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Das südkoreanische Kino – Die Innovation aus Fernost

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Der Film «Parasite» gilt als der große Sieger der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes. Die Mischung aus bitterböser Komödie und Sozialdrama stammt aus Südkorea und verstärkt den Trend, den man seit den frühen 2000ern in der Kinowelt erkennen kann: ein Siegeszug des südkoreanischen Films.

Das Medium Film hat wie jede andere Kunstform eine Vielzahl an Revolutionen und Innovationen durchlebt. Und jede hat auf ihre Art dazu beigetragen, dass sich der Film weiterentwickelt hat und vielfältiger wurde. Die New Hollywood Ära hat Mitte der 1960er Jahre die Wahrnehmung von Filmen grundlegend verändert und bis heute beeinflusst. Legendäre Regisseure wie Woody Allen, Steven Spielberg und Martin Scorsese verdienten sich zu dieser Zeit ihre Sporen und gründeten das Fundament ihres heutigen Ruhms. Doch beim US-amerikanischen Kino hört es selbstverständlich nicht auf. In Deutschland sorgt Anfang der 1960er der Autorenfilm, angeführt von Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog, für Aufsehen. Im Nachbarland Frankreich begann gegen Ende der 1950er die Filmbewegung Nouvelle Vague, die mit Filmen wie «Letztes Jahr in Marienbad» (1961) und «Sie küssten und sie schlugen ihn» (1959) Elemente wie die Narrative grundlegend neu dachte.

Das Kino zeigt durch seine Filmbewegungen seine Lust nach erfrischenden und neuen Seiten. Doch nicht nur der filmische Westen betreibt diese Suche nach dem Neuen, auch der Osten hat eine reiche Historie an unterschiedlichen Filmgenres und Bewegungen. In Japan beispielsweise war der Filmemacher Akira Kurosawa derjenige, der dem Land filmische Schätze wie «Die sieben Samurai» (1954) und «Ikiru – Einmal wirklich leben» (1952) bescherte, die in der internationalen Filmgeschichte bis heute ein enormes Gewicht haben. Doch lange Zeit blieb es still um den kleinen Nachbarn Korea, der auch heute noch von den politischen Differenzen zwischen dem Norden und Süden gekennzeichnet ist. Die Bedeutung, als auch das Selbstverständnis des südkoreanischen Films änderte sich jedoch zu Beginn der 2000er drastisch. Seitdem gilt Südkorea als eine Filmnation, die nicht nur regelmäßig auf den großen Filmfestivals der Welt vertreten ist, sondern sie auch nicht selten dominiert.

The South Korean New Wave: die Filmbewegung, die dem Land seine Bedeutung in der Kinowelt verlieh. In den späten 1990ern lässt sich eine Reihe an Filmen beobachten, die sich nicht nur mit der koreanischen Gesellschaft auseinandersetzen, sondern auch das in ihr herrschende Männerbild sezierten und die heranwachsende Jugend als desorientiert und gewaltbereit darstellte. Doch der erste große namhafte Film mit internationalem Eindruck war «Joint Security Area» (2000) von Regisseur Park Chan-wook, der an späterer Stelle noch einmal auftauchen wird. Der mit politischer Kontroverse aufgeladene Film setzt sich mit der Trennung von Nord- und Südkorea auseinander und zeigt in knapp zwei Stunden teils sehr explizite Gewalt. Ein Merkmal, dass sich nahezu alle Filme der neuen Filmbewegung teilen.

Keine drei Jahre später erschien Bong Joon-hos «Memories of Murder» (2003), der auf den ersten Blick die Suche nach dem ersten Serienmörder Südkoreas abbildet, unter der Oberfläche jedoch mehrere Genres miteinander vereint. Komik, Drama, Crime-Story und groteske Situationen werden ineinander verwoben, bis sich ein Film hervortut, der qualitativ selbst die großen westlichen Verbrechensfilmen à la «Zodiac – Die Spur des Killers» (2007) und «Die üblichen Verdächtigen» (1995) überflügelt. Doch die bis heute bekanntesten Vertreter der neuen Filmwelle aus Fernost sind unter der Regie von Park Chan-wook auf die Leinwand gekommen. Damit ist nichts Geringeres gemeint als die Rache-Trilogie, die sich aus den Filmen «Sympathy for Mr. Vengeance» (2002), «Oldboy» (2003) und «Lady Vengeance» (2005) zusammensetzt.



Wie bereits manche der Filmtitel verraten, teilen sich alle drei Werke die Thematik der Rache, obwohl die Charaktere der einzelnen Filme nicht aufeinander treffen oder eine Bedeutung für den jeweils anderen haben. Eine besondere Bedeutung muss dabei «Oldboy» zugemessen werden, der 2004 den großen Preis der Jury gewann und Regisseur Chan-wook seinen endgültigen internationalen Durchbruch bescherte. Nicht nur, dass «Oldboy» selbst jetzt, sechzehn Jahre nach seiner Veröffentlichung, auf Platz 67 der am besten bewerteten Filme auf IMDB sitzt, auch der Pulitzerpreisträger und Filmkritikerlegende Roger Ebert vergab vier Sterne an den Film – die Höchstwertung. Die Handlung dreht sich um Oh Dae-su, der für fünfzehn Jahre in einen kleinen Raum eingesperrt wird, ohne den Grund dafür zu erfahren. Als er den Raum endlich verlässt, sinnt er auf Rache und hinterlässt eine blutige Spur.

«Oldboy» steht auch heute noch sinnbildlich für den südkoreanischen Film. Eine Geschichte rund um Rache und Vergeltung und Kämpfe voller Härte und Gewalt, in denen sich doch eine gewisse Philosophie erkennen lässt. Noch dazu ist gerade dieser Film ausgesprochen kunstvoll und ästhetisch traumhaft inszeniert und hat mit seiner Musikuntermalung und Bildsprache Maßstäbe nicht nur für das südkoreanische, sondern das asiatische Kino im Allgemeinen gesetzt. Noch dazu findet sich in «Oldboy» mit Hauptdarsteller Choi Min-sik der womöglich beste Schauspieler dieser Generation, der durch die nahezu rein US-amerikanischen Schauspielnominierungen der Film- und Fernsehpreise leider nicht die Beachtung erhält, die ihm zusteht.

Doch das moderne Kino aus Südkorea besteht aus mehr als nur Geschichten rund um Rache. «A Tale of Two Sisters» des Regisseurs Kim Jee-woon erschien ebenfalls 2003 und sorgte im Horrorbereich für große Beachtung. Während ein US-Remake mit dem Namen «Der Fluch der zwei Schwestern» (2009) nicht an die Qualitäten des Originals heranreichen konnte, steht der koreanische Horrorfilm für sich und erzählt eine beeindruckende und innovative Geschichte rund um zwei Schwestern in einer dysfunktionalen Familie. Zwei Jahre später legte derselbe Regisseur mit «A Bittersweet Life» nach, einem wie der Name bereits verrät bittersüßen und melancholischen Drama um einen rachsüchtigen Mann und somit direkt in der Tradition des südkoreanischen Kinos steht.

Als zweite Generation des neuen Korea-Kinos kann man den Filmemacher Bong Joon-ho anführen, der 2006 mit dem Monsterfilm «The Host» für internationale Aufmerksamkeit sorgte und auch 2009 mit dem Drama «Mother» seine Bedeutung für den fernöstlichen Film zeigte. Joon-ho zeigte mit seinem Science-Fiction Epos «Snowpiercer» (2013), dass er auch Werke mit US-Beteiligung qualitativ realisieren kann. 2017 folgte sein Film«Okja», der leider nicht an seine Qualitäten von früher anknüpfen konnte aber dennoch eine Heimat bei Netflix fand. Nun scheint aber der aktuell größte Regisseur des südkoreanischen Kinos mit «Parasite» wieder bei alter Stärke zu sein.



Denn Bong Joon-ho war der große Star der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes. Nicht etwa Quentin Tarantino für sein neustes popkulturelles Feuerwerk «Once Upon A Time In Hollywood», sondern der Filmemacher aus Korea. Und nicht nur die Filme des weit entfernten Landes haben sich in der internationalen Filmwelt emanzipiert. Auch die Serien aus Südkorea sind auf dem Vormarsch. Das zeigt unter anderem die erfolgreiche Netflix-Serie «Kingdom», von der bereits eine zweite Staffel in der Produktion ist.

In den Unmengen an Superhelden- und Lizenzfilmen ist das südkoreanische Kino der kreative Gegenpol. Gefühlt ist es dem amerikanischen und sogar europäischen Kino überlegen, da es sich nicht davor scheut unkonventionelle Themen anzusprechen, neue Arten der Inszenierung und Narrative auszuprobieren und Darsteller hat, die sich vor keinem westlichen verstecken müssen. Die Sehgewohnheiten des asiatischen Kinos unterscheiden sich zweifelsohne von denen, die man im Westen kennt, was zugleich aber auch erfrischend andersartig wirken kann. Nicht jeder Film aus Südkorea mag einfach oder leicht zugänglich sein. Dennoch lohnt sich ein näherer Blick auf jeden einzelnen von ihnen.

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