First Look

Stalke den Stalker: Netflix‘ «YOU» ist ein Psycho-Thriller für «Gossip Girl»-Fans

von   |  7 Kommentare

Der Thriller «You» soll seit dieser Woche beim Streaming-Dienst mit einem «Gossip Girl»-Star Abonnenten verzaubern. Die Stalker-Soap ist nicht immer glaubwürdig, aber nie langweilig.

Facts zu «YOU»

  • Genre: Crime-Drama / Psycho-Thriller
  • Vorlage: "You" von Caroline Kepnes
  • Entwickelt von: Greg Berlanti & Sera Gamble
  • Darsteller: Penn Badgley, Elizabeth Lail, Luca Padovan, Shay Mitchell, Zach Cheryy u.w.
  • Episodenzahl: 10 (1 Staffel)
  • Gedreht in: New York City
  • Episodenlaufzeit: 43-49 Minuten
  • Weltpremiere: 9. September 2018 (Lifetime)
Teenie-Dramen zählen längst zu den wichtigsten Programmbestandteilen von Netflix. Ob «13 Reasons Why», «Stranger Things», «Chilling Adventures of Sabrina» oder «Riverdale» – Fiction mit jugendlichen Protagonisten entpuppte sich für den Streaming-Dienst als absoluter Glücksgriff. Zwar handelt es sich bei dem gerade erschienenen «YOU» nicht um ein Teenie-Drama, aufgrund des Personals wird sich Netflix aber sicher trotzdem gute Chancen ausgerechnet haben, ein Publikum anzulocken, das sonst auf derlei Formate steht. In der Hauptrolle tritt bei «YOU» - einer Serie die ursprünglich beim US-Kabelsender Lifetime lief, aber als Netflix-Original erworben wurde – nämlich Penn Badgley auf, der schon im ungemein populären Teenie-Drama «Gossip Girl» einen der Hauptcharaktere spielte.

So liebenswert wie in der The-CW-Serie ist Badgley in «YOU» allerdings nicht mehr. Badgley spielt Joe Goldberg, den Leiter einer New Yorker Buchhandlung. Eines Tages läuft ihm eine Kundin namens Guinevere Beck (Elizabeth Lail) über den Weg, die ihn sofort verzaubert. Die Chemie zwischen beiden scheint zu stimmen. Doch das ist der Punkt, an dem die Serie, die als reduziertes aber stylisches Serienformat startet, eine erste finstere Wendung nimmt. Anstatt nach ihren Kontaktinformationen zu fragen, stellt Joe der attraktiven Blondine nach, verfolgt sie unbemerkt nach Hause, bespäht sie durchs Fenster, recherchiert über die Sozialen Medien jedes Detail über ihr Leben. Sein Ziel ist klar: „Beck“ soll ihm gehören – und das um jeden Preis. Jeder Mensch, der ihm dabei im Wege steht, schwebt ab jetzt in Gefahr…

«YOU» lässt Zuschauer den Stalker stalken


Die große Qualität von «YOU» liegt darin, dass die Serie mit ungemein wenig auskommt und dennoch funktioniert. Die Darstellerriege ist klein und weitgehend unbekannt, die Schauplätze belaufen sich meist auf die Straßen New Yorks, in der Buchhandlung oder Privatwohnungen. «YOU» hat den großen Vorteil, sich vorwiegend auf der zwischenmenschlichen Ebene abzuspielen. In den meisten Fällen ist das, was Zuschauer hören wichtiger als das, was sie sehen. Das liegt an einem Stilmittel, das die Serie gleich früh einführt: Zuschauer hören durchwegs die Gedanken von Joe, der als hochintelligenter Sonderling seine Mitmenschen in Windeseile zu dechiffrieren scheint, um ihnen so stets einen Schritt voraus zu sein.

Für Romane stellt diese Erzähltechnik des Ich-Erzählers ein probates Mittel dar. Gerade in Film und Fernsehen wird davon jedoch meist abgesehen, weil die Vorgehensweise im Verruf steht, Erzählungen zu stark zu vereinfachen und die Konsumenten zu unterfordern. Zumindest wissen Zuschauer somit durchgängig, woran sie beim durchtriebenen, aber geschickt agierenden Stalker Joe sind. Die Figur ist ein offenes Buch und die Zuschauer dürfen damit sozusagen den Stalker stalken. Eine andere Ausnahme dieser Art im Serienbereich war beispielsweise «Dexter».

Stalker? Hier unterscheiden sich womöglich die Ansichten der Beobachter. Vor allem Joe würde sich wohl niemals so bezeichnen. Darin liegt eine der Raffinessen des Formats, das auch Gesellschaftskommentar für eine Kultur sein will, in der mit Liebe oder das, was als Liebe verkauft wird, Geld gemacht wird. «YOU» kennzeichnet eine Serie, deren Protagonist nicht den Unterschied zwischen Obsession und Liebe kennt. Aus seiner Sicht heraus stalkt er die junge Literatin Beck nicht, sondern er versucht alle Informationen zu ermitteln, um sicherzustellen, dass sie nicht verletzt wird. Für Beck selbst stellt Joe damit keine unmittelbare Gefahr dar.

Social-Media-Scheinheiligkeit im Fadenkreuz


Zumindest vorerst, denn mit der Zeit entfernt sich die junge Frau immer weiter von den gehegten Idealvorstellungen Joes, sodass sich zeigt, dass sich das Wesen einer Person nicht durch Beobachten oder das Durchforsten seiner Social-Media-Profile durchdringen lässt. Es ist eine der cleveren Ironien des Formats: Obwohl Joe von Anfang an versucht, den wahren Charakter seiner Angebeteten von ihren Social-Media-Aktivitäten zu trennen, verliebte er sich doch nur in die fröhliche und unbeschwerte Seite, die sie der Welt präsentiert.

«YOU» basiert auf dem gleichnamigen Roman von Caroline Kepnes und wurde unter anderem von TV-Mastermind Greg Berlanti als Serie adaptiert. Berlanti perfektionierte es in den vergangenen Jahren, Serien für ein junges Publikum zu produzieren, weshalb seine Formate wie «Arrow», «The Flash» oder «Riverdale» auch meist beim auf junge Zuschauer fokussierten The CW einen Abnehmer fanden. Der TV-Schaffende weiß, wie ein Format für junge Menschen, die vermeintlich am meisten auf visuelle Oberflächlichkeiten achten, inszeniert werden muss. Neben den stets hochattraktiven Darstellern seiner Formate, zeichnen sich diese deshalb auch immer durch visuelle Spielereien aus, die den Produktionen einen stylischen Anstrich geben sollen. Auch in «YOU» finden sich überstilisierte Shots von New York und ein merkwürdiger Kamerafokus, der häufig alles außerhalb der handelnden Figuren unscharf erscheinen lässt. Gegenüber dem Hochglanz seiner Superheldenserien wirkt «YOU» aufgrund dieser fehlgeleiteten Stilentscheidungen leider teilweise billig.

Anleihen an «Gossip Girl», «Gone Girl» und «Dexter»


«YOU» weckt dennoch inhaltlich Assoziationen zu vielen beliebten Formaten, was immer ein gutes Zeichen darstellt. Nicht nur durch die New-York-Romantik der Bilder, auch inhaltlich ist die Serie typisch für den „Big Apple“. Das Format bedient einen bissigen Humor und betont immer wieder die Klassenunterschiede seiner Figuren – wie bei «Gossip Girl». Der ständige Mix zwischen einer sich anbahnenden Romanze und durchtriebener Manipulation anderer erinnert derweil an «Gone Girl». Gerade die bereits erwähnten Voice-Over-Anleihen an den Showtime-Hit «Dexter» entbehren bei «YOU» aber einer gewissen Gutgläubigkeit. Hauptfigur Joe bleibt trotz seiner teilweise sogar tödlichen Pläne ungemein charmant und rattert seine Gedanken in einer Ruhe herunter, die häufig nichts mit dem Thrill zu tun haben, der sich wirklich auf dem Bildschirm abspielt.

Das könnte am Spagat liegen, den auch die Autoren von Teen-Dramen stets schaffen müssen: Selbst Antihelden oder sogar Schurken müssen für die Zuschauer attraktiv bleiben. Gerade der schöne Schein ist nicht nur inhaltlich ein gerne bedientes Thema in diesem Genre, sondern auch genau das, was Zuschauer verzaubert. Obwohl die Serie durchaus explizite Gewaltszenen beinhaltet, scheint sie deshalb davor zurückzuschrecken, die Ungeheuerlichkeit seiner Hauptfigur zu zeigen, um Zuschauer nicht zu verschrecken. «YOU» ist sich der Tatsache bewusst, dass es mit einem absoluten Publikumsliebling und Frauenschwarm in der Hauptrolle aufwartet. Mit diesem Bewusstsein tut sich die Serie allerdings inhaltlich oft keinen Gefallen. Überhaupt müssen Zuschauer des Formats viel „suspension of disbelief“ aufbringen, um dranzubleiben. Ein weiteres Charakteristikum von Teen-Dramen, deren Fans häufig gerne den Kompromiss eingehen, einer Serie die Treue zu halten, solange sie Spaß macht. Auch wenn inhaltliche Entwicklungen und hanebüchene Wendungen häufig wenig Sinn ergeben.

