Filmfacts «Bernadette»
- Regie: Richard Linklater
- Produktion: Nina Jacobson, Brad Simpson, Ginger Sledge
- Drehbuch: Richard Linklater, Holly Gent, Vincent Palmo Jr., basierend auf dem Roman von Maria Semple
- Cast: Cate Blanchett, Billy Crudup, Kristen Wiig, Emma Nelson, James Urbaniak, Judy Greer, Troian Bellisario, Zoë Chao, Laurence Fishburne
- Musik: Graham Reynolds, Sam Lipman
- Kamera: Shane F. Kelly
- Schnitt: Sandra Adair
- Laufzeit: 111 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Denn die Romanadaption «Bernadette» ist ein sehr spaßiges, stark gespieltes Filmvergnügen, das obendrein hinter all den wortgewandten Schrulligkeiten ein paar einfühlsame Takte über Künstlerexzentrik und Familienwirrungen zu sagen hat. Im Mittelpunkt steht Bernadette Fox (Cate Blanchett), ehemalige Stararchitektin aus Los Angeles, die nun in Seattle als schräge Nachbarin und eigenbrötlerische Mutter verschrien ist. Sie ist chaotisch, exzentrisch, tritt schrill auf, ist aber sensibel und sie leidet unter massivem Schlafmangel. Während die anderen Eltern in der Nachbarschaft sie verachten, ist sie das große Vorbild ihrer 15-jährigen, naturbegeisterten Tochter Bee (Emma Nelson). Bernadettes Mann Elgie (Billy Crudup) macht sich dagegen Sorgen um seine Gattin: Denn er findet berufliche Erfüllung als IT-Managert, sie hingegen wird zum Shopaholic und ist bei der Grundstückspflege fahrlässig. Trubel steht vor der Tür …
Was an «Bernadette» auffällt, ist, dass sich die Dialoge (immerhin das tragende Element des Films) nicht wie typische Linklater-Dialoge anhören. Diese dialoglastige Komödie über eine eigenwillige Frau, die ihren Schöpfungsdrang seit Jahren nicht mehr zufriedenstellend auslebt, erinnert mit ihren beiläufig-gepfefferten Redeschwallen stellenweise wesentlich mehr an Woody Allen: Wie es bei Allen typisch ist, dreht sich das Geschehen in «Bernadette» vor allem um eine neurotische, intellektuelle Person, die eine Leere in ihrem Leben verspürt und daher ihr Umfeld mit schnippischen Kommentaren, raffiniert ausgedrücktem Selbstmitleid und schrägen Gedanken über Gott und die Welt zutextet.
Und wie so manche Woody-Allen-Komödie hangelt sich auch Richard Linklaters «Bernadette» zwischendurch wie eine wortbasierte Sketchparade von einem ulkigem Gespräch oder Monolog zum nächsten. Linklater lässt dieser unkonzentrierten, der Exzentrik seiner Hauptfigur gerecht werdenden Erzählweise zum Trotz (einmal unterbricht er sogar die Handlung, um eine fiktive Doku über seine Titelheldin zu zeigen) den roten Faden nicht aus dem Blick:
Sukzessive wird Bernadettes eh schon fahriger Geduldsfaden überstrapaziert, während ihr sehr geduldiger, aber auch sehr uneinsichtiger Mann und seine Vertrauten sich immer mehr in ihre Vorurteile über Bernadettes emotionale Lage hineinsteigern. Und so kommt es letztlich zu einer Kurzschlussreaktion Bernadettes, in deren Folge aus der Dialogkomödie eine Art Kinobudget-Sitcomspecial wird, in dem die Figuren mal ihre Heimat verlassen und sich in Trubel und Verwechslungen verstricken.
Diese inhaltlich überzogene, von Linklater trotzdem mit einer inszenatorischen Zurückhaltung eingefangene Eskapade unterstreicht so, wie es der Titelheldin wohl gefallen würde, welche zwei Herzen in der Brust dieses schrullig-eloquenten Komödie steckt: Dass man sich als Familie vertrauen sollte, egal wie kurios manche Entschlüsse oberflächlich erscheinen mögen, und dass auch hinter den exzentrischsten Macken oft immer noch ein schlichter Mensch steckt, der sich doch einfach nur verwirklichen will. Eben diesen Menschen verkörpert Cate Blanchett auf eine Art, wie fast nur sie es im Hollywood-Kino beherrscht: Bernadette Fox' Gesten sind theatralisch, wann immer sie aus ihrem steinern-entgeisterten "Wo bin ich nur hineingeraten?"-Gesichtsausdruck ausbricht, bewegt sich quasi jeder Muskel in ihrem Gesicht mit massivem Geltungsbewusstsein und in ihrer Stimme liegt ein Nachhall, als wolle Bernadette auch die hinterste Reihe in einem Theater erreichen. Und doch ist sie keine Knallcharge.
Blanchett erfüllt ihre Figur mit einer Melancholie, einem schwer zu greifendem Gefühl des Verlorenseins. Mal ist es ein langer, nachdenklicher Atemzug, den sie nimmt, andere Male versteinert sie als Reaktion auf eine unvorhergesehne Sache, bevor sie sich in einen Schutzkokon quirliger Ausflüchte plappert: Das Lustige an Bernadette Fox (und somit an «Bernadette») ist, dass eigentlich nichts an ihr lustig ist, sondern sie öfter goldrichtig liegt als dass sie daneben liegt – und sie sich das auf schräge, aber nur in äußersten Ausnahmefällen abfällig gegenüber ihrem Umfeld gehaltene, Art auch immer wieder selber klar macht.
- © Universum Film
Eine quengelige Mutter (Kristen Wiig) wirft Bernadette vor, sie absichtlich angefahren zu haben – dabei ist sie nur in einer Null-Bock-auf-Smalltalk-Laune heraus abrupt weggefahren, während die Schnattertante auf ihren Wagen zu rannte und dann über ihre eigenen Füße stolperte. Bernadette gilt als weltfremd, weil sie sich auf ein sprachgesteuertes Computersystem verlässt – also auf ein Produkt, wie ihr Mann es entwickelt. Und so weiter: Bernadette mag schräger auftreten als Andere, doch dahinter stecken nachvollziehbare, alltägliche Gedanken, Sehnsüchte und, ja, manchmal auch Trotzigkeiten, die ihr alle bis auf Bee doppelt und dreifach vorwerfen als üblich.
Linklater schafft aus dieser Dynamik eine lockere, quirlige Redeschwall-Komödie mit einer starken Cate Blanchett, die dem Stoff Gefühl einhaucht. Keine Ahnung, wieso «Bernadette» untergeht. Offenbar liegen genauso wenige auf der Wellenlänge des Films wie Seattle-Bewohner auf der Wellenlänge der Ex-Stararchitektin Bernadette Fox liegen … Ein Jammer.
«Bernadette» ist ab sofort in ausgewählten Kinos zu sehen.
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