Die Kino-Kritiker

«The Peanut Butter Falcon»: Ein moderner Huckleberry Finn

von

Ein junger Mann will unbedingt Wrestler werden, während ihn Andere in ein Altersheim stecken möchten. Doch er bricht aus …

Filmfacts «The Peanut Butter Falcon»

  • Regie und Drehbuch: Tyler Nilson, Michael Schwartz
  • Produktion: Albert Berger, Christopher Lemole, Lije Sarki, David Thies, Ron Yerxa, Tim Zajaros
  • Cast: Shia LaBeouf, Dakota Johnson, John Hawkes, Bruce Dern, Zack Gottsagen, Jon Bernthal, Thomas Haden Church
  • Musik: Zachary Dawes, Noam Pikelny, Jonathan Sadoff, Gabe Witcher
  • Kamera: Nigel Bluck
  • Schnitt: Kevin Tent, Nathaniel Fuller
  • Laufzeit: 98 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Shia LaBeouf ist ein fähiger Schauspieler: In «Disturbia» schultert er einen Stoff, der zwischen gewitzter Teenie-Romanze und 2000er-Slasher-Variante von «Das Fenster zum Hof» hin und her hüpft, und all das erdet er mit der glaubwürdigen Darstellung eines aufmüpfigen Teenagers, der sich die Schuld am Tod seines Vaters gibt. In «Herz aus Stahl» verquickt LaBeouf als erschöpfter US-Soldat im Zweiten Weltkrieg Elend mit Härte, Leid mit Leidhaftigkeit. In «American Honey] überzeugt er als verlorene Seele auf der Suche nach Halt und in [[Borg/McEnroe» gibt er eine packende Performance als zorniger Tennisstar. Es ist ein Jammer, dass ihn noch immer nicht wenige Menschen auf sein Gebrüll in den «Transformers»-Filmen reduzieren.

Dakota Johnson ergeht es nicht unähnlich: So manche tun sie als "Die aus «Fifty Shades of Grey» ab". Doch davon abgesehen, dass Johnson nun wahrlich nicht die Schwachstelle der Erotik-Trilogie ist, hat die gebürtige Texanerin schon mehrmals bewiesen, was sie schauspielerisch alles auf dem Kasten hat: Egal, ob süß-witzig in «How to Be Single», ebenso verletzlich wie unerwartet taff in «Suspiria» oder saucool, beiläufig humorvoll und clever in «Bad Times at the El Royale» - Dakota Johnson gehört zur Speerspitze ihrer Altersklasse. Wie passend also, dass sie und LaBeouf zusammengefunden haben und gemeinsam zwei tragende Rollen in der bezaubernden Tragikomödie «The Peanut Butter Falcon» spielen, die auch noch, ganz nebenher, unter anderem davon handelt, welch großes Können in Leuten schlummern kann, denen engstirnige Personen so etwas nicht zutrauen.

Nach dieser zugegebenermaßen womöglich irreführenden Einleitung sollte man aber keinesfalls ein "Ich zeig es meinen Kritikern!"-Metaprojekt erwarten, denn Johnson und LaBeouf nehmen in «The Peanut Butter Falcon» unterstützende Parts in einer herzzerreißenden Geschichte an, die US-Südstaaten-Romantik sowie Mark-Twain-Abenteuergefühl nimmt und diese Zutaten behutsam unter eine Außenseitergeschichte rührt, die ihr Herz stets am rechten Fleck hat:

Der 22-Jährige Zak (Zack Gottsagen) ist glühender Wrestling-Anhänger und träumt davon, einmal die Wrestling-Schule seines großen Idols zu besuchen, dessen Videokassetten er nahezu auswendig kennt. Das Problem: Zak hängt in einem Pflegeheim fest, da er das Down Syndrom hat und es in seinem winzigem Heimatort keine geeignete Unterstützung für ihn gibt – und sein Umfeld traut ihm nicht zu, dass er allein für sich sorgen könnte. Eines Nachts gelingt es Zak aber, aus dem Pflegeheim auszubrechen. Auf seiner Reise in Richtung Florida trifft er zufällig den Kleinkriminellen Tyler (Shia LaBeouf), der gerade vor Fischern flieht, die es auf ihn abgesehen haben. Daher hat er eigentlich ganz andere Dinge im Sinn, als einem dahergelaufenen Mann bei seiner Odyssee zu helfen.

Doch aus irgendeinem Grund sind sich Zak und Tyler auf Anhieb sympathisch und bestreiten den Weg gemeinsam. Auf ihren Fersen befindet sich derweil Zaks Pflegerin Eleanor (Dakota Johnson), die Zak zurück ins Heim holen will, da ihre Vorgesetzten ansonsten unbequeme Entscheidungen treffen werden …

Zack Gottsagen hat, genau wie seine Figur, das Down Syndrom – und so toll Johnson und LaBeouf in «The Peanut Butter Falcon» auch wieder einmal sind, er ist eine echte Entdeckung und der wahre Star des Films. Gottsagen konnte viele eigene Erfahrungen in seine Performance stecken, und das spürt man dieser rührenden, trotzdem stets aufrichtigen, nie verhohlen kitschigen, Erzählung auch an.

Der 1985 geborene Newcomer und seine Mutter mussten etwa gegen sture Bürohengste ankämpfen, die ihm einen Platz an einer allgemeinen, öffentlichen Schule verweigern wollten. Und ebenso musste sich Gottsagen, der unter anderem Fan von «Grease» und Shia LaBeoufs Disney-Channel-Serie ist, immer wieder anhören, er hätte nicht die geringste Chance, Schauspieler zu werden – so, wie seine Filmrolle angeblich null Aussicht hätte, sich als Wrestler zu behaupten.

Gottsagen gelingt es durch kleine Gesten und dezente Abwandlungen in seiner Stimmfarbe, hervorragend auszudrücken, wie Filmfigur Zak zwar einerseits auf optimistische Weise stur ist und sich nicht von seinem Traum abbringen lässt, und wie sich andererseits herausstellt, dass das ständige Herabblicken auf ihn an seiner Selbstwahrnehmung sägt: Zak ist nach außen hin eine verspielte Frohnatur, doch er nimmt Wrestling ungeheuerlich ernst und steigert sich im Wrestlinthema in eine Schurkenrolle hinein, was seine Reflexion dessen ist, wie mit ihm umgesprungen wird.



Diese nuancierte Skizzierung Zaks ist nicht nur Gottsagens Verdienst – das Autoren-und-Regie-Duo Tyler Nilson & Michael Schwartz behandelt die Figur mit großem Respekt und bringt spürbare Bewunderung für sie auf. Zak ist keine Lachnummer, keine Zielscheibe, sondern ein unterschätzter, junger Mann mit einem Traum, der sich kleiner macht als er ist, weil er teilweise anfängt, die Vorurteile zu glauben, die die Gesellschaft über ihn hat. Nilson und Schwartz behandeln Zak gleichberechtigt mit den anderen zentralen Figuren – und das bedeutet auch, dass er menschlich gezeichnet wird, statt wie eine Porzellanfigur in Watte gepackt zu werden.

Das heißt: Es gibt nicht eine einzige Szene, in der das Publikum von oben herab über ihn lachen soll. Jedoch gibt es sehr wohl empathische Lacher rund um Zak. Damit geht auch einher, dass er gelegentlich zum Mittelpunkt von Slapstick-Momenten wird, doch deren Haltung ist nie "Haha, guck mal, der da!", stattdessen handelt es sich um unschuldig-überraschende, körperbetonte Situationskomik, die (je nach Szene) auch Eleanor oder Tyler widerfahren könnte.

Eingefangen in wunderschönen, verträumten Aufnahmen des wild bewucherten Südens der USA und untermalt von bittersüßer, verletzt-hoffnungsvoller Bluegrass-Musik wird «The Peanut Butter Falcon» so zu einer sehr kurzweiligen, aber auch sehr herzlichen Erzählung dreier Leute, die in ein kleines, für sie aber bedeutendes Abenteuer stürzen. Johnson entzückt als regelkonforme, aber wohlmeinende Pflegerin, LaBeouf begeistert als schroff wirkender, aber überaus zuvorkommender Einzelgänger, der sein eigenes emotionales Päckchen zu tragen hat. Die Persönlichkeiten dieser Drei beeinflussen sich gegenseitig durch filigrane Interaktionen, während Nilson und Schwartz den behutsam fließenden Plot zu einem emotional wuchtigen Ende steuern, in dem alles zusammenfindet.

«The Peanut Butter Falcon» ist ab dem 19. Dezember 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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