Die Kino-Kritiker

«The Mule» - Zwei Dreier für Clint Eastwood

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Clint Eastwood inszeniert sich ein weiteres Mal selbst. In «The Mule» wird aus ihm über Umwege ein Drogendealer, der so gar nicht in diese Welt passt – und gerade deshalb so gut in dem ist, was er tut.

Filmfacts: «The Mule»

  • Eventstart: 30. Januar 2019
  • Genre: Roadmovie/Thriller
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 116 Min.
  • Kamera: Yves Bélanger
  • Musik: Arturo Sandoval
  • Buch: Nick Schenk
  • Regie: Clint Eastwood
  • Darsteller: Clint Eastwood, Bradley Cooper, Taissa Farmiga, Michael Peña, Laurence Fishburne, Manny Montana
  • OT: The Mule (USA 2018)
Es gibt kaum einen Filmschaffenden in Hollywood, auf den der Ausruf „Er hat alles erreicht!“ eher zutrifft, als auf Regie- und Schauspielurgestein Clint Eastwood. Sowohl in seiner Position vor, als auch hinter der Kamera wurde er mit Preisen überhäuft, seine Filme haben den Konsensgeschmack getroffen und zeitgleich für Kontroversen gesorgt. Er hat sich obskuren Kunstprojekten abseits des Films gewidmet, ja, sogar einen Sohn in die Welt gesetzt, der das Darsteller-Gen genauso in sich zu tragen scheint. Und nach einem angekündigten Rückzug aus der Welt der Akteure erlaubt sich Eastwood nun auch noch die obligatorische Rückkehr auf die große Leinwand. Nach «Gran Torino» spielt er ein weiteres Mal unter seiner eigenen Regie, nur diesmal tonal deutlich optimistischer und sichtbar mehr auf seinen eigenen Vorteil aus. Sein neuer (und vielleicht diesmal?) letzter Film «The Mule» ist zwar ein durchaus kurzweilig inszeniertes Roadmovie nach typischen Genrestandards, doch man wird während der gesamten Laufzeit von 116 Minuten das Gefühl nicht los, dass es Eastwood einzig und allein darum ging, sich selbst zu inszenieren.

Das wurde ihm in den Staaten bereits zum Verhängnis. Dort wurde «The Mule» zum Teil von Kritikern verrissen; allen voran zwei Szenen, in denen sich der Senior auf einen Dreier mit zwei drallen Schönheiten einlässt, hinterließen dort (zu Recht!) einen faden Beigeschmack.

Drogenkurier wider Willen


Earl Stone (Clint Eastwood) ist ein Mann in seinen Achtzigern, der – hoch verschuldet und allein – vor der Zwangsvollstreckung seines Unternehmens steht. Da erhält er ein verlockendes Jobangebot: Er soll lediglich Auto fahren – und sagt zu! Doch ohne es zu wissen, hat Earl mit dieser Entscheidung als Drogenkurier für ein mexikanisches Kartell angeheuert. Er macht seinen Job gut – sogar so gut, dass seine Fracht immer wertvoller wird und er einem Aufpasser des Kartells zugeteilt wird. Aber der ist nicht der Einzige, der Earl beobachtet: Der mysteriöse neue Drogenkurier ist ebenfalls auf dem Radar des knallharten DEA-Agenten Colin Bates (Bradley Cooper) aufgetaucht. Doch auch wenn seine Geldprobleme nunmehr der Vergangenheit angehören, belasten Earl die Fehler seiner Vergangenheit zunehmend – und es ist ungewiss, ob er noch Zeit hat, das Geschehene wiedergutzumachen, oder ob das Gesetz – oder das Kartell – ihn vorher erwischen wird.

Wenn Earl Stone hier mit seinem Pick-Up-Truck durch die endlosen Weiten des US-amerikanischen Hinterlandes düst, dabei stets einen beschwingten Evergreen auf den Lippen trägt, immer wieder betont, in seinen vielen Jahrzehnten als Autofahrer nicht einen einzigen Strafzettel erhalten, oder Unfall gebaut zu haben und aufgrund seiner extrovertierten Attitüde einfach mit jedem ins Gespräch kommt, dann wird er zum personifizierten Ideal einer ganzen Generation. Clint Eastwood trifft dieses Lebensgefühl des seinen eigenen, freiheitsliebenden Idealen folgenden US-Amerikaners auf den Kopf und geht dabei sogar noch weiter. Er spricht einem ganz bestimmten Menschenschlag aus der Seele: Jenen Leuten, die Schwarze noch als „Nigger“ bezeichnet (das aber natürlich keineswegs abschätzig meinen, sondern einfach nur nicht mitbekommen haben, dass das längst nicht mehr en vogue ist), oder für die es immer noch nicht ganz normal, aber natürlich irgendwie tolerierbar ist, dass Frauen mit Frauen und Männer mit Männern zusammen leben (was öffentlichen Aussagen zufolge übrigens gegen Eastwoods persönliche Ansichten spricht).

Zwar zelebriert Eastwood mit «The Mule» nicht zwingend einen offen ausgelebten Rassismus; dafür befassen sich die entsprechenden Szenen immer auch mit der sofortigen Reaktion des jeweiligen Gegenübers. So wird Earl von der afroamerikanischen Familie beispielsweise sofort darauf hingewiesen, dass seine Ausdrucksweise abfällig ist. Trotzdem wohnt derartigen Szenen das Bemühen um eine Akzeptanz inne. Und diese Mentalität wirkt irritierend, schließlich bettelt Clint Eastwood damit auch irgendwie darum, es Menschen wie ihm doch bitte nicht allzu übel zu nehmen, sollte ihnen eben doch mal das N-Word rausrutschen oder der Umgang mit Homosexuellen unbeholfen sein.

Leichtfüßig und befremdlich


Da das Skript von Nick Schenk («Der Richter – Recht oder Ehre») Earl außerdem von Anfang an als narzisstischen Egomanen etabliert (in den ersten zehn Minuten lässt er seine Tochter vor dem Traualtar stehen, um stattdessen einen Preis für seine Blumenzucht anzunehmen), ist es auch abseits von seinem ganz eigenen Verständnis für Toleranz und Weltoffenheit schwer, mit ihm zu sympathisieren. Doch das ist gewollt: Earls Arbeit als Drogenkurier ist schließlich nicht bloß Antriebsfeder für einen klassischen Roadmovie-Thrillerplot, sondern auch für ein Charakterdrama. Wenn sich Earl mit der Zeit langsam darauf besinnt, worauf es im Leben wirklich ankommt – Familie nämlich – und dafür schließlich sogar sein Leben riskiert, meint man gar eine gewisse Form der Selbstreferenz zu erkennen.

Zwar basiert das Drehbuch lose auf der wahren Geschichte des Drogenkuriers Leo Sharp, aber es würde nicht wundern, sollte «The Mule» von Clint Eastwood auch ein wenig die Entschuldigung an seine eigene Familie sein, der er aufgrund seiner Hollywoodkarriere nur wenig Aufmerksamkeit widmen konnte. Dass es zudem Eastwoods Tochter Alison Eastwood («Mitternacht im Garten von Gut und Böse») ist, die hier in die Rolle von Earls Tochter schlüpft, bekräftigt diesen auf Spekulationen basierenden Eindruck zusätzlich.

Clint Eastwood noch einmal als «The Mule» nahezu vollständig auf seinen Schultern tragenden Schauspieler zuzusehen, macht zweifelsfrei Laune. Dafür ist der mittlerweile 88-Jährige einfach ein zu guter Akteur, als dass man sich seiner leidenschaftlichen Performance vollständig entziehen könnte. Genauso hat das Drehbuch einige schöne Einzelszenen mit ihm parat, in denen seine Lebensweisheit auf das illegale Umfeld prallt, in dem er eigentlich überhaupt nichts zu suchen hat (wenn er irgendwann bei der zweiten Fuhre plötzlich begreift, was genau er da eigentlich transportiert, kann man ihm gleichzeitig größtmögliche Naivität, aber auch einfach ungeheure Gutmütigkeit attestieren). Gleichzeitig inszeniert sich Eastwood hier aber auch zu gern als Dandy und Frauenheld, obwohl es für den weiteren Verlauf der Story überhaupt keine Rolle spielt – und es so sehr fragwürdig ist, ob hier wirklich im Sinne des Films, oder aber in seinem persönlichen gedacht wurde. Immer wieder gleitet die Kamera von Yves Bélanger («Demolition») lasziv über Frauenkörper und gleich zweimal lässt sich Eastwood im Rahmen einer Menage à Trois vor laufender Kamera verführen. Und obwohl Earl im Laufe des Films selbstkritisch über sich und sein Leben reflektiert, bleibt gerade am Ende doch kaum etwas Kritikwürdiges an seiner Figur haften; eher im Gegenteil.

Da ist es fast ein Selbstgänger, dass auch der ausnahmslos aus Superstars bestehende Nebendarstellercast kaum Gelegenheit hat, gegen ihn anzuspielen. Nicht einmal ausgereifte Charakterzeichnungen bekommen sie spendiert. Bradley Cooper («A Star is Born») mimt den besessenen Cop genauso einfältig wie Michael Peña («Ant-Man and the Wasp») den geduldigen Handlanger oder Taissa Farmiga («The Nun») Earls ihren Großvater verstehen lernende Enkelin.

Fazit


Formal gesehen ist «The Mule» ein unterhaltsames Roadmovie mit Thrillereinschlag, das vor allem dank Clint Eastwood brilliert. Doch immer wieder lotet der Regisseur und Schauspieler die Grenzen des guten Geschmacks aus, was irritiert. Auch wenn er das vermutlich genauso wenig böse meint, wie seine hier dargestellte Figur das N-Wort.

«The Mule» ist ab dem 31. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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