Nicht immer glaubwürdig, aber nie langweilig


In «YOU» funktioniert Joe im Keller seiner Buchhandlung einen Glass-Tresor zur Instandhaltung alter Bücher zum schalldichten Verließ um und folgt Personen sogar des Öfteren unbemerkt in ihre Wohnung, wobei eine Baseball-Cap die gleiche Wirkung zu entfalten scheint wie Harry Potters Tarnumhang. Es sind die Ungereimtheiten, die Zuschauer in Kauf nehmen müssen, wenn sie in diesem letztlich doch sehr einnehmenden Psycho-Thriller versinken wollen, der alle Zutaten besitzt, um zum nächsten kleinen Hit zu werden. Manchmal wirkt «YOU» sogar absichtlich absurd. Doch die Serie verfügt über eine interessante Prämisse, macht scharfsinnige, gleichwohl nicht immer subtile, Beobachtungen über Social Media und spielt in einem frischen Milieu der hippen, jungen Schriftstellerszene New Yorks, die eine perfekte Grundlage für seine Figuren schafft, welche alle hinter einer mühevoll aufgebauten Fassade leben.

Fazit: Weil sich «YOU» mit der Zeit immer mehr im Netz unglaubwürdiger Entwicklungen verfängt und Zuschauer das bald nicht mehr ignorieren können, scheint das Format auch ein Ablaufdatum zu besitzen, das für viele Personen wohl nicht über die erste Staffel hinausreicht, obwohl eine zweite bereits angekündigt wurde. «Riverdale» schworen aus dem gleichen Grund in der Zwischenzeit viele Fans ab. Andererseits hält sich das Format als Hit unter jungen Leuten immer noch beständig im Fernsehen und auf Netflix. Immerhin wird «YOU» trotz aller konstruiert wirkenden Erzählschritte nie langweilig. Das ist die beste Voraussetzung für ein Format, das sich nach dem Publikum von Formaten wie «Gossip Girl» oder «Pretty Little Liars» streckt und für ein binge-fähiges Streaming-Format, das für die ruhige Zeit zwischen den Jahren bestens funktioniert.

Kurz-URL: qmde.de/106189
Finde ich...
super
schade
96 %
4 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«Jennifer»: Sehnsucht nach Online-Premierenächster ArtikelVon Aschenbrödel bis Miss Marple: Das waren die größten Hits an Weihnachten
Es gibt 7 Kommentare zum Artikel
Blue7
29.12.2018 12:02 Uhr 1
Naja Riverdale Staffel 3 ist ja die Story wirklich an den Haaren herbeigezogen. Die ganze Story basiert nur an einem Dünnenfaden eines Brettspiels.

YOU macht aber spass zu sehen
Belthazor
29.12.2018 15:16 Uhr 2
So verrückt ist die Riverdale Serie gar nicht, wenn man sich über die Comics informiert. Da gibt es auch eine Zombie Apokalypse
medical_fan
29.12.2018 23:16 Uhr 3
YOU ist ja in seiner 1. Staffel noch vom Sender Lifetime produziert und somit wieder ein Fake-Original.



Aber schon lustig das die Fake Originals immer sehr viel besser sind als die echten Originals.

Ich mag YOU ist ganz gut, bin gerade bei Folge 9 die 1. Hälfte war spannender die 2. ist aber auch gut.

Besser auf jeden Fall als jede andere Netflix Eigenproduktion.
STAC
30.12.2018 11:35 Uhr 4


Besser als Ozark? OITNB? House of Cards?
Blue7
30.12.2018 11:55 Uhr 5
@STAC: In Sachen Langeweile zu Ozark und House of Cards auf jedenfall
medical_fan
09.01.2019 21:42 Uhr 6


House of Cards sorry interessiert mich einfach null, OITNB ist nicht gut, und Ozark nein danke.



Aber wie gesagt, nur meine Meinung.
Sentinel2003
18.02.2019 00:30 Uhr 7
Da könnte man genauso fragen, wie man "OZARK" langweilig finden kann....aber, zum Glück isses ja alles Geschmackssache....
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung