Filmfacts «Joker»
- Regie: Todd Phillips
- Produktion: Todd Phillips, Bradley Cooper, Emma Tillinger Koskoff
- Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver
- Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy
- Musik: Hildur Guðnadóttir
- Kamera: Lawrence Sher
- Schnitt: Jeff Groth
- Laufzeit: 122 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Und auch die "Der Film glorifiziert einsame, blasse Männer, die sich als Zentrum der Welt betrachten und Anderen Schaden zufügen"-Sorge schien mir seit jeher absurd – ich hatte nie einen Zweifel daran, dass Regisseur Todd Phillips seine Titelfigur als Schrecken versteht. Aber gut, ich verstand ja auch seinen «War Dogs» als gepfefferte Kritik an den pervertierten Auswüchsen des amerikanischen Traums und seinen realen Hauptfiguren. Wieso sollte Phillips plötzlich brutal danebengreifen?
Aber ich muss gestehen, dass die in diesem Sturm aus gegensätzlichen Meinungen schwirrenden Lobeshymnen meine Erwartungen hochgeschraubt haben. «Joker»: Gewinner des Goldenen Löwen sowie zwei weiterer Preise bei den Filmfestspielen von Venedig. Mittelpunkt einiger mit Nachdruck verfasster Spitzenkritiken, die in ihm einen kreativen Befreiungsschlag der Comicadaptionen sehen, einen packend-verstörenden Blick in eine kaputte Seele und einen schneidigen Spiegel der Schattenseiten der Gesellschaften.
Naja. Oder auch nicht. Liebe Leute, betrachtet mich als euren «Joker»-Vorfreudebremser, als Wind-aus-den-Segeln-Nehmer, als unbeeindruckten Spaßverderber. Alles, was ich unterm Strich für «Joker» übrig habe, ist ein Schulterzucken.
Ein übersehener Mann in Martin Scorseses Gotham
Gotham im Jahre 1981, das aussieht wie New York in Martin Scorseses Schaffen der 1970er- und frühen 1980er-Jahre: Die Müllabfuhr streikt, die Sozialleistungen werden massiv gekürzt und der abgemergelte Einzelgänger Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) hält sich und seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy) gerade so über Wasser. Arthur arbeitet in einer Clown-Agentur, die ihre Schützlinge unter anderem zu Werbezwecken vermietet oder an Kinderkrankenhäuser vermittelt. Als Werbeclown ist Arthur jedoch vor allem der Prügelknappe auf Krawall gebürsteter Halbstarker. Aufgrund seiner diversen Konditionen (er nimmt sieben Psychopharmaka) bekommt Arthur keine besseren Jobs, und richtige Freunde hat er auch keine – nicht zuletzt, weil ihn Menschen aufgrund seines unkontrollierten, gequält klingenden Lachens irritierend bis abstoßend finden.
Arthurs Sehnsucht, in den Fußstapfen seines Lieblingsmoderators Murray Franklin (Robert De Niro) zu wandeln und es als Komiker zu versuchen, scheint ein bloßer Traum zu bleiben. Und ebenso wenig findet er den Mut, das Gespräch mit der freundlichen Nachbarin (Zazie Beetz) zu suchen. Doch als ein Arbeitskollege Arthur eine Pistole schenkt, sind die Weichen gestellt: Arthur hat nun etwas in der Hand, um sich und sein Leben neu zu definieren …
Subtilität ist es schon einmal nicht, womit sich «Joker» brüsten kann. Ganz gleich, wie sehr einige Stimmen (darunter auch Tausende, die den Film gar nicht gesehen haben) «Joker» als "Arme, einsame, missverstandene Männer"-Kampfschrei oder "Geisteskrankheiten töten Leute"-Manifest missdeuten wollen: Es sind Schusswaffen, die in «Joker» der entscheidende Ursprung der Gewalt sind. Ohne Knarre, kein Joker: Es ist die unverhofft erhaltene Macht, mit dem Betätigen eines Triggers Leben auslöschen zu können, die aus dem kranken, von der Gesellschaft geschundenen, missverstandenen und unverantwortlichen Arthur eine Gefahr macht. Und die Befriedigung, nicht weiter ein Niemand zu sein, ist es, die aus der Gefahr Arthur einen Wiederholungs- und Überzeugungstäter macht. Phillips spielt da gar nicht erst mit Schattierungen.
Nicht nur, dass das von ihm und Scott Silver verfasste Drehbuch das prominente Auftauchen von Schusswaffen mit dramaturgischen Wendepunkten vereint, er unterstreicht dies auch inszenatorisch: Die Folge, was geschieht, wenn jemand Machtloses an Macht gelangt, die er nicht haben sollte, und sie nutzt, fängt Phillips in einer wortkargen, musikalisch schaurig-verqueren Szenenfolge ein, in der ein überforderter, nervöser, zittriger Arthur seinen Gestus ändert. Als sei ein Schalter gedrückt worden, findet er eine perfide Grazie, Selbstzufriedenheit und Größe in seinem körperlichen Ausdruck, während die Kamera an versifften Wänden entlanggleitet und der Klang ins Bedrohliche kippt.
Es ist einer der raren, herausragenden Augenblicke in «Joker». Eine Waffe macht aus einem Mann, der Schutz und Hilfe benötigt, ein Monstrum, vor dem man Schutz und Hilfe benötigt. Es ist eine überdeutliche Kritik an der laxen Haltung der USA gegenüber Schusswaffen und inszenatorisch lässt Phillips keinerlei Raum für Ambivalenz: Arthur Fleck verliert, sobald er vom Opfer zum Täter wird, jegliches Anrecht auf Empathie. Es ist eine fruchtende Unsubtilität, die «Joker» in dieser Sequenz einschlägt, eine kreativ mutige, da hier auf die Wucht der non-verbalen Erzählung gesetzt wird.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
01.10.2019 16:22 Uhr 1
01.10.2019 16:42 Uhr 2
01.10.2019 18:28 Uhr 3
01.10.2019 19:32 Uhr 4
Gerade, wenn du die miteinander verbundenen Filme ab "Man of Steel" nicht mochtest, müsstest du es doch begrüßen, dass es nun einen Film gibt, der als Einzelwerk gedacht ist?