Florian Kaiser
Als Disney kürzlich ankündigte, auf seinem kommenden Streamingdienst neue Serienstaffeln Folge für Folge im Wochenrhythmus veröffentlichen zu wollen, anstatt direkt alle Episoden auf einmal zur Verfügung zu stellen, war klar, dass dies den Startschuss einer leidenschaftlich auf Social Media geführten Grundsatzdebatte markieren würde. Die Fraktion, die sich für erstgenannte Release-Praxis stark machte (und noch immer macht), hätte vermutlich weit weniger Mitglieder, wenn in jüngerer Vergangenheit nicht insbesondere «Game of Thrones» oder auch «Star Trek: Discovery» gezeigt hätten, dass das Nicht-Bingen durchaus Vorteile mit sich bringt, die einige schon längst vergessen hatten oder auf die sie gar nicht gekommen wären.
«The Masked Singer» hat bekanntlich hierzulande das vermeintlich Unmögliche geschafft und das generationenübergreifende Lagerfeuer in der Nach-«Wetten, dass..?»-Ära neu entfacht, «Game of Thrones» allerdings war eine Art weltweites Lagerfeuer. Es wurde im Internet, jedoch nicht nur dort diskutiert. Auf der Arbeit, an der Uni, im Supermarkt, in der Schule, kurz: (gefühlt) überall! Vor allem diese detaillierte Auseinandersetzung mit jeder Szene, jeder Figur und jeder dramaturgischen Entscheidung wäre in diesem Ausmaß sicher nicht gegeben gewesen, wenn die gesamte Staffel innerhalb weniger Tage hätte „weggeguckt“ werden können. Wer nun aber sagt, dass sie oder er genau das will, bleibt ein überzeugter Binge-Watcher – was selbstredend vollkommen okay ist – und wartet aus diesem Grund vielleicht einfach, bis die komplette Season von beispielsweise «The Mandalorian» auf Disney+ abrufbar ist. Sonderlich Spoiler-allergisch darf sie oder er dann allerdings nicht sein – bei der „Eine Folge/Woche“-Variante hingegen besteht die Gefahr des Zu-viel-zu-früh-Wissens lediglich in einer deutlich abgeschwächteren Form.
Ich persönlich bin seit jeher ein Mensch, der die Vorfreude definitiv als die schönste Freude ansieht, und von frühsten Zeichentrick-Kindheitstagen an froh war, wenn das Wochenendprogramm noch viele Samstage und Sonntage lang neue Folgen meiner Lieblingsserie für mich bereithielt. Wenn es nicht unbedingt (aufgrund einer Kritik etwa) erforderlich ist, schaue ich daher auch heute selbst bei komplett verfügbaren Staffeln maximal zwei Folgen/Tag und nie zwei Seasons einer Serie hintereinander, weil ich nicht will, dass alles verschwimmt, weil ich das Gesehene sehr bewusst wahrnehmen, darüber nachdenken, und es wertschätzen sowie genießen können möchte – und das geht (aus meiner Sicht) besser mit Pausen.
Sidney Schering
Die Medienkultur, sie bewegt sich in Wellen: Noch vor wenigen Jahren war "Eine Woche, eine Folge" für viele Serien Standard. Dann kam Netflix und veröffentlichte seine Serienstaffel auf einen Schlag. Das war neu, das war aufregend, das hat so den Diskurs um «House of Cards», «Orange Is the New Black» und «Daredevil» angefacht. Mittlerweile bringt Netflix aber so viele Serien raus, dass die meisten völlig untergehen – und auch nach Wochen keine neuen Fans finden, weil partout kein Diskurs über sie entsteht und daher viele gar nicht erst Argumente zu hören oder zu lesen bekommen, sie anzufangen. Ausnahmen gibt es natürlich, wie etwa «Matrjoschka», doch wenn selbst ein Klickhit wie «Stranger Things», dessen ersten Staffeln den popkulturellen Diskurs für Wochen dominierten, mit Staffel drei kaum noch Wellen abseits der Fanbase schlägt, wird offensichtlich: Die Binge-Veröffentlichung hat auch ihre Nachteile.
Parallel zu dieser Erkenntnis wurde zuletzt noch einmal deutlich, welche Vorteile die zwischenzeitlich als lahm und altmodisch beschimpfte, wöchentliche Veröffentlichungsweise mit sich bringt. Es bleibt mehr Raum für Vorfreude, Diskussion und Hype-Entwicklung. Und selbst, wenn man Gefahr läuft, beim langsamen Nachholen der Folgen gespoilert zu werden, so kann einem niemand bereits wenige Stunden nach Staffelveröffentlichung das Ende verraten. Sollte Disney+ eine neue Welle an Anerkennung für das wöchentliche Modell auslösen, ist schon jetzt klar: Irgendwann wird dann wieder das Binge-Modell neu und aufregend aussehen. Wir Medienkonsumierenden lassen uns halt schnell an etwas gewöhnen … Meine persönliche Faustregel: Dramatische Serien mit übergreifendem Handlungsfaden sind gut für wöchentliche Veröffentlichungen geeignet – es sei denn, die Episoden haben gar keine eigene "Persönlichkeit" mehr und es dreht sich nur um einen zig Stunden langen, in Häppchen geteilten Film. Dann sollte man doch über das Bingen nachdenken.
Und halbstündige Comedyserien werden im deutschen Fernsehen schon aus gutem Grund meistens im Doppelpack (oder in noch größeren Dosen) versendet: Da will man was Positives, was Leichtes zum Durchatmen gucken und nach 30 Minuten ist schon Schluss? Nein, «High School Musical: The Musical: The Series» wird in wöchentlichen Episodenschüben nicht so krachen wie mit Doppelfolgen. Kurzum: Manche Serien sind zum Bingen da. Andere dazu, als wöchentlicher Termin gefeiert zu werden.
Manuel Weis
Eine ganze Staffel an einem Wochenende suchten oder doch lieber auf eine wohldosierte Portion zurückgreifen? Im Jahr 2019 sollte das jedem Serienfan selbst überlassen sein. Der eine mag’s schnell und heftig, der andere eher langsam und genüsslich. Um wirklich jedem Serienfan sein eigenes Tempo zuzugestehen, ist aber die von Netflix etablierte Praxis, sofort alle Folgen auf einen Schlag zur Verfügung zu stellen, die einzig richtige. Im Falle von Disney+, das ja den wöchentlichen Rhythmus bevorzugen wird, bliebe nur die Option, sich einen Vorrat von Episoden anzulegen, um dann wieder im eigenen Tempo vorzugehen. Das ist umständlich, mühsam und erfordert zudem Disziplin. Insofern: Alles immer her damit!
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
22.09.2019 19:11 Uhr 1
23.09.2019 12:59 Uhr 2
Und wer trotzdem jede Serie "bingen" will, der soll halt einfach warten, bis die Staffel durch ist und sie dann anschauen. Ich sehe da kein Problem - allerdings bin ich auch mit einem Mindestmaß an Geduld gesegnet ...
23.09.2019 17:53 Uhr 3
Naja, theoretisch kann man die Argumentation von Manuel auch einfach umkehren. Wer alles aufeinmal sehen will, braucht eben genug Disziplin, um bis zum Ende zu warten und es dann durchzusuchten?! Ist ja im Prinzip das, was der User Nr27 sagt.
Persönlich ist es mir eigentlich egal, auch wenn ich diesen Wochenrythmus bevorzuge. Hatte schonmal wo anders geschrieben, dass ich es doch sehr vermisse, dass ein Stück Diskussionskultur mit dem Massenkonsum kaputt gegangen ist, weil man sich nicht mher Woche für Woche austauscht, sondern die Staffeln nur noch runterrotzt und man nur noch Meinungen zu dem kompletten Klotz liest und diskutiert. Schade...
Aus Sicht von Disney finde ich die Rückkehr gar nicht so doof. Wenn man sich irgendwann an die Disney-Serien bindet (und auf die Star Wars Serie bin ich jetzt schon gespannt), dann wird man das Disney+-Abo nicht nach einem Monat kündigen, sondern im Zweifelsfall einfach den nächsten und den übernächsten Monat mitkaufen, um dran zu bleiben. Und bei 7 Euro im Monat ist man im Zweifelsfall lieber einen Monat zu viel dabei als einen zu wenig.
So kommt man den "dann hab ich einen Monat Netflix und einen anderen Monat Disney+" Fans zuvor, die sich, falls die Angebote stimmen, dann frühzeitiger auf die neue Plattform einlassen, dort bleiben und bei Bedarf vielleicht eher Netflix für einen Monat mit dazu kaufen.
Das alles unter der Voraussetzung, dass Disney genug hat, um die Leute zu binden.
Würde Netflix nämlich Serien im Wochenrhythmus ausstrahlen, hätte ich bei denen beispw. auch das ganze Jahr was zu schauen. Aber so reichen mir im Prinzip 3 Monate im Jahr. Der Rest läuft dann eher so nebenher.
23.09.2019 21:45 Uhr 4