Hingeschaut

«Ran an den Speck»: Eine Abnehm-Dokusoap, im Konflikt mit sich selbst

von

Detlef Steves und Silke Kayadelen fordern acht Familien dazu heraus, innerhalb von 90 Tagen ordentlich Gewicht zu verlieren. Gute Ratschläge und Voyeurismus gehen daraufhin Hand in Hand.

Das Konzept


Weitere Formate mit Detlef Steves (aktuell und eingestellt)

  • «Ab ins Beet!»
  • «Ab in die Ruine!»
  • «Claus und Detlef – Die Superchefs»
  • «Detlef muss reisen»
  • «Let's Dance» (Staffel acht)
  • «Deffis Hackshow»
In der neuen RTL-Nachmittags-Dokusoap begleiten VOX-Allzweckwaffe Detlef Steves und Silke Kayadelen, ihres Zeichens Personal-Trainerin und Ernährungsberaterin, acht Familien mit Gewichtsproblemen durch ihren Kampf gegen die Kilos. Die "Erzählstränge" verlaufen weitestgehend parallel zueinander: In der Auftaktausgabe werden zwei Familien vorgestellt, und leicht zeitversetzt beim Verlauf ihres Prozesses beäugt. Während die eine Familie zum Schluss der Ausgabe bereits ihre Trainings- und Diätpläne erhält, endet die Folge während der gesundheitlichen Bestandsaufnahme der zweiten Familie, auf die erst noch die Planverteilung folgen wird. Mit weiteren Ausgaben werden nach und nach neue Familien vorgestellt, während auf die jüngsten Entwicklungen bei den "etablierten" Familien geblickt wird.

Anders als etwa bei «The Biggest Loser» gibt es keinen Konkurrenzkampf zwischen den Teilnehmenden: Jede Familie bekommt einen Zeitraum von 90 Tagen und ein von den Gesundheitsexperten hinter dem Format bestimmtes, auf sie zugeschnittenes Abnehmziel. Erreicht die Familie es, erhält sie 10.000 Euro – theoretisch kann die erste «Ran an den Speck»-Staffel also mit acht Gewinnern enden und den Verantwortlichen 80.000 Euro zusätzlich zum Produktionsbudget kosten.

Teilnehmen dürfen aber nur Familien, denen Allgemeinmediziner Prof. Dr. Thomas Kurscheid, der sich aber auf die Behandlung Übergewichtiger spezialisiert hat, basierend auf einem umfassenden Gesundheitscheck das grüne Licht gibt.

Das Gute


Mit dem "sympathischen Chefcholeriker" (wie die Erzählerstimme in «Ran an den Speck» ihn bezeichnet) Detlef Steves hat «Ran an den Speck» einen vom Produktionsteam klug gewählten Moderator für die Sendung gefunden. Steves wog zeitweise über 130 Kilogramm und hat innerhalb weniger Monate drastisch abgenommen. Seither hält er sein Gewicht. Somit ist er für die Familien, die an «Ran an den Speck» teilnehmen, ein nahbarer Ansprechpartner, mehr als es so manche übermotivierte Fitness-Kraftbombe, wie man sie aus diversen vergleichbaren "So, jetzt wirst du schlank!"-Sendungen kennt. Mit seiner offenen, manchmal vorlauten, doch auch stets kumpelhaften Art "entwaffnet" er die Situation und als Ex-Pummelchen dient er als eine Art Identifikationsfigur oder zumindest Vertrauensperson, die den Familien auf Augenhöhe begegnet.

Steves gibt auch in Abwesenheit der Familien Kommentare ab, die klar machen: Er hält nicht viel von der Dauerverurteilung Übergewichtiger. Er meint in einem Moderationspart, dass nicht jeder ein Sixpack haben und in Muckibergen versinken muss, außerdem keift er über die Arroganz jener, die sagen: "Ja, aber abnehmen ist doch so einfach!" Steves vermittelt, dass es Typensache ist. Für die Einen ist es leicht, auf Alkohol zu verzichten, für die Anderen ist es leicht, auf Süßigkeiten zu verzichten – da bringt es nichts, die Nase gen Himmel zu recken.

