Die Kritiker

«Die neue Zeit»

von   |  3 Kommentare

Ein Format, das viel will, und leider wenig zustande bringt. Die Bauhaus-Serie «Die neue Zeit» will Avantgarde ausstrahlen – und versinkt im uninspirierten Konformismus.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
August Diehl als Walter Gropius
Anna Maria Mühe als Dörte Helm
Trine Dyrholm als Stine Branderup
Valerie Pachner als Gunta Stölzl
Ludwig Trepte als Marcel Breuer
Sven Schalker als Johannes Itten
Alexander Finkenwirth als Johannes I. Auerbach

Hinter der Kamera:
Produktion: Zero One Film GmbH, Constantin Television GmbH und Nadcon Film
Drehbuch: Lars Kraume (auch Regie), Judith Angerbauer, Lena Kiessler
Kamera: Jens Harant
Produzent: Thomas Kufus
Koproduzenten: Oliver Berben und Peter Nadermann
Am krachendsten scheitern historische Filme und Serien meistens dann, wenn sie zu Museen degenerieren. Schon diesen Vorwurf muss sich die neue ZDF-Serie gefallen lassen, die die ersten Bauhaus-Jahre in Weimar von den Wirren der Ausrufung der Republik bis zum Umzug ins beschaulichere Dessau nach Hyperinflation und Hitlerputsch nacherzählen will.

Wobei „nacherzählen“ das falsche Wort ist, zumindest, sofern man darunter mehr subsumieren soll als die Aneinanderreihung historischer Ereignisse, die sich im Hintergrund abspielen: Kapp-Putsch, erdrückende Reparationsleistungen, Ruhrbesetzung. Denn die meisten der tragenden Handlungselemente der «Neuen Zeit» sind ausgedacht, freundlicher formuliert „historisch nicht verbürgt“, oder unfreundlicher: mitunter dreist insinuiert.

Wie schon der zu Anfang des Jahres im Ersten ausgestrahlte Bauhaus-Film «Lotte am Bauhaus» wählt auch dieses Format den Blickwinkel einer unerfahrenen jungen Frau, die beim Großmeister Walter Gropius (August Diehl) studieren will. Hier tritt sie in Form der (realen) Künstlerin Dörte Helm (Anna Maria Mühe) in Erscheinung, die im wahren Leben nie sonderlichen Ruhm erfahren durfte, im Dritten Reich als „Halbjüdin“ einem weitgehenden Berufsverbot unterlag und schließlich 1941 in Hamburg an einer Infektionskrankheit starb. Dass ihre Beziehung zu Gropius in der Realität nie romantische Züge annahm – zumindest ist davon eben nichts in seriöser Weise „verbürgt“ oder durch Quellen untermauert, die man nicht schnatterhaftem Getuschel zurechnen müsste – schert allerdings die Serienautoren nicht, aus dieser Vorstellung ihren erzählerischen Hook zu machen, und am Schluss aus Gropius einen selbstgefälligen, gebrochenen alten Mann, der auch vier Jahrzehnte später in seinem Bunker in Massachusetts nicht zu seinen Gefühlen stehen kann, aber Dörtes alten Holzschnitt heimlich im Schlafzimmer hängen hat.

«Die neue Zeit» wählt als Zugang zu ihrem unbändig künstlerischen Sujet also einen erschreckend unkünstlerischen, erzählerisch gar unangenehm trivialen Zugang: das Anbandelspiel der etwas unscheinbaren und insbesondere unerfahrenen jungen Frau und des gestandenen, charmanten, eleganten Künstlers, das zwischen gegenseitigen intellektuellen Herausforderungen, Momenten der Sympathien und konfrontativen Nadelstichen alterniert. Zugegeben: Das ist immer noch meilenweit intelligenter als im televisionären Regelbetrieb – doch ein Thema wie das Bauhaus erfordert es eben, sich über alle vermeintlichen sendeplatzgewohnheitlichen Denkverbote hinwegzusetzen.

Viele Kritiker überschlagen sich nun mit Lobeshymnen auf diese «Neue Zeit», weil sie sich nicht nur künstlerisch angenehm aufmüpfig, sondern auch intellektuell komplex gibt. An diesem Serienbauhaus finden lange, gekonnt kompakt geschriebene und mit großem Elan inszenierte Debatten über Funktionalismus und Futurismus statt, es will eine Ode sein an den „schöpferischen Akt des Künstlers“ und findet auch erzählerisch zu klugen Darstellungsformen, insbesondere beim persönlichen Hauptproblem der Serien-Dörte-Helm: Sie ist keine Künstlerin, sie erschafft nicht, sie reproduziert. Als Meister Itten (einer der sonderbarsten Lehrer an der Akademie, wunderbar intensiv gespielt von Sven Schelker) ihr dies in seiner betont brachialen Art vorhält, macht das den Weg zur Selbsterkenntnis frei: Doch anstatt sich auf die Geschichte dieser seelischen Reifung zu konzentrieren, wozu auch Helms Emanzipation von ihrem Mimesis-verehrenden Altphilologen-Kappputschisten-Vater eine weitere spannende Ebene beisteuert, rutscht die Serie in Allgemeinplätze ab, die dem besonderen Geist der Zeit und des Ortes nachspüren sollen, dabei aber nie zu einem kohärenten Gesamtbild verwebt werden: Die große Else Lasker-Schüler darf – lange vor ihrem wunderbaren, weltberühmten „Blauen Klavier“ – eine exzentrische szenische Lesung darbieten, Gropius großkotzig seine Frau an Franz Werfel abtreten. Die 20’er halt.

