Filmfacts: «Traumfabrik»
- Start: 4. Juli 2019
- Genre: Romanze
- Laufzeit: 128 Min.
- FSK: 6
- Kamera: Martin Schlecht
- Musik: Philipp Noll
- Buch: Arend Remmers
- Regie: Martin Schreier
- Darsteller: Dennis Mojen, Emilia Schüle, Ken Duken, Heiner Lauterbach, Nikolai Kinski, Ellenie Salvo González, Michael Gwisdek, Thomas Heinze
- OT: Traumfabrik (DE 2019)
Die neueste Arbeit des Duos Schreier-Arend sieht auf den ersten Blick weitaus konventioneller aus. Eine klassische Romanze eben, eingebettet in ein Stück deutsch-deutsche Geschichte. Die Erfolgszutaten aus «Unsere Zeit ist jetzt» finden sich hier allerdings genauso wieder, denn ihre treffend «Traumfabrik» betitelte Tragikomödie ist eben auch nur zu einem Teil Liebesfilm und zum anderen ein Film über das Filmemachen, dessen sich die Macher jederzeit bewusst sind.
Berlin, Sommer 1961
Emil (Dennis Mojen) ist Komparse im DEFA-Studio Babelsberg und sorgt dort nicht nur für mächtig Chaos, sondern verliebt sich auch Hals über Kopf in die französische Tänzerin Milou (Emilia Schüle). Die beiden scheinen wie füreinander bestimmt. Doch dann werden sie durch die Grenzschließung am 13. August 1961 getrennt. Ein Wiedersehen scheint unmöglich, bis Emil einen waghalsigen Plan schmiedet: Er will unter falschem Namen einen Film drehen – den größten, der jemals in Babelsberg gemacht wurde. Als Hauptrolle hat er Beatrice Morée (Ellenie Salvo González) im Visier, für die Milou als Tanzdouble arbeitet. Beatrice ist tatsächlich von ihrer Hauptrolle der Cleopatra angetan. Doch als die beiden Frauen kurze Zeit später tatsächlich in Berlin anreisen, haben sich einige Dinge grundlegend verändert und Emil steht vor ganz neuen Herausforderungen…
An einer Stelle in «Traumfabrik» fällt ein Satz, der den Film als solches nicht perfekter zusammenfassen könnte. Hauptfigur Emil wurde soeben damit konfrontiert, dass seine zahlreichen Nebendarsteller in der Nacht vor dem Dreh zu tief ins Glas geschaut haben. Bei der anstehenden Krönungszeremonie sollen die in römischen Verkleidungen auftretenden Männer eigentlich einfach nur stillstehen, doch die Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums machen dieses Unterfangen unmöglich. Kurzerhand improvisiert Emil ein Erdbebenszenario, dem die Cleopatra-Darstellerin Beatrice ungläubig entgegensetzt, dass es damals aber gar kein Erdbeben gegeben habe. „Das ist ein Film!“ ruft Emil mit einem Grinsen in die Menge und schafft es damit, die Faszination des Kinos, aber eben auch von «Traumfabrik» selbst auf einen Punkt zu bringen. Im Film ist schließlich alles möglich. Und so darf man als Zuschauer von «Traumfabrik» eben keine wirklichkeitsgetreue Nachbildung der Realität erwarten, sondern bekommt stattdessen eine im besten Sinne konstruierte Romanze präsentiert, wie sie so nur in Hollywood (oder eben in Babelsberg) stattfinden kann.
- © Tobis
Milou (Emilia Schüle) und Emil (Dennis Mojen) verstehen sich auf Anhieb.
Das bringt natürlich auch so einige Tücken mit sich. So wird es gewiss Leute geben, die dem Film Kitsch, Überdramatisierung oder fehlenden Realismus vorwerfen werden. Und seien wir einmal ehrlich: Damit liegt man erst einmal gar nicht falsch. Doch was wäre denn eine große Leinwandromanze ohne schwülstige Liebesschwüre? Was wäre sie ohne die Momente perfekter Harmonie, ohne Sentimentalität, ja, was wäre sie denn ohne diesen Kitsch, der heutzutage so negativ konnotiert wird?
Was nämlich den Kitsch in «Traumfabrik» von der typischen Schmonzetten-Dramatik anderer Filme des Genres unterscheidet, ist die Aufrichtigkeit, mit der Martin Schreier ihn hier inszeniert. Das ginge nicht ohne die entsprechende technische Aufmachung. Für die Kenner von «Unsere Zeit ist jetzt» reicht folgende kurze Beschreibung: «Traumfabrik» erhält 128 Minuten lang den Stil der ersten fünf Minuten aus dem Cro-Film aufrecht, den man sich – so formulierte es Cro selbst so schön – damals leider nur ebenjene fünf Minuten leisten konnte. Doch ganz gleich, ob das Budget von «Traumfabrik» nun wirklich so viel höher war als die Mittel, die Schreier und seinem Team einst für «Unsere Zeit ist jetzt» zur Verfügung standen, oder ob Kameramann Martin Schlecht («Amelie rennt») einfach über noch bessere Skills verfügt als sein Kollege: «Traumfabrik» sieht schlicht und ergreifend umwerfend aus. Nun hat es sich ja eingebürgert, deutschen Filme von erlesener Visualität ihr Dasein als „deutscher Film“ einfach direkt abzusprechen; viele verstehen das als Kompliment.
«Traumfabrik» dagegen trägt seine deutschen Wurzeln selbstbewusst vor sich her. Nicht nur auf Erzählebene, wo die Liebesgeschichte rund um Emil und Milou in die sich im Hintergrund abspielende Tragödie vom Mauerbau eingebettet ist. Auch optisch haben die Macher gar keinen Grund, sich um einen betont internationalen Anstrich zu bemühen. Opulente Kulissen, kristallklare Bilder und eine zielgenaue Ausleuchtung verhelfen «Traumfabrik» zu Leinwandausmaßen, die sich nie mit den Panorama-Bildern über die Babelsberger Filmstudios oder das geteilte Berlin beißen; im Gegenteil. «Traumfabrik» schafft ein Bewusstsein dafür, dass deutsches Kino sich als solches nicht verstecken braucht und dabei gleichermaßen teuer und hochwertig aussehen kann. Vielleicht bringt «Traumfabrik» damit ja endlich die Wende für das angeschlagene Image des deutschen Films – man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Traum oder Realität? Traum-Realität!
Durch die Verortung der Geschichte an ein Filmset liegt das inszenatorische Spiel mit der Meta-Ebene natürlich auf der Hand. So kann es schon mal vorkommen, dass mitten in einem emotionalen Dialog plötzlich unzählige Rosenblätter von der Decke fallen, einfach weil Emil ganz genau weiß, dass das den Moment noch einmal besonders dramatisch macht. Und natürlich kommt «Traumfabrik» nicht um einige gängige Genretropes herum; wir sind hier ja schließlich im Kino und wie es uns auch Emil selbst sagt, darf man sich hier alles so zurechtbiegen, wie es die Situation (und ja, vielleicht auch das Publikum) gerade verlangen. Anders als in «Unsere Zeit ist jetzt» verzichtet Schreier hier allerdings auf den absoluten Wahnsinn – das hätte zu «Traumfabrik» auch gar nicht gepasst, der bei aller Selbstreferenzialität immer noch eine klassische Liebesgeschichte erzählt. Getragen wird diese von Dennis Mojen («Nirgendwo») und Emilia Schüle («Es war einmal Indianerland»), die hier die reifste Performance ihrer Karriere abliefert. Die umwerfende Chemie des Leinwandpaares erdet «Traumfabrik» nicht nur, sondern verhilft ihm auch zu seinen amüsanten Zwischentönen.
Emils blindverliebt-verzweifelten Versuche, endlich bei seiner Angebeteten zu landen, sind von solch einer Naivität geprägt, dass man ihm gleichzeitig die Daumen drückt und trotzdem den Kopf schüttelt; schließlich tobt vor den Toren der Filmstudios gerade noch ein viel größeres Drama. Als Szenendiebe erweisen sich derweil Ken Duken («Berlin Falling»), dessen Figur Alex nicht so recht weiß, ob er seinen Bruder nun vor dem größten Fehler seines Lebens bewahren, oder ihn einfach mal machen lassen soll. Er wird im Laufe des Films zur größten Identifikationsfigur für das Publikum, wenn schließlich doch die Faszination überhandnimmt. Ebenfalls stark performt Heiner Lauterbach («Willkommen bei den Hartmanns») als skeptischer Generaldirektor, genauso wie Thomas Heinze («Lügen und andere Wahrheiten») als exzentrisches Regiegenie.
Durch die sehr deutliche Fokussierung des Liebespaares rücken einige Elemente in den Hintergrund, die vielleicht ein wenig mehr Aufmerksamkeit vertragen hätten. Die Backstory rund um den Mauerbau und die von heute auf morgen verschlossenen Grenzen wird zwar zum Mitauslöser der alles entscheidenden Cleopatra-Odyssee, bleibt mit Ausnahme einer dramatischen Festnahme in der Mitte des Films aber eine Randnotiz. Auch die vielen Nebenfiguren erfüllen in der Regel Klischees und erhalten nicht mehr Betrachtung, als es für ihre Funktion im Film notwendig ist. Das kann man kritisieren, im Kontext des Films, vor allem aber als was die Verantwortlichen ihren «Traumfabrik» verstehen, ist dieser Umgang mit Nebensächlichkeiten methodisch konsequent. Alles außerhalb der gegenseitigen Wahrnehmung von Emil und Milou findet kaum statt; am Ende ist die unsterbliche Liebe des Paares größer und stärker als alles außerhalb ihrer kleinen Lebensrealität. Wir kennen das aus «La La Land» oder «The Artist». Für diese ein Filmstudio zu wählen, könnte keinen treffenderen Kommentar auf die Wirkungskraft des Kinos als Zufluchtsort und Kreateur von Träumen sein – es ist eine Traumfabrik.
Fazit
«Traumfabrik» ist eine in großen Hollywoodbildern erzählte Liebeserklärung an das Filmemachen und die Liebe an sich, die ihre deutschen Wurzeln nicht verleugnet und selbst in ihrem zelebrierten Kitsch jederzeit aufrichtig ist.
«Traumfabrik» ist ab dem 4. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.
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