Doch die Serie ist bei Weitem nicht die einzige Umsetzung des literarischen Stoffes von Ferdinand von Schirach, der selbst als Jurist tätig ist. So kam erst im April diesen Jahres «Der Fall Collini» mit Elyas M’Barek in die Kinos und auch «Der weiße Äthiopier», sowie «Asphaltgorillas» wurden bereits verfilmt. Zudem erlangte von Schirach große Bekanntheit durch das Live-Experiment «Terror – Ihr Urteil». Bei diesem konnten die Zuschauer live darüber abstimmen, ob ein fiktiver Kampfpilot dafür verurteilt werden sollte, eine Passagiermaschine abgeschossen zu haben, die von Terroristen entführt wurde. Inzwischen sind die Werke des Juristen so erfolgreich, dass sich beispielsweise der Roman „Der Fall Colini“ in England besser verkaufte als das neue Buch des Autors John Grisham. Und das, obwohl Grisham ebenfalls über juristische Fälle schreibt und bereits seit Jahrzehnten ein etablierter Autor ist.
Man kann durchaus sagen, dass von Schirach dem deutschen Fernsehen durch seine literarischen Vorlagen einen qualitativen Aufschwung gegeben hat. Durch die vielfältigen Serien und Filme, die aus der Feder von Schirachs stammen, liegt ein Vergleich mit dem US-amerikanischen Filmemacher Ryan Murphy nahe. Dieser produziert nicht nur Filme, sondern schreibt einen Großteil selbst, realisiert sie und legt die Grundsteine für neue Serien, darunter auch die populäre «American Horror Story» und «American Crime Story». Murphys Werke sind – wie die von Schirachs – mehrfach ausgezeichnet und sind nicht selten Kritikerlieblinge. Dabei stellt sie die Frage, ob es sich bei Ferdinand von Schirach um eine deutsche Variante eines Ryan Murphy handelt.
Das Hauptaugenmerk der Romane von Schirachs liegt auf den Schicksalen einzelner oder weniger Menschen, die meist tragischer oder gar grausamer Natur sind. Nicht immer dreht es sich um Morde, doch es ist stets eine hohe Emotionalität im Spiel, die den Zuschauer fesselt. Der juristische Grundstein bleibt dabei jedoch immer gleich. Bei Murphy hingegen lässt es sich nicht so bestimmt sagen, auf welches Genre und Trademarks er sich spezialisiert hat. So hat der Amerikaner mit «American Horror Story» eine erfolgreiche Horrorserie erschaffen, die sich mit jeder Staffel einer grundlegend neuen Thematik widmet. Dann wiederum hat er mit «Eat Pray Love» eine Romanze mit Julia Roberts gedreht, bis er mit «Scream Queens» eine Serie fertigstellte, die Horror- und Comedyelemente miteinander verband. In Murphys Portfolio lassen sich mittlerweile Sitcoms, Romanzen, Horrorserien und Komödien finden, ebenso wie anstehende Kooperationen mit niemand geringerem als dem Streaming-Giganten Netflix. Ist der Vergleich mit Ferdinand von Schirach also gerechtfertigt?
- © ZDF/Florian Lücke
An einer geschäftigen Straße in New York. Friedrich Kronberg (Moritz Bleibtreu) steht am Straßenrand und gibt Handzeichen, um ein Taxi anzuhalten.
Ja und gleichzeitig nein. Zum einen ist von Schirach Literat, kein Filmemacher, obwohl er beim Schreiben sicherlich die filmische Umsetzung vor Augen hat. Murphys höhere Dichte an Serien und Filmen lässt sich damit erklären, dass er vorrangig Filmemacher und Produzent und weniger ein Autor ist. Während von Schirachs Stoff in zweiter Instanz umgesetzt wird, ist Murphy selbst der Realisator. Noch dazu ist das Hauptnarrativ von Schirachs immer mit juristischen Themen verbunden und entfernt sich meist kaum davon. Murphy hingegen springt scheinbar in den unterschiedlichen Genres hin und her, ohne sich auf eine Sache festzulegen. Demnach ist Ferdinand von Schirach nicht die „eierlegende Wollmilchsau“, wie es scheinbar bei Ryan Murphy der Fall ist. Eine Sache hat von Schirach ihm jedoch voraus.
Denn auch wenn Murphy zweifelsohne qualitativ gute Serien und Filme produziert hat, ist der Ausgangsstoff von Schirachs anspruchsvoller, tiefgründiger und filigraner, als es bei Murphy der Fall ist. Das zeigt auch wieder die dritte Staffel «Schuld», die offenbart, dass eine hervorragende deutsche Serie auch ohne das Zutun von Netflix oder ähnlichem entstehen kann. Natürlich ist Bleibtreu auch in dieser finalen Staffel der Halt gebende Pflichtverteidiger, der sich mit den Schicksalen der Menschen auseinandersetzt. Wieder werden interessante Prämissen und Charaktere vorgestellt, die nicht wirken wie auf Papier festgehaltene Schemen, sondern wie lebende und sich verändernde Menschen. So bekommt es das Publikum aber auch wieder mit Fällen zu tun, die nicht selten erschütternd wirken. So zeigt sich gerade in der dritten Staffel «Schuld», dass von Schirach das Publikum wieder selbst vor die Entscheidung stellt, wie er es einst mit «Terror – Ihr Urteil» getan hat. Ein Beispiel: ein junges Mädchen gebärt ein Kind, das aus einer Vergewaltigung stammt, und wird später des Kindsmordes angeklagt. Die Frage, zu dem das Publikum hingeführt wird, ist offensichtlich: ist die Anklage gerechtfertigt oder ist sie es nicht?
Wie die beiden Staffeln zuvor, kann auch die dritte und letzte Staffel «Schuld nach Ferdinand von Schirach» vollends überzeugen. Doch die vier Folgen sind kein Garant für gute Laune, im Gegenteil. Die Werke von Ferdinand von Schirachs sind weder komödiantisch noch angenehm, dafür jedoch tiefgründig und nicht selten entlarvend. Und auch wenn von Schirach kein Ryan Murphy ist, gibt er der deutschen Film- und Fernsehlandschaft doch gerade das, was sie so dringend benötigt: Qualität.
Das ZDF zeigt die dritte Staffel «Schuld nach Ferdinand von Schirach» jeden Freitag um 21.15 Uhr. Alle Folgen sind in der Mediathek verfügbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel