Das Kino zeigt durch seine Filmbewegungen seine Lust nach erfrischenden und neuen Seiten. Doch nicht nur der filmische Westen betreibt diese Suche nach dem Neuen, auch der Osten hat eine reiche Historie an unterschiedlichen Filmgenres und Bewegungen. In Japan beispielsweise war der Filmemacher Akira Kurosawa derjenige, der dem Land filmische Schätze wie «Die sieben Samurai» (1954) und «Ikiru – Einmal wirklich leben» (1952) bescherte, die in der internationalen Filmgeschichte bis heute ein enormes Gewicht haben. Doch lange Zeit blieb es still um den kleinen Nachbarn Korea, der auch heute noch von den politischen Differenzen zwischen dem Norden und Süden gekennzeichnet ist. Die Bedeutung, als auch das Selbstverständnis des südkoreanischen Films änderte sich jedoch zu Beginn der 2000er drastisch. Seitdem gilt Südkorea als eine Filmnation, die nicht nur regelmäßig auf den großen Filmfestivals der Welt vertreten ist, sondern sie auch nicht selten dominiert.
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Keine drei Jahre später erschien Bong Joon-hos «Memories of Murder» (2003), der auf den ersten Blick die Suche nach dem ersten Serienmörder Südkoreas abbildet, unter der Oberfläche jedoch mehrere Genres miteinander vereint. Komik, Drama, Crime-Story und groteske Situationen werden ineinander verwoben, bis sich ein Film hervortut, der qualitativ selbst die großen westlichen Verbrechensfilmen à la «Zodiac – Die Spur des Killers» (2007) und «Die üblichen Verdächtigen» (1995) überflügelt. Doch die bis heute bekanntesten Vertreter der neuen Filmwelle aus Fernost sind unter der Regie von Park Chan-wook auf die Leinwand gekommen. Damit ist nichts Geringeres gemeint als die Rache-Trilogie, die sich aus den Filmen «Sympathy for Mr. Vengeance» (2002), «Oldboy» (2003) und «Lady Vengeance» (2005) zusammensetzt.
Wie bereits manche der Filmtitel verraten, teilen sich alle drei Werke die Thematik der Rache, obwohl die Charaktere der einzelnen Filme nicht aufeinander treffen oder eine Bedeutung für den jeweils anderen haben. Eine besondere Bedeutung muss dabei «Oldboy» zugemessen werden, der 2004 den großen Preis der Jury gewann und Regisseur Chan-wook seinen endgültigen internationalen Durchbruch bescherte. Nicht nur, dass «Oldboy» selbst jetzt, sechzehn Jahre nach seiner Veröffentlichung, auf Platz 67 der am besten bewerteten Filme auf IMDB sitzt, auch der Pulitzerpreisträger und Filmkritikerlegende Roger Ebert vergab vier Sterne an den Film – die Höchstwertung. Die Handlung dreht sich um Oh Dae-su, der für fünfzehn Jahre in einen kleinen Raum eingesperrt wird, ohne den Grund dafür zu erfahren. Als er den Raum endlich verlässt, sinnt er auf Rache und hinterlässt eine blutige Spur.
«Oldboy» steht auch heute noch sinnbildlich für den südkoreanischen Film. Eine Geschichte rund um Rache und Vergeltung und Kämpfe voller Härte und Gewalt, in denen sich doch eine gewisse Philosophie erkennen lässt. Noch dazu ist gerade dieser Film ausgesprochen kunstvoll und ästhetisch traumhaft inszeniert und hat mit seiner Musikuntermalung und Bildsprache Maßstäbe nicht nur für das südkoreanische, sondern das asiatische Kino im Allgemeinen gesetzt. Noch dazu findet sich in «Oldboy» mit Hauptdarsteller Choi Min-sik der womöglich beste Schauspieler dieser Generation, der durch die nahezu rein US-amerikanischen Schauspielnominierungen der Film- und Fernsehpreise leider nicht die Beachtung erhält, die ihm zusteht.
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Als zweite Generation des neuen Korea-Kinos kann man den Filmemacher Bong Joon-ho anführen, der 2006 mit dem Monsterfilm «The Host» für internationale Aufmerksamkeit sorgte und auch 2009 mit dem Drama «Mother» seine Bedeutung für den fernöstlichen Film zeigte. Joon-ho zeigte mit seinem Science-Fiction Epos «Snowpiercer» (2013), dass er auch Werke mit US-Beteiligung qualitativ realisieren kann. 2017 folgte sein Film«Okja», der leider nicht an seine Qualitäten von früher anknüpfen konnte aber dennoch eine Heimat bei Netflix fand. Nun scheint aber der aktuell größte Regisseur des südkoreanischen Kinos mit «Parasite» wieder bei alter Stärke zu sein.
Denn Bong Joon-ho war der große Star der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes. Nicht etwa Quentin Tarantino für sein neustes popkulturelles Feuerwerk «Once Upon A Time In Hollywood», sondern der Filmemacher aus Korea. Und nicht nur die Filme des weit entfernten Landes haben sich in der internationalen Filmwelt emanzipiert. Auch die Serien aus Südkorea sind auf dem Vormarsch. Das zeigt unter anderem die erfolgreiche Netflix-Serie «Kingdom», von der bereits eine zweite Staffel in der Produktion ist.
In den Unmengen an Superhelden- und Lizenzfilmen ist das südkoreanische Kino der kreative Gegenpol. Gefühlt ist es dem amerikanischen und sogar europäischen Kino überlegen, da es sich nicht davor scheut unkonventionelle Themen anzusprechen, neue Arten der Inszenierung und Narrative auszuprobieren und Darsteller hat, die sich vor keinem westlichen verstecken müssen. Die Sehgewohnheiten des asiatischen Kinos unterscheiden sich zweifelsohne von denen, die man im Westen kennt, was zugleich aber auch erfrischend andersartig wirken kann. Nicht jeder Film aus Südkorea mag einfach oder leicht zugänglich sein. Dennoch lohnt sich ein näherer Blick auf jeden einzelnen von ihnen.
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