Hingeschaut

«Gerichtsreport Deutschland»: Von leeren Zuschauerplätzen und einem fast schon abgeschriebenen TV-Genre

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RTL versucht es wieder mit einer Courtshow - aus gutem Grund, wie der Blick auf die nachmittäglichen Quoten von RTLplus zeigt. In die Fußstapfen der großen TV-Richter tritt nun unter anderem Lars Petersen. Verhandelt werden Alltagsdelikte. Was die Neuentwicklung von filmpool noch von bekannten Genre-Vertretern unterscheidet.

Wer in irgendeiner Quizshow dieses Landes mal nach bekannten Fernsehrichtern gefragt wird, der erinnert sich sicherlich schnell an Richterin Barbara Salesch. Salesch, heute 68 Jahre alt, prägte über viele Jahre hinweg mit der gleichnamigen Gerichtsshow das Sat.1-Nachmittagsprogramm. Am Bekanntesten dürften jene Folgen sein, in denen Salesch von Laiendarstellern nachgespielte und erfundene Fälle verhandelt hat. Begonnen hatte das Format einst aber sogar als Vorabendformat und als Schiedsgericht mit echten Streitereien. Das war 1999. In jenem Jahr ließ auch das ZDF ein schon fast vergessenes Court-Format entstehen, mit einem heute weit weniger bekannten Richter: Guido Neumann verhandelte vier Mal die Woche (Montag bis Donnerstag) Privatklagen und Fälle aus dem Zivilrecht. 2000 kam eine Freitags-Folge aus dem Arbeitsrecht mit Richter Ulrich Volk hinzu. Weil in deutschen Gerichten nicht gefilmt werden darf, setzte das ZDF-Format «Streit um Drei» auf professionelle Darsteller.

Knapp 650 Folgen entstanden in den knapp vier Jahren, in denen das ZDF auf dem heutigen «Bares für Rares»-Slot auf Richter, Angeklagte und Zeugen setzte. Vor rund zehn Jahren begann letztlich der Stern der Court-Shows im deutschen Fernsehen zu sinken - die On Location produzierten Scripted-Realitys lösten das Genre ab. Doch wirklich verschwanden Gerichtsshows zu keiner Zeit.

Quoten lügen nie


Noch heute wiederholt Sat.1 Gold alte Ausgaben der Sat.1-Gerichtsshows, Sendungen wie «Das Strafgericht» oder «Das Familiengericht» laufen bei RTL-Ableger RTLplus rauf und runter. Vor allem nachmittags sind die alten Episoden immer noch ziemlich gefragt. Zurückliegenden Freitag erst erreichte etwa «Das Familiengericht» beim Best-Ager-Sender knapp 300.000 Zuschauer - nicht selten wird diese Marke sogar übersprungen. 300.000 Zuschauer? Das ist im Vergleich zu früheren Reichweiten eine eher kleine Hausnummer. Damals kamen neue Episoden von Salesch, Hold und Co. gut und gerne auf zwei Millionen Fans. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das von RTL zuletzt um 15 Uhr gezeigte «Mensch Papa» landete zurückliegenden Freitag bei 370.000 Zuschauern - und somit nur knapp oberhalb der Reichweiten, die die Courtshow-Re-Runs bei RTLplus einfuhren.

Insofern war es schon naheliegend, dass RTL dem Genre Gerichtsshow in einem zeitgemäßen Outfit noch einmal eine Chance einräumt. Erneut wurde für den neuen Versuch die routinierte Produktionsfirma filmpool beauftragt - von ihr kamen einst die RTL-Formate «Das Jugendgericht» sowie «Das Familiengericht» oder eben auch der Sat.1-Klassiker mit Frau Salesch.

«Gerichtsreport Deutschland» - der Löwe unter den Gerichtsshows


Ein zeitgemäßes Gewand bedeutet bei Gerichtsshows vor allem eine Darreichung in kleineren Häppchen. In der Frage, wie die behandelten Fälle portioniert werden, machten Courtshows einst eine bemerkenswerte Entwicklung durch. Über lange Zeit wurden immer zwei Fälle verhandelt, abzüglich Werbung betrug die Länge eines Falls also um die 22 Minuten. In späteren Phasen zog sich ein besonders schwerer oder heikler Fall aber auch mal über die volle Distanz von 45 Minuten. Das neue RTL-Format, das man bis Mitte Juli um 15 Uhr testet, probiert sich nun an einer XS-Dosis und greift somit wohl einen aktuellen Trend auf: Dem Zuschauer möglichst gut und immer die Möglichkeit geben, auch innerhalb der laufenden Sendung ein- und auszusteigen. Kaum ein Sender will dem Zuschauer noch zumuten, pünktlich um 15 Uhr auf dem Sofa sitzen zu müssen. Wer erst um 15.14 Uhr kommt, soll trotzdem warm empfangen werden. So geht es beim «Gerichtsreport Deutschland» also ruck zuck, müssen doch gleich zwei oder drei Fälle behandelt werden. Im weiteren Verlauf des Tests, so kündigt RTL an, könnten es auch mal vier Fälle pro Folge werden.

In der ersten Folge ging es um eine mögliche Beamtenbeleidigung oder - direkt zu Beginn - um unterlassene Hilfeleistung. Ein Rentner liegt reglos im Foyer einer Sparkasse und zwei Kunden steigen, ohne zu helfen, drüber. Ist das unterlassene Hilfeleistung? Oder war für beide die Notsituation nicht zu erkennen? Eingeführt wird der Fall mit gespielten Interviews bei besagtem Opfer und dessen Ehefrau. Die Ehefrau ist es später auch, die das Urteil von Richter Lars Petersen aus ihrer Sicht einordnet. Dass der “kleine Bürger” von der Straße sein Rechtsempfinden noch einbringen kann, ist eine der Neuerungen im Vergleich zu früheren Gerichtsshows.

Zudem setzt filmpool auf maximale Authentizität. Vorbei sind die Zeiten, in denen in pompösen und auf Hochglanz getrimmten Gerichtssälen verhandelt wird. Von der Größe her deutlich kleiner und näher dran an echten Räumlichkeiten sind die Säle zudem mit fest installierten Kameras an den Wänden ausgestattet. Das erleichtert die Produktion und verbildlicht somit noch mehr Realismus. Unterbrochen wird die Verhandlung für den Fernsehzuschauer immer wieder zudem durch Einordnungen und Einschätzungen des Richters, die in dessen Arbeitszimmer aufgenommen wurden.

Früher ebenfalls undenkbar: Die Holzstühle für potentielle Zuschauer sind größtenteils leer - so wie in echt. Fünf Zuschauer beim zweiten Fall, drei Stück beim ersten Fall. Leere Zuschauerplätze - aus Sicht der Macher hoffentlich nur On Air vorhanden und nicht vor dem Fernseher. Dass das Format Chancen hat, ein Erfolg zu werden, ist nicht abzusprechen. Die Verhandlungen sind leicht verdaulich, nah am Alltag, und anders als früher nicht per se auf Geschrei und Krawall aus. War es einst doch der größte Vorwurf an die Macher, dass der Gerichtsalltag massiv zugespitzt dargestellt wird, steht im «Gerichtsreport Deutschland» weniger der Streit und mehr die moralische Komponente im Fokus.

Insofern ist das neue Format vielleicht weniger spektakulär und aufregend, aber eben doch eine interessante Weiterentwicklung eines vielleicht schon abgeschriebenen TV-Genres.

«Gerichtsreport Deutschland», 20 Folgen, werktags bei RTL um 15 Uhr

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
medical_fan
17.06.2019 18:51 Uhr 1
Problem mit den Gerichtsshows und den ganzen Polizei Scripted Reality. Sieht man eine Folge, kennt man alle Folgen. So wie ich gelesen habe, waren dies alles stinknormale langweilige Fälle. Zudem laufen solche Sendungen immer nach Schema Z ab: Anklage - Zeugen werden verhört - die "überraschende" Wendung - und am Ende geht es doch so aus wie man es schon längst vermutet hat. Schrecklich solche Sendungen
troubled
18.06.2019 08:12 Uhr 2
"So wie ich gelesen habe..." Wenn was schon so anfängt sollte man von sich aus ja schon merken können, das es sich nicht lohnt, weiter zu schreiben. Wäre allerdings ein guter Einstieg, wenn man was über ein Buch schreiben wollen würde.

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