Und obwohl in «Ran an den Speck» auch Familien mit Grundschulkindern vorkommen, sperrt sich die Sendung vor der Idee "Diäten für Kinder": Das "Abnehmziel" für den achtjährigen Spross des Ehepaares Wandel aus Köln sieht vor, dass er ohne Plandiät schlicht sein Gewicht hält. Er soll sich öfter bewegen, seltener Zucker und Fett zu sich nehmen und das Übergewicht wird sich schon rauswachsen …

Das Schlechte


Erwartungsgemäß reißt Steves manchmal der Geduldsfaden – nicht ohne Grund wird er als "Chefcholeriker" vorgestellt. Dass er einer Frau, die gerade erfährt, dass sie Diabetes hat, sowie ihrem Mann, der "auf dem Weg" ist, ebenfalls Diabetes zu haben, nach einer kurzen Atempause im genervten Tonfall sagt, dass er sie am liebsten über's Knie legen würde, ist dennoch nicht gerade all zu taktvoll. Steves kommt mit seiner Art, seinen Zorn lachend und in einem Singsang von sich zu geben, in den Augen des Autors dieser Zeilen so gerade noch mit seinem Spruch durch. Sollten sich Fernsehende beim «Ran an den Speck»-Team über Taktlosigkeit im Umgang mit Diabetes-Diagnosen beschweren, lässt es sich dennoch schwer wegdiskutieren, wie unglücklich die Situation im fertigen Schnitt aussieht.

Außerdem scheinen Regie und Schnitt mit großem Eifer gegen Steves' "Es soll jeder in seiner Haut glücklich werden"-Mentalität zu steuern. Während Steves einfach nur will, dass seine Schützlinge gesünder werden, also mit ein paar Kilos weniger und somit wortwörtlich wie auch im übertragenen Sinne leichtfüßiger durchs Leben schreiten, übt sich «Ran an den Speck» auf anderer Ebene im Vorführen der Teilnehmerfamilien.

Beispiel gefällig? Okay: Schon einmal eine Nahaufnahme einer Person gesehen, die gerade isst? Das ist seltenst ein attraktiver Anblick, und wenn man dann noch das Bild durch einen Graufilter jagt, könnte es ein Supermodel sein, das Zucchini-Spaghetti schlürft – es sähe unappetitlich aus. Anders gesagt: Weite Strecken der Episode mit grau gefilterten Nahaufnahmen von Übergewichtigen vollzustopfen, die gerade essen, ist auf widerliche Weise manipulativ: Die Bildregie beschwört Ekelgefühle herauf, wo keine nötig sind.

Silke Kayadelen bekleckert sich auch nicht zwingend mit Ruhm: So beklagt sie sich beim Anschauen des Videomaterials von Steves Besuch bei Familie Wedel über die ungesunde Gesichtsfarbe der Familienmitglieder. Familie Wedel ist zwar zweifelsfrei keine gesunde Familie, aber wenn einem nicht die Hautunreinheiten und Augenringe weg geschminkt werden, sieht jeder im Fernsehen grausig aus. In diesem und in vergleichbaren Fällen wird bei «Ran an den Speck» also mit gezinkten Karten gespielt, um die Kandidatenfamilien noch schlechter dastehen zu lassen. Auch Steves muss sich diesbezüglich Kritik gefallen lassen, sagt er doch über eine Familie mit völlig durchschnittlichen Frisuren und unauffälliger Alltagskleidung: "Man erkennt an den Frisuren und der Kleidung … die haben sich völlig aufgegeben!"

Und ob es ein angemessener Cliffhanger für eine Sendung ist, die es sich auf die Fahnen schreibt, Familien zu helfen, die Auftaktfolge damit zu beenden, dass die Arztbefunde eines Kindes die Eltern von den Füßen hauen wird, dürfte auch mehr als nur fraglich sein.

Fazit: «Ran an den Speck» ist eine Dokusoap zwischen zwei Welten. Sie ist teils freundlich gemeintes, motivierendes Abnehmformat. Und stellenweise typisches, voyeuristisches und vorführendes Nachmittagsfernsehen.

«Ran an den Speck» ist ab dem 26. August 2019 immer montags bis freitags um 15 Uhr bei RTL zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/111674
Finde ich...
super
schade
34 %
66 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelPrimetime-Special: ProSieben berichtet über brennenden Regenwaldnächster Artikel«Grill den Henssler»: Pocher, Steves, Chaos und Quoten-Aufwind
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung