Die neue Generation an Serienfans krankt an einer Art Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, erzeugt durch die Verfügbarkeit von unbegrenzten Inhalten auf einer Unmenge an Endgeräten und schierer Ohnmacht angesichts der Entscheidung, mit welchen Inhalten man denn nun seinen Tag bestreiten soll. Denn die Tage bleiben gleich lang, während die digitalen Möglichkeiten wachsen, sie zu bestreiten. Daher kann man argumentieren, dass gerade Serien mit opulenten Laufzeiten nicht mehr zeitgemäß sind, weil sie die Serienfans, die den Druck verspüren, durch die Rezeption möglichst vieler Inhalte auf dem neuesten Stand zu bleiben, einschränken und von anderen Serien fernhalten.
Nur wahre Hits können Nutzer noch über eine Stunde halten
Laufzeiten und Genres
Zwischen verschiedenen TV-Genres sollte trotz der Nachfrage nach kürzeren Episodenlaufzeiten unterschieden werden. Angesichts des Ausmaßes der Erzählungen könnten einstündige Episoden epischen Serien vorbehalten bleiben, während tiefgehende Dramen sich auf um die 30 Minuten beschränken könnten und Serien um die 15 Minuten zu leicht zugänglichen Comedy-Formaten passen.Die einzige Möglichkeit, so viel Fernsehen wie möglich zu sehen, liegt in dieser Zeit darin, sich nicht mit Formaten aufhalten zu müssen, die viel Zeit rauben. Streaming-Anbieter egalisierten im Grunde schon die im linearen TV etablierten Laufzeiten von 22 oder 42 Minuten, die einst für Werbetreibende installiert wurden, aber immer noch gelten. Streaming-Dienste bieten dagegen Plattformen, die sich diesen Regeln entziehen und zeigen sich auch zunehmend offen gegenüber kurzen Formaten, auch wenn der Umschwung langsam erfolgt. Doch auch bei Serienschaffenden, denen die klassischen Episodenlaufzeiten eingeimpft wurden, muss erst ein Umdenken stattfinden. Häufig werden selbst Serienepisoden bei Diensten wie Netflix noch unnötig in die Länge gezogen, dabei ist es längst möglich, sehenswerte, ausgewogene, vielsagende und reichhaltige Episoden in kurzer Zeit zu erzählen.
Die Akzeptanz für Kurzformate wächst
Kurzformate in Deutschland
Auch in Deutschland wird man auf den Trend hin zu kürzeren Serienepisoden und Formaten aufmerksam. Wie Katja Hofem, die Chefin der neuen deutschen Streaming-Plattform joyn von ProSiebenSat.1 und Discovery, verriet, sollen im kommenden Jahr einige Serien aus dem Shortform-Segment beim neuen Angebot erscheinen.Trotzdem gelten diese Art von Serien noch als exotisch, weshalb die von Nick Hornby geschriebene Serie «State of the Union», die Anfang Mai beim kleinen US-Sender Sundance TV startete, ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit erhielt – auch aus dem Grund, weil es sich um zehn zehn-minütige Folgen handelte. Differenziert werden sollte auch hier zwischen Comedies und Dramen. Letztere benötigen aufgrund ihrer Tiefe schlicht mehr Zeit, weshalb bereits 30 Minuten dort als Kurzform angesehen werden können. Das gelang gut besprochenen Serien wie «Looking», «Homecoming» oder «Matrjoschka». Diese Ausnahmen werden aber noch längst nicht der Nachfrage an Kurzformaten gerecht, die längst ungemein hoch ist.
Respekt gegenüber Zeitbudgets und Sehgewohnheiten
Dabei bietet diese Nachfrage Kreativen viele neue Freiheiten, denn die Regel, dass Dramen eine Stunde und Comedy-Serien eine halbe Stunde im Fernsehen laufen müssen, hat die Möglichkeiten schon immer stark limitiert. Auf der anderen Seite sollten sich TV-Schaffende mittlerweile vorsehen, zu ausufernd zu erzählen. Eine anderes Extrem stellt das gerade bei Amazon erschienene «Too Old to Die Young» (Foto) von Nicolas Winding Refn dar. Der Däne legte die Serie nach eigener Aussage als 13-stündigen Film an. Nach zwei langatmigen Folgen stöhnten die Kritiker, die die Folgen vorab sehen durften, bereits entnervt auf. Schon bald könnten sich vor allem Streaming-Nutzer selbst immer weiter von Fernsehserien entfremden, die für das klassische Fernsehen geschrieben wurden und daher auch an den klassischen Laufzeiten festhalten.
Fans der klassischen Formate könnten nun entgegnen, dass das Risiko besteht, Episoden könnten zu kurz oder gehetzt wirken. In einer Zeit, in der die Watchlist stetig wächst und neue Formate aus allen Ecken als Must-See-TV angekündigt werden, wenn ohnehin schon eine Fantastillion an Sendeminuten aufzuholen ist, sind Serienfans jedoch dankbar, wenn Produktionsteams die große Herausforderung meistern, Serien kurzweilig und erzählerisch ökonomisch wie dicht zu halten. Die Gegebenheiten unserer digitalen Welt lassen angesichts der Sehgewohnheiten, insbesondere denen der „Digital Natives“, häufig gar nichts mehr anderes zu. Zwar sollten sich Serienschaffende weiter die Zeit nehmen, die sie brauchen, um eine einnehmende Geschichte zu erzählen, dabei aber jede Minute zählen lassen und das Zeitbudget der Nutzer noch mehr respektieren.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
23.06.2019 11:41 Uhr 1
Dann die zusammenhängenden Folgen von Serien die ca. 40-42 Minuten dauern, die sind mir am liebsten.
Dann die Procedural-Serien mit einer Länge von ca. 40-42 Minuten.
Danach die mit 45-50 Min. obwohl die mir schon ziemlich unlieb sind....
1 Stunde + nur wenn es wirklich sehenswert ist, wie eben Chernobyl oder When they see us. Obwohl When they see us wirklich schon am Rande der Laufzeit war(besonders die letzte mit 90 Minuten war schon sehr lange). Aber hier hat es sich wenigstens gelohnt.
Es gibt auch Serien bei der sich die längere Laufzeit nicht rechtfertigt: Good Omens ging zwischen 50 und 60 Minuten und wirklich das 6 mal war eindeutig zu viel. Die Story hätte man gut in einem zwei Stunden Film unterbringen können... Relevant sind da ja gerade einmal Folge 1, vielleicht 2, und die 6 (ggf. auch 5) Folge...
Folge 3 davon war ja der letzte Witz. 30 Minuten sinnloses in der Zeit rumspringen.....
23.06.2019 18:24 Uhr 2
23.06.2019 18:50 Uhr 3
Bei der üblichen Krimiserie oder wiederholenden Stoff finde ich 45 Minuten ganz gut, länger und es könnte sich ziehen. Das ist auch vor allem Stoff, den ich am ehesten Nebenbei konsumiere. Längere Serien brauchen meist passenden spannenden Stoff und man muss sich dann aber primär mit beschäftigen. Chernobyl war so eine Serie. Spannend, drastisch und die Folgen abwechslungsreich. Aber doch vom Stoff gut als Miniserie aufbereitet. Man hätte ja mehr Nebenfiguren installieren können und 12 Folgen machen können. Wäre wohl nicht mehr die gleiche Serie gewesen, auch kurze Episoden hätten dazu geführt kleinere Handlungsstränge machen zu müssen. Ob das gut gewesen wäre?
Wenn Streaming sich von starren Konzeptionen lössen wollen könnte, gäbe es vielleicht Extended Versionen. Vielleicht auch erst nach dem Normalen Release. Bei fortlaufenden Handlungsbögen ist das natürlich furchtbar zu integrieren, es kann ja für die Haupthandlung nur irrelevant sein. Und ernsthaft, bei den meisten Filmen habe ich in Extended Versionen häufig verstanden, warum etwas geschnitten wurde.
25.06.2019 16:36 Uhr 4