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Das neue Jahrzehnt kann mit starken Horrorfilmen auftrumpfen, von denen nicht wenige im Bereich des psychologischen Horrors angesiedelt sind. Am Anfang des Jahrzehnt erregte beispielsweise der Film «Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits» (1990) Aufsehen. Auch wenn der zusätzliche deutsche Untertitel wie so oft unnötig erscheint, ist der Film selbst ein vertracktes Spiel mit der Psyche eines Kriegsveteranen, das nicht mit Blut oder Gewalt schockt, sondern mit tiefsinnigen Dialogen und existentiellen Fragen überzeugt. Eine Thematik, die sich in den 90ern auffallend oft in Horrorfilmen wiederfindet. So auch in dem einzigen Horrorfilm, der den heiß begehrten Oscar für sich beanspruchen konnte.
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Ein Horrorfilm, der in den 90ern ebenfalls eine bedeutende Erscheinung war, ist «Bram Stoker’s Dracula» (1992), der von niemand geringerem als Regie-Legende Francis Ford Coppola stammt («Der Pate»-Trilogie). Obwohl die Handlung rund um den namensgebenden Vampir teils etwas orientierungslos wirkt, ist der Film ein optisch berauschendes Werk, in dem die meisten Bilder wie Gemälde auf den Zuschauer wirken. Die Rückkehr der klassischen blutsaugenden Gestalt zeigt auch in den 90er Jahren, dass sich der Horrorfilm immer wieder auf seine literarischen Wurzeln besinnt, die man schon aus den Verfilmungen der 1920er Jahre kennt.
Der mitunter größte Einschlag in der Horrorfilmlandschaft der 1990er stellt der Film «Scream- Schrei!» (1996) dar. Regisseur Wes Craven, der 1984 mit «Nightmare – Mörderische Träume» die Horrorkultfigur Freddy Krueger ins Leben rief, bereicherte mit «Scream – Schrei!» das Horrorfilmgenre um etwas, das man damals nur selten antraf, nämlich Selbstreferenzen und Ironie. So weiß der Mörder in «Scream-Schrei!» beispielsweise über andere Horrorfilme Bescheid, die Protagonisten kennen die „Regeln“ dieser Filme und machen sich über eben jene lustig und zitieren sogar Klassiker wie «Tanz der Teufel» (1981). Cravens Film war ein massiver Erfolg, zog mehrere Sequels, sowie eine Serie nach sich, getragen von einer treuen Fangemeinde. Doch der Regisseur versuchte ein ähnliches Kunststück schon Jahre zuvor mit «Freddy’s New Nightmare», in dem sein Charakter Freddy Krueger ähnliche Referenzen fallen ließ.
Abseits von «Scream-Schrei!» machte der Film «Ringu» (1998), auch bekannt unter dem Titel «Ring – Das Original», von sich reden. Bevor das US-amerikanische Remake «Ring» 2002 erschien, konnte sich das japanische Original rund um das schwarzhaarige Mädchen Sadako einen Namen unter Horrorfilmfans machen. Zusammen mit dem Body Horror Klassiker «Audition», der ein Jahr später erschien, markieren diese beiden Filme einen der ersten und größten Einschnitte des fernöstlichen Horrors in die westliche Filmlandschaft. Viele der asiatischen Horrorfilme sind bis heute anders strukturiert und erzählt, wodurch besonders die Vereinigten Staaten den asiatischen Horror oftmals in Remakes neu inszenieren, um ihn ihren Sehgewohnheiten anzupassen.
Beendet wurden das Jahrzehnt mit zwei Horrorfilmen, deren Einfluss bis heute deutlich zu spüren ist. Die Rede ist von M. Night Shyamalans «Sixth Sense» und dem wegweisenden «Blair Witch Project», die zwar beide nicht unterschiedlicher sein könnten und doch ihre Spuren im Genre hinterlassen haben.
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Der große Knall, mit dem sich die Horrorfilme der 90er Jahre verabschiedeten, war «Blair Witch Project». Das Projekt der beiden Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sánchez griff dabei auf eine innovative Marketingstrategie zurück. In den ersten Versionen der heutigen Internetforen wurden die Gerüchte verbreitet, dass das Filmmaterial von mehreren Personen gefunden worden sei, die angeblich die berühmt-berüchtigte Blair Hexe in den Wäldern finden wollten. Auch außerhalb des damals noch jungfräulichen Internets wurde der Film nicht als solcher vermarktet, sondern als „Found-Footage-Film“. Gefundenes oder verschollenes Material, das nun also gefunden wurde und gezeigt wird. Eine Marketingmaßnahme, die zwar bis heute angewandt wird, sich jedoch nach «Blair Witch Project» schon schnell ermüdet hatte. Schaut man genauer in die Filmhistorie hinein, könnte man auch den 1980 erschienenen Skandalfilm «Nackt und zerfleischt» (besprochen in Teil II) bereits als Found-Footage-Film bezeichnen. Die große Popularität dieser Bezeichnung kam jedoch zweifelsohne mit «Blair Witch Project». Gerade dieser Film am Ende des Jahrzehnts war der Grund für Kontroversen und schockte neben den Vermarktung zusätzlich mit einem pointierten Finale, das vermutlich jedem Horrorfilmkenner im Gedächtnis geblieben ist.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Jahrzehnt der 90er von Genrevielfalt und nachhaltigen Einflüssen geprägt war, über die man als Horrorfilmkonsument oder selbst als konventioneller Kinobesucher heute noch stolpert. Nicht nur der Siegeszug des psychologischen Horrors, der bis heute anhält, wurde in den 90ern begründet, auch die revolutionäre und bis heute populäre Found-Footage-Materie hatte in dieser Zeit ihre Entstehung.
Im vierten und finalen Teil der Quotenmeter Horrorreihe wird der moderne Horror beleuchtet, gezeigt was ihn ausmacht und welche großen Vertreter es in der Moderne gibt. Warum ist der moderne Horror eine Renaissance für so viele Subkategorien des Genres und welche neue Kreaturen hat der Horrorfilm nach 2000 erschaffen? Diese Fragen klärt der finale Teil der Horrorreihe.
Hier geht es zu den beiden schon veröffentlichten Teilen.
Teil 1
Teil 2
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