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Wir haben in der Produktion diesen Moment erreicht, an dem wir beschlossen haben, dass wir diese Sequenz weiter mit Dingen vollpacken wollen, die wir lieben. Allerdings gingen uns die Figuren aus, von denen wir ein bestehendes 3D-Modell haben – und die Zeit wurde allmählich knapp! Neue Modelle zu erstellen, war also keine Option mehr – und dennoch wollten wir mehr Cameos. Also haben wir den legendären Disney-Zeichner Mark Henn gefragt, ob er schnell etwas zeichnen kann.
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Rich Moore
Rich Moore: Ha! (lacht)
In «Chaos im Netz» sehen wir zahlreiche Disney-Figuren, die ihr Leben als Zeichentrickfiguren begonnen haben, neu interpretiert als computeranimierte Figuren. Aber für ein paar Sekunden, vielleicht auch weniger, sieht man im Film auch den Bären Humphrey – und zwar weiterhin als klassische Cartoonfigur. Was hat es damit auch sich?
Phil Johnston: Wow, gut aufgepasst!
Rich Moore: Also, es gibt die theoretische Antwort, dass Humphrey eine alte Figur aus einem Cartoon-Kurzfilm ist, die keinen Langfilmauftritt hat und daher auf 'Oh My Disney' eine andere Form annimmt … Aber … (lacht) Hier ist die echte Antwort: Wir haben in der Produktion diesen Moment erreicht, an dem wir beschlossen haben, dass wir diese Sequenz weiter mit Dingen vollpacken wollen, die wir lieben. Allerdings gingen uns die Figuren aus, von denen wir ein bestehendes 3D-Modell haben – und die Zeit wurde allmählich knapp! Neue Modelle zu erstellen, war also keine Option mehr – und dennoch wollten wir mehr Cameos. Also haben wir den legendären Disney-Zeichner Mark Henn gefragt, ob er schnell etwas zeichnen kann.
Mark Henn ist seit Jahrzehnten bei Disney, er zeichnete unter anderem Jasmin in «Aladdin» und Pocahontas in ihrem Film, und er ist noch immer ein vitaler Teil des Studios. Er war bei allen Animationsmeetings zu «Chaos im Netz» dabei und gab den jüngeren Animatoren Tipps, wie sie ihre Arbeit verbessern können, und er hat auch dabei geholfen, dass die aus Zeichentrickfilmen bekannten Figuren als Computeranimation ihre Integrität bewahren. Und als er einwilligte, uns kurz eine Randfigur für die Sequenz bei 'Oh My Disney' zu zeichnen, hat Kira Lehtomaki, eine unserer Chefanimatorinnen, gesagt: "Leute, wir müssen Humphrey nehmen!"
Also haben wir Mark gefragt, ob er Humphrey zeichnen kann, wie er den Tanz aus dem Cartoon «In the Bag» (dt. Titel: «Volle Taschen») macht. Und er hat eingewilligt. Das ist die Geschichte dahinter, dass Humphrey als Zeichentrickfigur auftritt: Wir wollten mehr Figuren und Zeichentrick geht schneller als das Erstellen eines 3D-Modells, es zu riggen, zu bewegen und zu shaden … (lacht)
Phil Johnston: Und Mark war so umwerfend schnell – er brauchte nur knapp eine Woche.
Rich Moore: Was ein kleiner Bonus ist: Wir konnten so einem Kurzfilm Tribut zollen, der innnerhalb des Studios sehr, sehr beliebt ist. Und der, wie wir nun sehen, zum Glück noch immer Fans außerhalb des Studios hat. (lacht)
Eine weitere Sache, an die ich bei der 'Oh My Disney'-Sequenz denken musste, ist ein alter Artikel von Animationsexperte Jim Hill. Laut Jim Hill bekam das «Pocahontas»-Team früh in der Filmentwicklung einen Besuch von Vertretern der Disney-Merchandisingabteilung. Und die sollen beim Betrachten einer Szene vorgeschlagen haben, dass Waschbär Meeko Pocahontas die Haare flechtet, statt tatenlos rumzusitzen. Die Idee kam super an, weil es die Freundschaft zwischen den Beiden unterstreicht …
Rich Moore: Ja, verständlich …
Ein paar Monate später hat das «Pocahontas»-Filmteam aber, laut Jim Hill, erfahren, dass die Leute vom Merchandising nun eine Pocahontas-Puppe mit leicht zu flechtenden Haaren und einem Mini-Meeko planen. Das hätte im Filmteam, so Jim Hill, eine riesige Debatte um die Szene ausgelöst. Denn man hatte Angst, dass diese Szene ihnen den Vorwurf einbringt, sie würden ja nur Werbung für die Puppe machen ...
Phil Johnston: Oh … Ja …
- © Disney
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Wir hoffen sehr, dass wir mit unserer Arbeit bewiesen haben, dass uns der Gedanke zuwider ist, uns zu verscherbeln
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Phil Johnston
Phil Johnston: Wir hatten definitiv Sorge, dass man so über uns denken wird. Der Ursprung der Prinzessinnenszene war zwar ein anderer als in dem «Pocahontas»-Beispiel, das Sie gebracht haben, dennoch war uns bewusst, dass wir womöglich wie Marktschreier rüberkommen könnten. Deshalb sind wir sehr vorsichtig mit der ganzen 'Oh My Disney'-Szene umgegangen, wir haben sie immer wieder darauf abgeklopft, ob sie wie ein Werbespot wirken könnte. Wir hätten sie rigoros rausgeschnitten, wäre sie nicht für die Handlung essentiell gewesen.
Es gab sogar wirklich einen Augenblick in der Filmproduktion, in dem wir die Geschichte umgeschrieben haben und wir uns die Frage stellen mussten, ob nun der Moment gekommen sei, in dem diese Sequenz irrelevant geworden ist. Schlussendlich ist die Szene aber ein elementarer Teil von Vanellopes Selbstfindungsprozess geworden. Und wir hoffen sehr, dass wir mit unserer Arbeit bewiesen haben, dass uns der Gedanke zuwider ist, uns zu verscherbeln. Ich denke, dass wir mit dieser Szene unseren Werten treu geblieben sind – und wenn Disney Consumer Products aus ihr Inspiration für neue Produkte zieht, dann ist das deren Recht, aber nicht unsere Absicht. (lacht)
Rich Moore: Schlussendlich müssen wir auch einsehen, dass wir nicht kontrollieren können, was die Leute denken. Wir können nur unser Bestes geben.
Phil Johnston (scherzend): Außerdem weiß doch jeder, dass Jim Hill ein Lügner ist! Dass muss Ihnen endlich mal jemand sagen!
Rich Moore (scherzend): Gibt es ihn überhaupt oder ist er eine Kunstfigur?
Aber sein Artikel hat sich doch damals schützend vor die «Pocahontas»-Macher geworfen … (zwinkert)
Phil Johnston: Jim Hill ist ein hervorragender Journalist!
Rich Moore: Er ist ein großartiger Mensch. Ich liebe ihn!
Phil Johnston: Wer sich mit ihm anlegt, legt sich mit mir an!
Rich Moore: (lacht) Jedenfalls … Wir können niemandem vorschreiben, was er zu denken hat, aber wir sind rein mit dem Gedanken an die Sequenz herangegangen, dass wir eine lustige Filmpassage machen wollen, die gleichzeitig subtil die Handlung vorantreibt. Und wir zumindest sind stolz darauf, wie wir diesen Balanceakt getätigt haben. Und ich darf verraten, dass wir einige Leute im Team hatten, die großen Zweifel gehegt haben, ob wir es schaffen, die Szene nicht wie Werbung aussehen zu lassen – und selbst die haben wir überzeugt, woraufhin uns ein Stein vom Herzen fiel.
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Und ich glaube, es war beim ersten, spätestens beim zweiten Anlauf, als wir gemerkt haben, dass das Ende nicht funktioniert. Es war ein ganz alltägliches Happy End. [...] Und wir mussten in diesem Moment erkennen: Dies ist ein Film über Veränderung; wenn wir das Ende so aufziehen, dann betrügen wir unser Thema und unsere Narrative. Es war also schon sehr früh im Prozess, als wir gesagt haben: Wir müssen etwas Drastisches machen.
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Rich Moore
Rich Moore: Wie Sie sicher wissen, machen wir unsere Filme ja quasi mehrmals, wir überarbeiten sie und überarbeiten sie , bis wir uns zum fertigen Film geackert haben… Das ist unser Prozess. Und ich glaube, es war beim ersten, spätestens beim zweiten Anlauf, als wir gemerkt haben, dass das Ende nicht funktioniert. Es war ein ganz alltägliches Happy End, Randale-Ralph und Vanellope gehen zurück nach Hause, und nichts in ihrem Leben hat sich geändert.
Und wir mussten in diesem Moment erkennen: Dies ist ein Film über Veränderung; wenn wir das Ende so aufziehen, dann betrügen wir unser Thema und unsere Narrative. Es war also schon sehr früh im Prozess, als wir gesagt haben: Wir müssen etwas Drastisches machen.
Phil Johnston: Und dennoch gab es eine entscheidende Sache, die wir spät geändert haben. Es war nicht superspät, aber sicher erst innerhalb der letzten sechs Monate. Das war während des abschließenden Gesprächs, und einer von Beiden sagt: "Bis nächste Woche." Wir haben da ungewollt den Eindruck erweckt, dass sich Ralph und Vanellope alle paar Wochen sehen, womit wir aber die dramatische Fallhöhe viel zu klein gehalten haben. Wir haben gemerkt, dass so diese bittersüße, schwierige Entwicklung in beider Leben nicht rüberkommt – es sollte sich so anfühlen, als ginge Vanellope beispielsweise am anderen Ende des Landes aufs College.
Rich Moore: Stimmt, das haben wir erst sehr spät geändert. Wenn wir an einer Geschichte feilen, gibt es massive Neuerungen, die den ganzen Film in seinem Verlauf verändern, und dann gibt es Feinschliff, der nur den Moment selbst betrifft, aber große Wirkung hat. Das war so ein Moment – wir haben sehr spät gemerkt, dass wir durch ein paar Umformulierungen die Emotionen in dieser Szene und somit des ganzen Films verstärken können.
Wir wollten nicht, dass all dieses Leid, all dieser Kummer in «Chaos im Netz» in Kauf genommen werden musste, damit sich die beiden Figuren alle paar Wochen sehen. (lacht) Also mussten wir das verhärten, Ralph musste ein größeres Opfer eingehen. Denn es ist sein Film. Es ist sein Film. Mir haben schon mehrmals Leute gesagt, dass es für sie Vanellopes Geschichte ist. Aber der Protagonist eines Films ist doch derjenige, der sich am meisten verändert, nicht wahr? Und Vanellope hätte zu Beginn des Films wohl dieselbe Entscheidung getroffen wie am Ende des Films – sie hätte sich nur nicht so schnell dazu durchgerungen. Ralph dagegen hätte zu Beginn des Films keinesfalls die Entscheidungen getroffen, die er am Ende trifft. Er ändert sich am meisten in «Chaos im Netz», er macht die längste innere Reise durch.
Vielen Dank für das informative Gespräch.
«Chaos im Netz» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.
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