Doch man darf nicht schon froh sein, wenn es im Hauptprogramm einmal ohne Vorwand um Kunst geht. „Die Form muss der Funktion folgen“, um ein streitbares Dictum aus den avantgardistischen Debatten der letzten eineinhalb Jahrhunderte zu bemühen. Und diese Form der «Neuen Zeit» folgt der Funktion nie so ganz, in den schlechteren Momenten macht sie das Gegenteil. Zum Beispiel, als die Produktion an die Tochter von Dörte Helm mit der Bitte herantrat, die Selbstportraits ihrer dunkelhaarigen Mutter zu retuschieren, damit die Diskrepanz zur Besetzung mit der blonden Anna Maria Mühe nicht so auffällt, die anscheinend keine Lust hatte, sich für diese Rolle die Haare zu färben.

Ohnehin: Wieso scheint die Geschichte des Bauhauses für das öffentlich-rechtliche Fernsehen allein durch die Brille von unerfahrenen, verzagten jungen Frauen erzählbar zu sein? Und während Alicia von Rittberg in «Lotte am Bauhaus» in einer nahbaren, authentischen und unprätentiösen Darbietung zu sehen war, will es Mühe hier leider nicht gelingen, diese Serie zu führen. Nur wenn sich ihre Dörte Helm in den konfrontativeren Szenen stakkatohaft den Frust aus dem Leib palavert, bekommen wir auch Mühes Elan zu sehen, während Valerie Pachner, die als Dörtes Erstsemester-Kommilitonin Gunta Stölzl auftritt, aus dem Thema der feministischen Befreiung – trotz aller pragmatisch-konformistischen Tendenzen ihrer Figur – wesentlich mehr Kraft schöpfen kann.

Dabei ist es schon ein gehöriger Denkfehler gewesen, eine betont unkünstlerische Figur – die eben nicht schaffen, sondern nur kopieren kann – in einer Serie über eine der schaffenskräftigsten Kunstinstitutionen des letzten Jahrhunderts zum erzählerischen Kern zu machen. Die bessere Lösung für den Fokuspunkt wäre auf der Hand gelegen: Gropius selbst. Schließlich ist der Mann so besessen von seinem Projekt, dass er die Gründung der Akademie noch im Schützengraben an der Westfront anleiert.

Wie es dieser Serienversion von Dörte Helm an kreativem Geist fehlt, fehlt es dieser Serie leider ebenso an einem nennenswerten Gestaltungswillen: Anstatt sich die historischen Ereignisse und Dramen (Kapp-Lüttwitz-Putsch, Hyperinflation, ein rassistisch deutsch-nationaler Common Sense) für die Geschichte zunutze zu machen, hangelt sie sich an den historischen Ereignissen entlang, um sie mit immer müderen Ideen pflichtbewusst auszustaffieren. Was «Die neue Zeit» dabei leider überhaupt nicht zu transportieren versteht, ist die unbändige Energie und der schier grenzenlose Aufbruchsoptimismus der frühen Bauhaus-Jahre.

Das ZDF zeigt sechs Folgen von «Die neue Zeit» täglich von Sonntag, den 15. September bis Dienstag, den 17. September, jeweils um 22.15 Uhr in Doppelfolgen.

Kurz-URL: qmde.de/111959
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Familie Tschiep
15.09.2019 11:47 Uhr 1
Die Serie leidet unter der 6-Folgen-Reduzierung, die bei deutschen Serien heute so üblich ist. Bei 2 bis 4 Folgen mehr kann man ausführlicher auf die Zeit eingehen und vielleicht auch manchmal etwas eleganter etwas erzählen. An den Dialogen hätte gern mehr gefeilt werden können, es ist nicht gerade elegant, wenn sich jemand als Kommunist vorstellt.
Nr27
15.09.2019 18:42 Uhr 2
Ich muß widersprechen. Für mich war das eine der besten, unterhaltsamsten und auch informativsten ÖR-Miniserien der letzten Jahre - sicher nicht makellos, aber auf jeden Fall deutlich besser als die ach so hochgelobten, aber in Wirklichkeit vor allem klischeeüberfrachteten "Ku'damm"-Serien.
Familie Tschiep
16.09.2019 13:07 Uhr 3
So schmierig wie bei "Die neue Zeit" sind die Bösewichte in der Kudamm-Reihe.

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