Popcorn & Rollenwechsel

Zwei weitere «Avengers || Endgame»-Spoilergedanken

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Nun, da «Avengers || Endgame» an den globalen Kinokassen «Titanic» geschlagen hat und somit der zweiterfolgreichste Film der bisherigen Leinwandgeschichte ist, wird es Zeit für eine weitere Spoiler-Debatte.


Schwächen, die ich bislang vage umschreiben musste


Filmfacts: «Avengers || Endgame»

  • Regie: Joe & Anthony Russo
  • Drehbuch: Christopher Markus & Stephen McFeely
  • Produktion: Kevin Feige
  • Darsteller: Robert Downey junior, Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Joahnsson, Jeremy Renner, Don Cheadle, Paul Rudd, Brie Larson, Karen Gillan, Danai Gurira, Bradley Cooper, Gwyneth Paltrow, Josh Brolin
  • Kamera: Trent Opaloch
  • Schnitt: Jeffrey Ford, Matthew Schmidt
  • Musik: Alan Silvestri
  • Laufzeit: 182 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Spoilerfreie Vorabkritiken zu solchen Filmen wie «Avengers || Endgame» bedeuten auch, einiges Lob verklausuliert formulieren zu müssen und ebenso einige Kritikpunkte nur in groben Termini ansprechen zu können. Nun aber kann ich ja endlich konkret auf die große Finalschlacht in «Avengers || Endgame» eingehen. Also: Ich finde sie ästhetisch eher ernüchternd. Der letzte Kampf gegen Thanos erstrahlt in einem matschigen Mischmasch aus stählernem Blau, staubigem Braun und düsterem Grau. Und dann wuseln auch noch (fast) alle Heldinnen und Helden aus den bisherigen Marvel-Cinematic-Universe-Filmen und eine Horde an Thanos-Untertanen über die Leinwand. Da finde ich den in einer helleren Umgebung stattfindenden Kampf in Wakanda im letzten «Avengers | Infinity War»-Drittel und den Kampf am Flughafen in «The First Avenger: Civil War» sowie natürlich die Schlacht von New York im ersten «Avengers» deutlich übersichtlicher gefilmt sowie visuell klarer – und die Kampfchoreografie in den Massenszenen ist bei diesen Beispielen auch griffiger als in «Avengers || Endgame».

Aber: Was die letzte Schlacht in «Avengers || Endgame» davon abhält, eine Enttäuschung zu sein, und sogar eben doch noch zu einem großen Vergnügen macht, sind zwei Aspekte. Einerseits: Erzählerisch ist sie einfach so verflixt befriedigend. Die verbliebenen Avengers haben so hart darum gekämpft, das Depri-Ende von «Avengers | Infinity War» rückgängig zu machen, dass diese letzte Schlacht gegen Thanos emotional sehr involvierend ist. Hinzu kommt, dass das, was das gelegentliche Getümmel an fesselnder Kampfchoreografie zuweilen missen lässt, durch eine sehr straffe innere Dramaturgie dieser Filmpassage wett macht – und durch die zielgenau platzierten Charaktermomente.

Andere Kleinigkeiten, die ich an «Avengers || Endgame» zu kritteln hätte: Mir persönlich dürfte der erste Akt länger sein, die «The Leftovers»-eske Strecke, in der die emotionalen Auswirkungen des «Avengers | Infinity War»-Endes ausgelotet werden. Aber, klar, es ist schon ein Mammutakt, einen dreistündigen Superheldenfilm aufzutischen, in dem es 70 Minuten bis zur ersten ernstzunehmenden Actionszene dauert. Das noch weiter nach hinten zu schieben, wäre wohl leider knifflig, will man das Publikum bei der Stange halten. Und: Ich persönlich finde im direkten Vergleich das Wiedersehen zwischen Thor und seiner Mutter Frigga berührender als das zwischen Tony und seinem Vater Howard – während die Szene in Asgard menschelt und emotionale Höhen und Tiefen durchläuft, ist das (von einer Hälfte nicht als solches erkannte) Vater-Sohn-Gespräch in New Jersey mir etwas zu kalkuliert, es kostet zu lange die dramatische Ironie dieser Situation aus. Ich würde daher der ersteren Szene ein paar Sekunden der zweiteren schenken, wenn ich könnte.

Thors Handlungsbogen ist rührend, keine reine Lachnummer


Es mag eine Minderheit sein, die mit Thors Storyfaden in «Avengers || Endgame» ein Problem hat, dennoch ist sie laut genug, dass es auffällt: Es gibt Fans, die erbost sind, dass in «Avengers || Endgame» aus dem kriegerischen Halbgott, der sich bereits in seinem letzten Solofilm aus einem Tief hoch gekämpft hat, ein wabbeliger, trunkener Gamer wird. Vereinzelt wird dem Film sogar aufgrund mancher Seitenhiebe gegen Thors Äußeres Fatshaming vorgeworfen.

Ich finde Thors Wandlung in «Avengers || Endgame» klasse. Sie ist pfiffig, nuanciert und einfühlsam geschrieben und genau der richtige Weg, den man mit Thor nach den bisherigen «Avengers»-Filmen und seinen Soloabenteuern einschlagen muss. Generell finde ich es eine sehr gute künstlerische Entscheidung, in einem Film über eine sich als Rächer titulierende Heldentruppe zu zeigen, wie ein als Krieger groß gezogener Hüne eiskalte Blutrache an einem wehrlosen Täter begeht und danach in einer Krise gezeigt wird. Es ist ein erzählerisches Element der kritischen Introspektive, wie es sich wenige große, abenteuerliche Unterhaltungsfilme gestatten. Und Thor ist die perfekte Figur für diesen Storyfaden:

Er lebte rund 1.000 Jahre im Gedanken, Krieg sei die Antwort auf alles, ihm wurde von Geburt an der Thron versprochen. Und innerhalb weniger Jahre musste er seine Werte neu justieren, verlor seine besten Freunde, verlor seine Mutter, verlor seine Freundin, verlor seinen Vater, verlor seine geliebte Waffe, die er als Teil seines Wesens verstand, verlor seine Heimat, verlor seinen Bruder, verlor mehrere wichtige Kämpfe, verlor den wichtigsten Kampf seines Lebens und verlor letztlich den Glauben daran, dass das, was er sein Leben lang getan hat, ihm Genugtuung verschaffen kann. Ja, verdammt, natürlich hat Thor eine Sinnkrise und verzieht sich mit verantwortungslosen, lustigen Timon-und-Pumbaa-Kumpels in eine Junggesellenbude, wo getrunken, gezockt und gefressen wird. Natürlich geht er auf wie ein Hefeteig.

Ja, «Avengers || Endgame» zieht Humor aus Thors Erscheinung – wobei die Russos die Szenen in meinen Augen nicht ausspielen wie "Haha, da ist jemand fett!", sondern eher wie ein "Welch absurder Anblick, diesen einst so arroganten Krieger nun ganz anders zu erleben", was ein kleiner, aber wichtiger Unterschied ist. Gewiss, manche Figuren verpassen ihm einige freche Sprüche – aber diese Neckereien sind typisch für diese Egos, und die Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely machen mehr als deutlich, wo sie schlussendlich stehen: Sie erachten Thor auch nach seinen Niederlagen, nach seiner Phase der Völlerei, Faulenzerei und Selbstanschuldigungen als würdig. Sie zeichnen ihn als jemanden, der einfach nur Gutes tun will und dazu weiterhin fähig ist, egal wie aufgedunsen und emotional angeschlagen er ist. Wie kann man das als reine Gagnummer erachten?

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