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Wir sind keine Wissenschaftler, die in Kitteln rumlaufen und in Reagenzgläsern Chemikalien zusammenrühren. Wir sind Geschichtenerzähler. Und Film ist wie eine Sprache. Ein «Tatort»-Experiment ist also nichts anderes als ein «Tatort» in einer Filmsprache, die gewissen Teilen des Publikums noch ungewohnt vorkommt.
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Erol Yesilkaya
Sebastian Marka und ich wollten mal einen «Tatort» machen, der in einer eingeschneiten Hütte spielt. Plötzlich wird jemand ermordet und der Ermittler musste rausfinden, wer aus dem begrenzten Personenkreis der Mörder ist. Und dann kündigte Quentin Tarantino «The Hateful 8» an. Wir dachten da nur noch: "Na gut, dann machen wir das eben nicht." (lacht)
Oder Sie machen das als große Tarantino-Hommage, woraufhin sicher wieder die Debatte über «Tatort»-Experimente hochkocht, von denen es ja aufgrund der Reaktionen einiger Fernsehender künftig angeblich weniger geben soll ...
Ich mag den Begriff "Experiment" ja im Bezug auf ungewöhnliche «Tatort», nicht sehr. Wir sind keine Wissenschaftler, die in Kitteln rumlaufen und in Reagenzgläsern Chemikalien zusammenrühren. Wir sind Geschichtenerzähler. Und Film ist wie eine Sprache. Ein «Tatort»-Experiment ist also nichts anderes als ein «Tatort» in einer Filmsprache, die gewissen Teilen des Publikums noch ungewohnt vorkommt. Aber wenn Zuschauer sich von vornherein völlig versperren, statt sich das mal neugierig anzuschauen, dann wird man diese Sprache auch nie lernen. Wär doch schade.
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Das kann ich gut nachvollziehen. Die klassische Filmkritik ist eine wertvolle Sache, sie ist mehr als nur "Daumen rauf" oder "Daumen runter". Sie ist, und das meine ich im positiven Sinne, quasi die populäre, angewandte Form der Filmwissenschaft. Eine gelungene Kritik kann nicht nur leisten, dass Leute einem Film eine Chance geben, den sie sonst vielleicht niemals geguckt hätten, sondern dass sie den Film unter neuen Gesichtspunkten anschauen und verstehen. Da sind wir wieder beim Film als Sprache.
Deshalb ist es so schade, dass Kritik heute oft nur als PR-Tool gesehen wird, als reines Benoten. Darum sollte es eigentlich nicht primär gehen. Aber natürlich ist diese Form der Kritik auch sehr zugänglich und dadurch effektiv. Das merke ich ja an mir selbst. Ich will auch wissen, wie viele Punkte, Sterne oder Prozente mein «Tatort» bekommt.
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Die klassische Filmkritik ist eine wertvolle Sache, sie ist mehr als nur "Daumen rauf" oder "Daumen runter". Sie ist, und das meine ich im positiven Sinne, quasi die populäre, angewandte Form der Filmwissenschaft. Eine gelungene Kritik kann nicht nur leisten, dass Leute einem Film eine Chance geben, den sie sonst vielleicht niemals geguckt hätten, sondern dass sie den Film unter neuen Gesichtspunkten anschauen und verstehen.
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Erol Yesilkaya über Filmkritik
Ja! Ich guck mir Internetkommentare an. In Foren, sozialen Netzwerken oder unter Kritiken meiner Filme … Und, wow, die sind manchmal unheimlich brutal! Wie leicht sich Menschen in Kommentaren zum Wunsch nach Berufsverbot und sogar Mordwünschen hinreißen lassen! Erstaunlich! Aber: Wenn man diese extremen Kommentare ausblendet, kriegt man von den gemäßigten schnell ein Gefühl dafür, wie ein Film im Durchschnitt ankommt. Man kann sogar manchmao sehen, wie sich die Meinung dreht. «Meta» bekam zum Beispiel im Vorfeld viele negative Kommentare: "Nicht schon wieder so ein seltsamer, komplizierter «Tatort». Nicht schon wieder so ein Experiment, so eine verkopfte Scheiße will ich nicht!" und so weiter … Aber während der Film dann lief hat sich die Meinung komplett ins Positive gedreht, Leute haben letztlich geschrieben: "Sorry, kann nicht weiter schreiben, muss den Film gucken!" (lacht)
Der «Tatort» ist auf jeden Fall ein verdammt hartes Spielfeld, um zu lernen, was beim Publikum geht und was nicht. Da gucken so viele Leute zu und alle erheben Anspruch darauf, zu wissen, was richtig ist und was falsch. Das ist ein bisschen wie beim Fußball: Jeder ist Experte.
Würden Sie vor dem Hintergrund sagen, dass es schwer ist, im deutschen Fernsehen einen Film zu machen, der nicht klar in eine Schublade passt?
Überhaupt nicht. Im Fernsehen bekommt man durchaus seine Freiheiten, vor allem, wenn durch so eine Marke wie «Tatort» eine gewisse Reichweite nahezu garantiert ist. Man achte nur mal auf die Filme, die Sebastian Marka und ich gemeinsam gemacht haben. Auf die Gefahr hin, sie nun allen für immer zu verderben, aber es gibt eine Art Muster in unseren «Tatorten» (lacht). Man könnte das als eigenen Stil beschreiben: Wir beginnen unsere Filme oft in einem Genre, und dann kommt ungefähr in der Mitte eine Zäsur, woraufhin wir das Genre ändern – bei «Ein Tag wie jeder andere» ändern wir sogar den Protagonisten des Films. Wir mögen sowas – und dürfen das im Fernsehen machen.
Im deutschen Kino dagegen … (seufzt): Da gibt es klare Vorstellungen, wie ein Film aussehen muss. Wenig Spielraum für ungewöhnliches Erzählen oder stilistische Besonderheiten. Es gibt natürlich Ausnahmen. Aber generell wollen die Verantwortlichen, dass ein Film klar in eine Schublade passt und so besser zu vermarkten ist. Jugendorientierte Komödien müssen knallige Farben haben. Mainstream-Komödien haben oft Pipi- und Kackahumor und so weiter.
Mir gegenüber wurde mal in einer Besprechung Bernd Eichinger zitiert, der einst gesagt hat "Auf jede dritte Seite gehört ein Gag". Mit der Begründung wurde mal ein Skript von mir abgelehnt. Mein Gegegnüber blätterte auf eine Seite, meinte: "Kein Gag!" Ging drei Seiten weiter: "Kein Gag". Nochmal drei Seiten später: "Kein Gag!" Meine Antwort war: "Da gehört auch kein Gag hin. Das ist keine Komödie." Beim Fernsehen stimmt natürlich auch nicht alles. Die Budgets sind zu klein, man hat weniger Drehzeit. Man muss eine vorgeschriebene Filmlänge bis auf die Sekunde einhalten. Außerdem musst du rascher erzählen, weil immer die Möglichkeit besteht, dass die Leute abschalten. Im Kino kannst du mehr "brüten".
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Im deutschen Kino dagegen … (seufzt): Da gibt es klare Vorstellungen, wie ein Film aussehen muss. Wenig Spielraum für ungewöhnliches Erzählen oder stilistische Besonderheiten. Es gibt natürlich Ausnahmen. Aber generell wollen die Verantwortlichen, dass ein Film klar in eine Schublade passt und so besser zu vermarkten ist.
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Erol Yesilkaya
Es stimmt schon, dass diese vertraglich vorgeschriebenen 88 Minuten und einige Sekunden, die eingehalten werden müssen, damit der Programmablauf nicht durcheinander gerät, gelegentlich für Kopfschmerzen sorgen. Sebastian und ich, wir hatten schon öfter den Wunsch, drei, vier Minuten mehr zu haben, damit wir einen gewissen Erzählrhythmus durchziehen können. Das erste Mal, dass ich bei einem «Tatort» von uns mit dem Pacing, dem Erzähltempo, vollauf glücklich war, war nun beim Franken-«Tatort». Und selbst da gibt es eine Kleinigkeit, die etwas gehetzt ist.
Jedoch ist es ein Preis, den ich gerne zahle, wenn wir weiter unsere verschrobenen Ideen umsetzen dürfen. Abgesehen von der Filmlänge bin ich nämlich sehr glücklich damit, was wir im Fernsehen erzählen dürfen. Letztlich verzeiht das Publikum auch, wenn das Pacing nicht absolut perfekt ist, oder wie verschroben oder normal eine Idee ist, so lange die Geschichte emotional involviert. Das ist das Tolle an unserer Arbeit: «Meta» und «Ein Tag wie jeder andere» sind vielleicht keine typischen «Tatorte», aber ich glaube, dass sie die Zuschauer so involvieren, dass sie die Akzeptanz des Publikums für Filme fördern, die in einer ungewohnten filmischen Sprach gehalten sind.
Vielen Dank für das Gespräch.
«Tatort – Ein Tag wie jeder andere» ist am 24. Januar 2019 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
23.02.2019 13:57 Uhr 1
Der absolut einzige tatort, der in der Filmlänge "ausbrechen" durfte, war dee Til Schweiger Kino - tatort....ich werde das auch nie verstehen, daß die ARD da nicht mal locker lässt, daß alle tatort um die 88min. lang sein müßen!!! :oops: