdings elf, während Amazon und Netflix mit zwölf Auszeichnungen nach Hause gingen. Nominierungen sind mit den letztlich vergebenen Preisen also nicht gleichzusetzen. Zur Geschichte von Preisverleihungen wie den Golden Globes gehören aber auch seit jeher die nicht berücksichtigten Formate und Überraschungen. In diesem Kontext wurden Streaming-Formate wie Netflix‘ Serien «Maniac», «GLOW» und «The Haunting of Hill House» genannt, die Nicht-Berücksichtigung von Produktionen linearer Sender erhitzte die Gemüter allerdings wesentlich mehr. Dazu zählten enttäuschende Ergebnisse für «Atlanta» (FX), «This Is Us» (NBC), «black-ish» (ABC) und Killing Eve (BBC America), um nur ein paar Formate zu nennen.

Die deutsche Perspektive: ist die Streaming-Welle noch zu stoppen?


In den USA kämpfen Fernsehsender bislang erfolgreich gegen die Eigenproduktionen der Streaming-Dienste an, die den etablierten Fernsehschaffenden allerdings auch immer näherkommen. In Deutschland liest sich Lage ganz anders. Hierzulande mangelt es dem Fernsehen an einer wirklich nennenswerten Tradition an Premium-Serien. Wenn hier und da mal Fiction im linearen Fernsehen erscheint, dann erstreckt sich deren Verbreitung fast ausschließlich nur bis zu den Landesgrenzen, eventuell bis in die Schweiz oder nach Österreich. Gerade seit dem Start von Netflix in Deutschland haben Streaming-Dienste, darunter auch Amazons Prime Video, die Fernsehsender förmlich überrumpelt. Die jungen Zuschauer zwischen 14 und 29 sehen Fernsehen kaum noch linear, fast ausschließlich über mobile Endgeräte.

Netflix und Amazon gelang es damit bemerkenswert schnell, mit aufwändigen deutschen Eigenproduktionen wie «Dark», «You Are Wanted», «Deutschland 86», das einst als «Deutschland 83» bei RTL begann, oder zuletzt «Dogs of Berlin» für Serienfans Verkaufsargumente zu schaffen, die deutsche Sender ihren Zuschauern lange schuldig blieben. Erst dann begann die Aufholarbeit. Im vergangenen Jahr erschien bei Sky «Babylon Berlin», das dieses Jahr auch im Ersten zu sehen war. So machte sich die deutsche Serie auch international einen Namen.

Besonders Sky nahm zuletzt viel Geld für neue Serienware in die Hand. Jüngst erschien mit «Das Boot» die nächste aufwändige Eigenproduktion, die bei Kritikern sehr gut ankam. Auch hier näherte sich Sky in Sachen Verbreitung aber auch schon den Streaming-Diensten weiter an: die Adaption des gleichnamigen Filmklassikers wurde auf einen Schlag in der Mediathek veröffentlicht. Mit «Der Pass» erscheint im kommenden Jahr die nächste groß angelegte Sky-Serie. Positiv fiel in den vergangenen Jahren auch TNT Serie auf, das im Rahmen seiner Möglichkeiten mit «Add a Friend», «Weinberg» und zuletzt «4 Blocks» tolle Serienunterhaltung schuf.

Und dennoch: den Vorsprung jetzt noch aufzuholen, den sich Netflix in Deutschland in Windeseile erarbeitete, scheint fast unmöglich. Während deutsche Sender mit viel Mühe und begrenzten Mitteln vereinzelt ihren nächsten möglichst großen Wurf im Serienbereich planen, hat Netflix neben seiner bevorstehenden Adaption des Romans «Die Welle» schon fünf weitere deutsche Eigenproduktionen bestellt. Ein weiterer Vorteil von Streaming-Diensten: die Streaming-Formate, die auch mit Golden-Globe-Nominierungen bedacht wurden, erschienen weltweit zeitgleich in allen Märkten. Wollen Serienfans derweil die Produktionen der linearen Sender begutachten, müssen sie meist entweder für Pay-TV zahlen oder die Streaming-Dienste sicherten sich auch von diesen Serien die Rechte. Selbst lizensierte Ware gelangt also nur über Umwege ins deutsche Fernsehen. Nicht selten gingen deutsche Fernsehsender mit Hit-Formaten baden, weil Serienliebhaber diese bis zur Free-TV-Ausstrahlung längst woanders gesehen hatten.

Obendrein denken deutsche Serienfans nicht national. Ihnen ist gleich, ob eine gute Serie aus Deutschland oder dem Ausland stammt. So können Netflix und Amazon hierzulande munter internationale Serien ihrem Angebot hinzufügen und sich der Aufmerksamkeit der Serienjunkies sicher sein, während deutsche Fernsehanbieter eben nur deutsche Serien produzieren können. Alles ist der Serienbereich ohnehin nicht für deutsche Sender, die schließlich auch mit Shows, Reality-Fernsehen, Dokus und Doku-Soaps, Talk-Shows oder Magazinen Vielfalt bieten möchten. In Deutschland scheint es, als könnten Serien-Produktionen linearer Sender auf Dauer maximal Nadelstiche gegen die Streaming-Dienste setzen. Wie ernst die Lage angesichts der Vielzahl an anderen Programmfarben außer Fiction aber ist, müssen die Sender aber für sich selbst entscheiden.

Kurz-URL: qmde.de/105862
Finde ich...
super
schade
71 %
29 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelGregorowicz: 'Ich hoffe, dass der Film eine eher abschreckende Wirkung hat'nächster ArtikelAuf dem eSports-Markt zum Marktführer werden
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
13.12.2018 13:01 Uhr 1
Wieso wollen vor allem "junge Zuschauer anspruchsvolle Serien Sehen"?? Ich mit meinen 51 Jahren möchte also anscvheinend nur leichtverdauliche Serien Sehen oder was?? :roll:
Vittel
13.12.2018 13:15 Uhr 2


Ist das so? Es gibt doch die Möglichkeit der Kooperation, wird doch auch häufig gemacht. Keine Ahnung, wie das bei den ÖR aussieht, aber eine Privatsendegruppe wie Pro7Sat1 kann mit Sicherheit Serien im Ausland produzieren lassen und hier senden, wenn sie entsprechend dafür bezahlen.
kauai
13.12.2018 21:33 Uhr 3
Für mich macht es da auch die Mischung!



Ich schaue weiterhin mehr linear und von Festplatte als im Stream. Bei der Zahl an guten Serien stört es mich auch nicht, eine Woche auf ne neue Folge zu warten.
CaptainCharisma
13.12.2018 21:50 Uhr 4


Wenn der Anteil von jungen Zuschauer bei bestimmten Formaten nachweislich signifikanter ist, kann man das mMn so schreiben. Andere Altersgruppen schließt das nicht aus, nur ist eben eine Altersgruppe besonders interessiert.



Ich selber unterscheide für mich eher zwischen FreeTV und PayTV. Da liegt das Verhältnis seit bestimmt 4-5 Jahren bei 0% zu 100% zugunsten des PayTV.

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung