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Wobei: Ohne Zweifel dürften Kinder allein aufgrund der Thematik sowie der imposanten Bilder schnell Feuer und Flamme für den (zumindest in Deutschland) „Noch-Streaming-Geheimtipp“ sein – mutmaßlich schon nach der Begutachtung der ersten Minuten. Und sie spüren mit Sicherheit auch, dass diese Serie keine gewöhnliche ist, wissen allerdings höchstwahrscheinlich selbst nicht so recht, woran das liegt. Wobei an dieser Stelle direkt darauf hingewiesen werden muss, dass die fesselnden Abenteuer selbst mit fünf zugedrückten Augen eigentlich niemals durch die Bank ein „FSK 6“ hätten bekommen dürfen: Allein in der Auftaktfolge treten Attentäter auf, die planen, in das Schloss einzudringen, um sich auf blutige und unumkehrbare Weise zu rächen, der Einsatz von Dunkler Magie hat aus Sicht eines Erwachsenen eindrucksvolle, aus der eines Kindes extrem gruselige Bilder zur Folge und nicht wenige Kreaturen, die zum Teil bei Nacht ihren ersten Auftritt haben, sind personifizierte „Alptraumgaranten" – von der Tatsache, dass Erstklässler etwa die politische Dimension des Ganzen überhaupt noch nicht begreifen können, ganz zu schweigen. Somit ist das Netflix Original ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, dass uns eigentlich noch ein „FSK 10“ fehlt.
Schließlich steht die jüngste Hauptfigur selbst vor dem Sprung zur 11: Prinz Ezran. Dieser ist der Sohn von König Harrow und Königin Sarai, die wiederum einen Sohn mit in die Ehe gebracht hat: Callum, der 5 Jahre älter als sein Halbbruder ist. Die Dritte im Bunde ist die Mondschatten-Elfe Rayla, die zu dem Assassinentrupp gehört, der besagtes Attentat auf den Herrscher von Katolis verübt (und damit – so sieht es für den Großteil des Volkes jedenfalls aus – Erfolg hat), weil dieser einst den König der Drachen, Donner, wie die Menschen ihn nennen oder Avizandum, wie er eigentlich heißt, getötet hat. Und all das erfährt man (wenigstens ansatzweise) tatsächlich in dem Piloten, dessen Laufzeit – wie die der allermeisten Episoden – circa 25 Minuten beträgt. Diese ersten Eindrücke und vermittelten Inhalte genügen zudem bereits, um älteren Zuschauerinnen und Zuschauern von Beginn an zu verdeutlichen, dass dieses fiktionale Universum ihnen noch eine Menge zu bieten hat, sofern sie sich auf es einlassen. In der Retrospektive erkennt man darüber hinaus, dass in dieser Ausgangssituation im Prinzip schon alles enthalten ist, was «The Dragon Prince» nicht nur drei, sondern ohne Probleme auch sieben Staffeln bestimmen kann – ohne Gefahr zu laufen, sich zu wiederholen. Der erste, 3 x 9, also insgesamt 27 Folgen umfassende Arc zeichnet – von der handwerklichen Seite aus betrachtet – insbesondere das herausragende „Balancing“ aus, und zwar in mehrerlei Hinsicht: Zum einen sind die einzelnen Episoden nie mit zu vielen Handlungssträngen überfrachtet (auch die vielen Rückblenden fügen sich ungemein organisch in das Gesamtgeschehen ein), sodass stets der Fokus klar ist und es den Streamenden trotz der Fülle an neuen Informationen über Land und Leute möglich ist, diese direkt aufnehmen und verarbeiten zu können – in diesem Zusammenhang auch wichtig: Das Erzähltempo ist gleichmäßig. Zum anderen sorgt die richtige Mischung aus ernsten, emotionalen, spannenden, epischen und lustigen Momenten dafür, dass man recht schnell erkennt, wie stark die Produktion in Sachen Storytelling ist.
Und das wiederum hat selbstverständlich ebenfalls zu einem großen Teil mit den Charakteren zu tun: Bereits der Fakt, dass es sich bei der königlichen um eine Patchworkfamilie handelt, ist ungemein interessant und gewissermaßen exemplarisch für eine Welt, die von Vielfalt geprägt ist, eine, in der Menschen und auch Elfen, die an unterschiedlichen Orten leben, auch verschiedenen Ethnien angehören und in der gleichzeitig die Individualität und die Besonderheit eines jeden Einzelnen betont wird. Deswegen ist es nur logisch, dass die Serie über sehr viele Figuren mit einem hohen Identifikationspotenzial verfügt, wodurch das Dargebotene für die Zuschauenden natürlich noch unmittelbarer und die Akteurinnen und Akteure noch nahbarer werden. Besonders, da sich diese außerdem von ihrem Wesen und ihren Fähigkeiten sehr unterscheiden. Auffallend ist dabei zudem, dass hier ausnahmslos fehlbare Personen im Mittelpunkt der Ereignisse stehen: solche, die unsicher sind, sich fragen, was richtig und was falsch ist, deren Weltbild mehr als einmal förmlich auf den Kopf gestellt wird und die voller Zweifel sind. Da wird es auch plötzlich vollkommen egal, ob jemand übernatürliche Kräfte besitzt oder nicht. Und hierzu passt wiederum ein Motiv, das wohl von der ersten bis zur letzten Folge erhalten bleiben wird: Kinder sind nicht ihre Eltern.
Selbstredend ist damit nicht nur die wörtlichen Ebene gemeint, sondern ebenfalls die bildliche: Der Status quo, zwei verfeindete Lager und ein Teufelskreis der Gewalt, ist das Ergebnis einer Politik, die sich immer an dem orientiert, was die Vorgängergeneration getan hat. Die Generation der Protagonisten sieht sich jedoch nun in der Pflicht, diesem „Weiter so!“ ein Ende zu setzen, weil sie verstanden hat, dass der allseits gewünschte Frieden so nicht zu erreichen ist, dass ein ewiges „Wir gegen die“ nicht die Antwort sein kann. Und wenn das, was alle wissen, keiner so recht wahrhaben will, hat das selbstverständlich auch immer etwas von „Kindermund tut Wahrheit kund“. Die Autoren machen es sich aber erfreulicherweise nicht zu leicht, sondern konfrontieren diejenigen, die Gutes im Sinne haben und im Sinne aller agieren wollen, ohne dass irgendwer dabei zu Schaden kommt, mit der harten Realität: Überzeugungen, die sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte verfestigt haben, werden nicht von jetzt auf gleich aufgegeben, Vorurteile lassen sich nicht in Windeseile abbauen und Frieden ist mehr Prozess, den Zustand. Kurz: Es werden uns keine einfachen Lösungen präsentiert und der Blick durch eine rosarote Brille umgehend als ebensolcher entlarvt. Gleichsam wird dem Publikum vor Augen geführt, dass es genau aus diesem Grund so wichtig ist, nicht aufzugeben oder zu resignieren, sondern unermüdlich weiterzumachen. Und die Heldenreise – nebenbei bemerkt eines der ältesten Grundmuster der Literaturgeschichte – des besonderen Trios steht dafür, dass all diese Mühen und Anstrengungen nicht nur Bestandteile theoretischer Ausführungen oder wohlklingender Reden bleiben.
Die personifizierte Hoffnung ist Azymondias respektive „Zym“, der Prinz der Drachen. Sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner des magisch-mystischen Xadia lebten seit einer Ewigkeit im Glauben, er wäre am selben Tag wie sein Vater ermordet worden. In Wahrheit befand sich das Ei, denn geschlüpft war die Feuer (oder eher Blitze) speiende „Junior-Majestät" noch nicht, in einer Geheimkammer innerhalb des Schlosses, in welcher Ezrans, Callums und Raylas Mission quasi ihren Anfang nahm. Kurz zuvor hatte Letztere die beiden anderen noch angegriffen, mit dem Ziel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Doch die Existenz dieses besonderen Fundstücks änderte schlagartig alles, und die drei erkannten ihre einmalige Chance. Doch alle zahlten (vermeintlich) auch einen hohen Preis: Die jüngste Mondschatten-Elfe war zwar nicht alleine gekommen, allerdings die Einzige, die das Schloss lebend wieder verlassen konnte, und der (Stief-)Vater der Jungen überlebte diese Nacht ebenfalls nicht – vermeintlich. Und damit wäre der nächste zentrale Gedanke endgültig im Spiel: Alles (auch Zauberei) hat seinen Preis!
Erfahren Sie auf der nächsten Seite alles über die Hauptfiguren, die Welt und die kreativ Verantwortlichen von «Der Prinz der Drachen».
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