Cast & Crew
Vor der Kamera:Stephan Kampwirth als Carsten Gellhaus
Nina Kronjäger als Sabine Krüger
Luise Wolfram als Nadine Schwarz
Thomas Heinze als Holger Schmitz-Wessel
Cem-Ali Gültekin als Karim Seidel
Oliver Fleischer als Heiko Ottenbruch
Lena und Lisa Mantler als Trixi und Tina
Hinter der Kamera:
Produktion: Westside Filmproduktion GmbH
Drehbuch: Eva und Volker A. Zahn
Regie: Isa Prahl
Kamera: Tobias von dem Borne
Produzenten: Martin Zimmermann und Christian Becker
Zwei Teenie-Mädels tanzen in einem dieser unerträglich überdrehten Influencer-Videos mit Abermillionen von Zuschauern die großartigen Wirkungen der neuen Anti-Baby-Pille Bellacara vor, um kurz darauf in gekünsteltes Würgen zu verfallen, weil das Präparat auch mit einem deutlich erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Der Geschäftsführer (Thomas Heinze), der das Video mit dem Team-Stab ansieht, wirft irgendwann wutentbrannt die Fernbedienung von sich, um der Projektleiterin (Nina Kronjäger) vorzuschreien, „ihre Berufung in den Vorstand“ könne sie nun vergessen. „Das können Sie nicht machen!“, erwidert die entsetzt, bevor sie sich an einen Kollegen wendet, Carsten Gellhaus (Stephan Kampwirth): „Das hab‘ ich allein dir zu verdanken!“ Die Ohrfeige der hysterischen Nicht-Vorständin folgt auf dem Fuße – und die stinklangweilige Geschichte, wie es zu diesem überschaubar spannenden Big Finish kam.
Wir lernen Gellhaus als gutmütigen Typen kennen, der zwar seine Frau mit der Projektleiterin betrügt, aber als oller Bedenkenträger doch ein ganz netter Kerl ist. Jedenfalls sympathischer als die karrieregeile Other Woman, die ätzend floskelnde PR-Tante (immerhin auf den Punkt gespielt: Luise Wolfram) und der beleibte Opa der Runde (Oliver Fleischer), der sich gigabyteweise Hardcore-Pornos auf dem Firmenrechner reinzieht, wenn gerade niemand hinsieht.
Im Rahmen der Entwicklung von Bellacara stellt das Team schnell fest, dass bei Markteinführung deutlich mehr Thrombosefälle unter den Anwenderinnen seines Präparats zu erwarten sind als beim Vorgängerprodukt. Der dufte Gellhaus macht nun, was Bedenkenträger in deutschen Problemfilmen immer machen: Er hadert mit sich, in langen einsamen Nächten in seiner unfertig eingerichteten Stadtwohnung, beim Biertrinken mit dem Kumpel, beim Shakern mit der Projektleiterin bei der (dramaturgisch sinnlosen) gemeinsamen Arbeitsreise zur Nebenwirkungskonferenz in Kopenhagen. Das Spielchen ist immer dasselbe: Er trägt seine Sorgen vor, die Projektleiterin und der Geschäftsführer lassen ihn, mal freundlich, mal ermutigend, mal barsch, mal ausfallend abblitzen, und dann macht Gellhaus weiter seinen Job, bis wieder die Bedenken hochkommen, weil seine eigene Tochter die Dinger frisst, weil er noch einmal die Statistiken durchrechnet, weil er von der neuen ekelhaften Marketing-Kampagne erfährt. Und der Bedenkenzyklus beginnt von von, stets mit demselben Ende: Nichts passiert.
- © NDR/Wolfgang Ennenbach
Carsten (Stephan Kampwirth) gibt sich alle Mühe mit seiner lebensmüden Mutter (Ilse Strambowski).
Im journalistischen Begleitmaterial zu diesem Film erläutert das Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn, es habe mit «Was wir wussten» von den Sachzwängen erzählen wollen, in denen sich die Personen bewegen, die für derartig unethische und unseriöse Entscheidungen in der Realität verantwortlich seien: „Das sind ja keine Unmenschen oder eiskalten Bösewichte, die ihren Kunden bewusst Leid zufügen wollen. Das sind Arbeitnehmer, die ihren Job möglichst gut erledigen wollen.“ Diese Beobachtung mag korrekt sein, und das Ziel dieser Erzählung integer. Doch dieser Film belässt es beim bloßen Zeigen und kommt nicht zum Hinterfragen – und damit exkulpiert er unbotmäßig diejenigen, die doch (ethische) Schuld auf sich geladen haben. Die Figur Gellhaus ist immerhin Arzt. Damit stünde ihr selbst in der letzten Feld-Wald-und-Wiesen-Klinik des Landes ein angenehmes Auskommen offen. Seine Sachzwänge sind Luxusprobleme, für die er trotz allen Haderns und Bedenkenvortragens wissentlich (!) Tausende Frauen ins offene Messer rennen lässt. Dieser Dualismus aus liebendem Familienvater und (schließlich) nichtstundem Schreibtischtäter kann ohne entsprechend explizite Problematisierung aber nicht sauber erzählt werden – ein Aspekt, dem sich dieser Film von der ersten bis zur letzten Minute verweigert.
Denn selbst für eine Dekonstruktion der Pharmabranche oder eine eingehende dramatisierte Betrachtung des tatsächlichen Falles, auf dem das Thema dieses Films basiert, ist «Was wir wussten» zu zahnlos. Im erzählerischen Zentrum des Handlungskonstrukts stehen bisweilen nicht einmal die ethischen Gewissensbisse des unwilligen Helden Gellhaus, sondern sein elendes Techtelmechtel mit der ruchlosen Teamleiterin, offensichtlich, weil man das Gewissensdrama nicht für zugkräftig genug hielt und sich gleichsam nicht zu schade dafür war, es mit einer beliebig abgenudelten Dreiecksklitsche anheizen zu wollen.
Diese völlig kontraproduktive Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts auf Office-Romanzen, Trennungsschmerz und Vater-Tochter-Probleme führt schließlich zum völligen Scheitern dieses Films. Obwohl die Geschichte auf „wahren Ereignissen“ beruhen soll und so wohl auch einen Teil zur Aufarbeitung beitragen will, ist sie so um Ehebruchs- und Tochterentfremdungsgeschichten herumerzählt, dass sie auch jeden beliebigen anderen Skandal zum Thema haben könnte: Man tausche das Wort „Pille“ durch „Glyphosat“, „Thalidomid“ oder „hexavalentes Chrom“ aus, und am Schluss könnte derselbe Film stehen. Hier wird die Phrasenhaftigkeit zur dramaturgischen Bankrotterklärung.
Dass sich «Was wir wussten» am Schluss bedeutungsschwanger „den Betroffenen“ widmet, wirkt da fast schon zynisch. Die hätten nämlich im Mindesten einen Film verdient, der sich ehrlich für das Unrecht interessiert, das ihnen angetan wurde, anstatt es als Vehikel für eine Mann-geht-mit-Kollegin-fremd-Geschichte zu benutzen.
Das Erste zeigt «Was wir wussten – Risiko Pille» am Mittwoch, den 23. Oktober um 20.15 Uhr.
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