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Es scheint, als gehöre die ewige Diskussion um den deutschen Vorentscheid als Grundzutat zum bundesgermanischen Meckergericht, das jährlich der deutschen Zuschauerschaft serviert wird. Was wird jedes Jahr geschimpft: Der Song ist zu lahm, der Vorentscheid bot kaum Spektakuläres, der Singer/Songwriter-Wettbewerb wird nicht widergespiegelt, die Auswahl ist ein Witz, es kommt beim Siegersong keinerlei Euphorie auf, das gewählte Lied passt absolut Null zum Wettbewerb. Katastrophentouristen würden sagen, dass der diesjährige Jahrgang all diese Komponenten vereint habe. 2019 ist ein Mekka für all die Kritiker. Und der NDR muss dringend am Vorentscheid arbeiten. Auch, wenn der deutsche Beitrag wider Erwarten doch über das letzte Drittel in der Punktetabelle hinaus erfolgreich wird.
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Nicht mal für ein Musikvideo pünktlich zur heißen Promo-Phase hat der Wettbewerbsgeist des NDR gereicht. Als offiziellen Videoclip für die «ESC»-Kanäle, der in den Wochen vor dem Wettbewerb in allen Herren Ländern angesehen wird, lieferte man einen Mitschnitt des Auftrittes beim Vorentscheid. Für den größten Geldgeber des Verbandes ein Armutszeugnis. Wieso man erst zwei Tage vor dem Finale ein Musikvideo zum Song veröffentlicht, entzieht sich jeder Logik. Promotion-Auftritte und Rotation im Radio für den Song waren dünn gesät und im Winde verflogen und so wundert es niemanden, dass unser Beitrag sich nicht mal in den deutschen Charts platzieren konnte. Peinlich. Wieso man hier nicht auf das bundesweite Sendernetz der hauseigenen Radios zugreift und den Song größtmöglich anschiebt, bleibt ungewiss. Man hat ja die Ressourcen, man muss sie nur nutzen.
Ein ganz anderes Problem ist der Umgang mit dem «Eurovision Song Contest» an sich beim NDR. Man hat ihn noch immer nicht verstanden. Es braucht kein Bootcamp mit Songwritern, die mit einem Algorithmus den perfekten Popsong zimmern. Es braucht eine Geschichte hinter dem Song, eine Geschichte hinter dem Interpreten. Die S!sters singen über Schwestern und Zusammenhalt unter den Frauen, obwohl sie sich erst seit ein paar Wochen kennen und natürlich mitnichten verwandt sind. Wer soll uns das denn glauben? Musikalisch bietet der Song genau das, was uns in all den Jahren des Scheiterns das Genick gebrochen hat: Ein Potpourri aus austauschbarer und dahinsiechender Langeweile, hochkonzentriert in drei Minuten zusammengerafft. Man lernt es einfach nicht.
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Mit Aly Ryan hatte man eine Dame im Rennen, die einen halbwegs schmissigen Ohrwurm mit hängenbleibenden Trompeten-Fanfaren im Refrain und bestrahlten Trickkleidern geliefert hätte. Zugegeben, Trickkleider beim «ESC» sind natürlich immer der Running Gag – allerdings passte dieses Stilmittel in Verbindung mit dem Songtitel „Wear Your Love“ vergleichsweise besser wie nie. Lily Among Clouds warf mit „Surprise“ eine für Deutschland gänzlich neue Art der Musik in den Topf der Wettbewerber und hätte die Nation zumindest weitaus interessanter vertreten als es die S!sters am heutigen Abend tun werden. Beide Beiträge wären für all die Zuschauer aufregender gewesen als das, was wir dieses Jahr auf der größten Musikbühne der Welt darbieten. Und beide hätten eine Geschichte zu erzählen gehabt, die nicht in irgendeinem Großraumbüro am Whiteboard zusammengezimmert worden ist. Aber, um es mit einem der größten Philosophen der Neuzeit zu sagen: Wäre, wäre, Fahrradkette. Ob die beiden Damen besser abgeschnitten hätten, werden wir nie erfahren.
Zu allem Überfluss hat man auch noch die Bühnenshow der beiden Damen zusammengestrichen. Hatte man beim Vorentscheid noch eine sich drehendes Podest, auf dem die beiden Akteurinnen sich während des Songs immer wieder entfernen und annähern, hat man auch dieses Stilmittel wieder gestrichen. So bleibt nur stehen und aufeinander zulaufen übrig. Es passiert nicht viel, man hat sich also mit der Bühnenperformance an den Song angepasst. Immerhin konsequent.
In den Wettquoten stand Deutschland kurz vor Beginn des ersten Halbfinals auf Platz 28 von 41 Startern – heute, nachdem das zweite Halbfinale vorüber war und auch die endgültige Startreihenfolge bekannt gegeben wurde, steht Deutschland nun auf dem letzten Platz der Buchmacher. Die Positionen sind wahrlich nicht in Stein gemeißelt, waren aber jedes Jahr ein verlässlicher Kompass dafür, wo die Reise schlussendlich hingeht. Und es wundert niemanden.
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Waren die letzten Ausgaben mit 20.000 bis 30.000 Zuschauern doch wesentlich pompöser und demnach auch stimmungstechnisch ein wahres Highlight. Somit ist der diesjährige Jahrgang die zuschauerschwächste Ausgabe seit 1999 – die übrigens ebenfalls in Israel stattfand, damals in Jerusalem. Alternativen in Haifa und eben Jerusalem mit doppelter oder gar dreifacher Kapazität haben den Zuschlag nicht erhalten. Natürlich heißt das nicht, dass in der vergleichsweisen kleinen Halle die Veranstaltung in Turnhallen-Atmosphäre verfällt. Angesichts der vielen Fans, die jährlich anreisen und der Schnelligkeit der Ticketverkäufe in den größten Hallen der letzten Jahre ist allerdings die Frage erlaubt, ob man nicht mehr Fans mit einem Ticket hätte ins Land locken können. Es ist 2019 alles kleiner gehalten, als wir es von den Vorjahren gewohnt sind.
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Es gibt 19 Kommentare zum Artikel
18.05.2019 10:42 Uhr 1
Diese blonde Göre wird uns den Auftritt vermasseln und das zu 100%.
Die Sisters haben das große Glück das dieses Jahr sehr viele Songs mies sind und somit Deutschland die Chance hat doch nicht den letzten Platz einnehmen zu können.
Mein Tipp 20+
18.05.2019 11:21 Uhr 2
Die letzten Jahre waren allgemein eher Promoschwach. Aber bei S!sters fiel selbst der obligatorische Besuch in der NDR Talkshow weg. :?
Wenn ich mich auf YT so durchklicke, habe ich aber den Eindruck, dass die meisten den Song gar nicht so übel finden. Zumindest was die Leute im Ausland betrifft und auf die kommts ja bekanntlich an. Und die Message ist doch auch total ESC tauglich.
18.05.2019 12:58 Uhr 3
Bitteschön:
18.05.2019 13:02 Uhr 4
18.05.2019 13:09 Uhr 5
Dankeschön.
Ja gut. Definitiv weniger als Schulte. Den sah ich zumindest auch ständig in irgendwelchen Sendungen, wobei ich mir da gar nicht so sicher bin, ob das meiste auch erst nach dem ESC war.
18.05.2019 13:12 Uhr 6
Sowie in diversen Sendungen. Von den 2 Mädels habe ich gott sei dank nichts mitbekommen. Verhalten wie 6 jährige.
18.05.2019 13:58 Uhr 7
Wo ist da das Neue? Wo ist das Frische? Wo ist das Aha-Erlebnis?
Das hört sich leider nur so an, als würden bei Karaoke zwei Mädchen einen Song von Ed Sheeran singen
(ich kenne das aus Erfahrung
Genau dessen Musikstil ist das nämlich! Nur eben schlecht umgesetzt!
18.05.2019 14:20 Uhr 8
18.05.2019 15:30 Uhr 9
Die Stimmung gegen den Song hat sich zumindest bei YT längst ins Positive gedreht und nach paarmaligem Hören finde ich ihn gar nicht soooo schlecht, hat schon ne gewisse ESC-Dramatik durch die Streicher und immerhin ist es kein Lovesong
18.05.2019 16:40 Uhr 10