Interview

Drehbuchautor Erol Yesilkaya: 'Der «Tatort» ist ein verdammt hartes Spielfeld'

von   |  1 Kommentar

«Tatort»-Autor Erol Yesilkaya verantwortete schon einen introvertierten Murot-Fall und einen exzentrischen Meta-Fall in Berlin. Nun vereint er für das Team in Franken Spannung mit Gefühl.

Zur Person

  • Erol Yesilkaya wuchs in Krefeld auf
  • Seit 2008 lebt er in Berlin
  • Er verfasste unter anderem «Gonger 1 & 2» sowie «Die 13. Wahrheit - Uwe Ochsenknecht erzählt»
  • Befindet sich nach eigenen Aussagen in einer Arbeitsehe mit Regisseur Sebastian Marka
  • Verfasste mehrere «Notruf Hafenkante»-Drehbücher
  • Ist seit einigen Jahren gefragter «Tatort»-Autor, schrieb unter anderem den Grimme-nominierten Berlin-«Tatort» «Meta»
Der Franken-«Tatort» «Ein Tag wie jeder andere» ist nicht so aufgebaut wie ein alltäglicher «Tatort». Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfahren haben, dass dieser dezent-atypische Film eine Woche nach dem durch und durch gegen die «Tatort»-Konventionen verstoßenden «Murot und das Murmeltier» läuft?
Ich habe die Programmplanung ehrlich gesagt nicht so genau verfolgt – ich habe das jetzt erst durch Sie erfahren! (lacht) Aber ich find es super. Ich bin ja ein Freund ungewöhnlicher «Tatort»-Folgen, wie man vielleicht auch an einigen meiner Fälle sehen kann. Doch der breiten Masse gefallen die völlig abgedrehten «Tatorte» ja nicht unbedingt. So gesehen ist das vom Ersten klug geplant: Murot hat zwar eine feste, eingeschworene Fangemeinde – aber genauso gibt es Leute, die bei ihm von vornherein sagen: "Das ist nicht das, was ich am Sonntagabend beim «Tatort» sehen will". Diese Leute dann eine Woche später mit einem Thriller wie «Ein Tag wie jeder andere» zurückzuholen, ist schon clever. «Ein Tag wie jeder andere» ist zwar auch kein Whodunnit im «Tatort»-Stil, aber er erfüllt von der Tonalität vielleicht eher die Anforderungen, die das Publikum an einen «Tatort» hat.

Sie haben bereits exzentrische «Tatort»-Ausgaben geschrieben sowie ruhig-dramatische. Wie entscheidet sich stets, in welche Richtung Sie mit Ihrem nächsten Krimi gehen wollen?
Ich befinde mich ja mit Regisseur Sebastian Marka quasi in einer Kreativehe, und unser Gedanke ist meist, dass wir Abwechslung in unserem Schaffen haben wollen. Und solche Abwechslung wollen wir auch den Zuschauern geben. Wir haben zum Beispiel ja auch einen Murot-«Tatort» gemacht, und zwar «Es lebe der Tod». Der kam nach zwei konzeptionell sehr auffälligen, selbstreflexiven Folgen innerhalb dieser Reihe – unser Film war dagegen bewusst anders. Eher zurückgenommen, er sollte fast wie ein Theaterstück anmuten. Später haben wir «Tatort – Meta» gemacht, um zu zeigen: Wir können auch extrovertiert und selbstreflexiv sowie wild sein. Der Franken-«Tatort» jetzt ist eher ein "Publikumsfilm". Ein emotionaler, spannender Thriller.

Ich weiß: Wenn ich es machen will, wird er es auch machen wollen. Insofern führt unsere Arbeitsehe dazu, dass wir erst später im Arbeitsprozess miteinander reden. Auf der anderen Seite entstehen Ideen für unsere Filme oft zufällig in Gesprächen, die eigentlich nichts mit Film zu tun haben:
Erol Yesilkaya über seine Zusammenarbeit mit Regisseur Sebastian Marka
Wie läuft so eine Arbeitsehe zwischen Regisseur und Autor ab, wie verschieben sich die Prozesse über die Jahre? Kommt Sebsastian Marka immer später im Arbeitsprozess hinzu, weil er Ihnen immer mehr vertraut? Oder holen Sie ihn sogar immer früher ins Boot, weil Sie seinen Input haben möchten?
Beides! (lacht) Wir sind über die Jahre eng zusammengewachsen. Er hatte sein Langfilm-Regiedebüt mit «Tatort – Das Haus am Ende der Straße» – das war etwas richtig besonderes. Damals hat nur der HR den «Tatort» einem Debütanten anvertraut. Und für mich war dieser Film der erste «Tatort», bei dem ich für den Großteil des Skripts verantwortlich war – Michael Proehl hat an diesem Drehbuch auch mitgearbeitet, doch dieses Mal hatte es viel von meiner Handschrift und ich hatte mir auch die Geschichte ausgedacht. Sebastian und ich haben bei diesem Film gemerkt, dass wir einen sehr ähnlichen Geschmack haben und uns auch menschlich sehr gut verstehen. Wir leben auch nah beieinander und unsere Kinder sind in einem ähnlichen Alter. Dadurch wurden wir nicht nur zu Arbeitskollegen, sondern zu richtigen Freunden.

Worauf ich damit hinaus möchte: Wir kennen uns so gut – wenn mir ein Projekt angeboten wird oder ich ein Projekt irgendwo anbiete, muss ich mich vorher eigentlich gar nicht mit Sebastian darüber austauschen. Ich weiß: Wenn ich es machen will, wird er es auch machen wollen. Insofern führt unsere Arbeitsehe dazu, dass wir erst später im Arbeitsprozess miteinander reden. Auf der anderen Seite entstehen Ideen für unsere Filme oft zufällig in Gesprächen, die eigentlich nichts mit Film zu tun haben: Beim Mittagessen oder während einer Autofahrt. Also lange, bevor es ein Exposé oder Drehbuch gibt. So gesehen ist er dann früher im Boot, als es mit anderen Regisseuren der Fall ist.

Dieses Vertrauen zueinander führt auch dazu, dass er es mir gestattet, in seinen Entscheidungsbereich einzudringen: Wenn ich Drehbücher für ihn schreibe, gibt es hier und da Inszenierungsvorschläge oder ich nenne einen Song, der im Film laufen soll – Dinge, die viele Regisseure nur ungern von Autoren annehmen wollen. Ich werde auch in den Schnitt des Films mit einbezogen, was extrem selten ist. Dieses blinde Vertrauen untereinander führt aber auch dazu, dass ich ihm freie Hand gebe, wenn etwas am Drehbuch angepasst werden muss. Fällt ihm beim Dreh ad hoc etwas ein, dann kann er es, ohne mit mir Rücksprache zu halten, umformulieren. Er ist als Autor so gut, dass das bestens klappt – und wir respektieren uns so sehr, dass wir da keine Grenzen zwischen den Aufgaben ziehen müssen. Damit ist unsere Arbeit gegen den aktuellen Strom in der Branche gebürstet – aktuell kämpfen Autoren ja darum, dass Regisseure nicht mehr einfach so am Drehbuch rumdoktern dürfen.


In Zuschauerbriefen stand dann etwa: "Was soll das? Ich zahle Unmengen an GEZ-Beitragsgeldern und ihr gebt uns nichtmal die komplette Bildinformation?!" Das stimmt natürlich nicht.
Erol Yesilkaya verrät, wie das TV-Publikum mitunter auf «Tatort»-Ausgaben im Kino-Bildformat reagiert
Ihr habt gemeinsam an so vielen verschiedenen «Tatort»-Teams gearbeitet und mit Filmen wie «Meta» mit den Sehgewohnheiten gespielt – ist euch je das Regelbuch untergekommen, das in der Vorstellung vieler Fernsehender existiert?
Nein. Ich habe nie ein echtes Regelbuch gesehen. Aber es gibt definitiv ungeschriebene Gesetze, wobei man von deren Existenz oft erst dann erfährt, wenn man sie unwissentlich der Reihe nach bricht. Was uns tatsächlich regelmäßig passiert. (lacht) So sind wir zum Beispiel mehrmals auf Widerstand gestoßen, wenn wir uns eine Kinovisualität für einen «Tatort» gewünscht haben, also wenn ein Film im Bildformat 1:2.35 gedreht werden soll - quasi in einem Format "mit Balken", wie man auf Deutsch so schön sagt. Da hieß es von Seiten der Redaktionen, dass man das nur ungern mache, da es negative Zuschauerresonanz gab. In Zuschauerbriefen stand dann etwa: "Was soll das? Ich zahle Unmengen an GEZ-Beitragsgeldern und ihr gebt uns nichtmal die komplette Bildinformation?!" Das stimmt natürlich nicht. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass nicht alle Menschen Experten in filmtechnischen Fragen sein können. Aber es wäre trotzdem schön, wenn mehr visuelle Aufgeschlossenheit der Zuschauer da wäre.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt nur ein ungeschriebenes «Tatort»-Regelbuch. Was aber in geschriebener Form existiert, ist die sogenannte Showbibel für jede einzelne «Tatort»-Reihe, worin zum Beispiel die Figuren erläutert werden.

Ist die Showbibel denn etwas, dass Sie schon nutzen mussten oder kennen Sie die «Tatort»-Teams berufsbedingt eh schon bestens?
Ich muss gestehen: Ich war früher eher ein «Tatort»-Gucker aus Berufsgründen. Da musste man dann bei einem fremden Team durchaus mal auf die Showbibel zurückgreifen. Mittlerweile aber schaue ich «Tatort» auch im "zivilen Leben". Einfach, weil ich das Gefühl habe, dass der «Tatort» in den vergangenen Jahren immer sehenswerter geworden ist. Ich denke, dass immer mehr frisches Blut reinkam und mehr Kreativität. So viele Filmemacher, die ich spannend finde, machen inzwischen«Tatort», das hat es früher nicht gegeben.

vorherige Seite « » nächste Seite

Kurz-URL: qmde.de/107446
Finde ich...
super
schade
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«Sechs auf einen Streich»: Dreh für «Das Märchen von den zwölf Monaten» hat begonnen«nächster ArtikelDer Academy-Award-Jahrgang mit dem Motto 'Ach, nee, doch nicht!'
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
23.02.2019 13:57 Uhr 1
Sehr interessantes Interview! Danke! 8)





Der absolut einzige tatort, der in der Filmlänge "ausbrechen" durfte, war dee Til Schweiger Kino - tatort....ich werde das auch nie verstehen, daß die ARD da nicht mal locker lässt, daß alle tatort um die 88min. lang sein müßen!!! :oops:
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung