Filmfacts: «Beautiful Boy»
- Kamera: Ruben Impens
- Buch: Luke Davies, Felix van Groeningen
- Regie: Felix van Groeningen
- Darsteller: Steve Carell, Timothée Chalamet, Maura Tierne, Christian Convery, Oakley Bull, Amy Ryan, Kaitlyn Dever
- OT: Beautiful Boy (USA 2018)
Egal ob «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», «Trainspotting» oder «Requiem for a Dream» – in den meisten Filmen, die das Thema Sucht thematisieren, stehen die Süchtigen selbst im Mittelpunkt. Dieser Fokus ist erst einmal nachvollziehbar. Schließlich lassen sich die Folgen einer Abhängigkeit am besten veranschaulichen, wenn man aufzeigt, was die Konsumenten für körperliche und psychische Schäden davontragen. Was das für das Umfeld bedeutet, wird dagegen oft nur am Rande beleuchtet. Doch nach dem zeitnah zu «Beautiful Boy» erschienenen «Ben is Back» ist «Beautiful Boy» nun schon der zweite Film binnen kürzester Zeit, der diesen Fokus verschiebt. Schon der Titel deutet darauf hin: «Beautiful Boy» heißt ja nicht nur deshalb so, weil David seinem Sohn als Kind John Lennons gleichnamiges Schlaflied vorgesungen hat, sondern auch, weil der Vater in seinem Jungen immer noch diesen wunderschönen Jungen wiedererkennt, oder es zumindest versucht – es ist die durch und durch subjektive Sichtweise eines verzweifelten Elternteils. Dazu passt auch, dass es im Laufe der 121 Minuten in erster Linie der von Steve Carell («Foxcatcher») überragend authentisch verkörperte David ist, der eine charakterliche Entwicklung durchmacht.
Während Nic von Anfang bis Ende ein Süchtiger bleibt, dessen Phasen des clean seins immer nur von kurzer Dauer sind, durchläuft sein Vater einmal das gesamte Spektrum des von der Situation zum Stillhalten und Schweigen verdammten Außenseiters, der sich zunächst noch an jeden Strohhalm der Hoffnung klammert, eh er schließlich resigniert und dann endgültig einsieht, dass er seinem Sohn einfach nicht helfen kann und sich sogar eher selbst helfen muss.
Durch den Fokus auf die Perspektive des Vaters bekommt man von solchen Szenen, die in anderen Drogendramen normalerweise Standard sind, nicht viel mit. Nur selten erlebt der Zuschauer Nic, dessen innere Zerrissenheit Timothée Chalamet («Call Me By Your Name») leidenschaftlich zum Ausruck bringt, tatsächlich beim aktiven Konsum. Auch die Folgen dessen treten oft erst dann hervor, wenn er den Kontakt mit seinem Vater sucht. Dadurch geht «Beautiful Boy» eine im Genre durchaus erwartbare Härte ab. Emotional packend gerät der Film trotzdem; erst recht je weiter sich die Ereignisse zuspitzen. Wie schon in «A Broken Circle» forciert Felix Van Groeningen, der gemeinsam mit Luke Davies («Lion – Der lange Weg nach Hause») auch das auf einer Doppelbiographie von David und Nick Sheff basierende Drehbuch verfasste, auch diesmal kein eindeutiges Happy End. Selbst vor der Beantwortung sämtlicher Fragen scheut sich der Auteur – und trifft dabei letztlich den Nagel auf den Kopf. Lediglich eine abschließende Texttafel darüber, wie schlecht es in den Vereinigten Staaten um Therapieplätze für Drogenabhängige bestellt ist, ordnet Teile der Ereignisse in eine anklagende Richtung ein.
Ansonsten bleiben die Gründe für Nics Drogensucht ebenso offen wie personelle Hintergründe aus dem Privatleben der Sheff-Familie (warum haben sich Nics Eltern eigentlich getrennt und war das vielleicht der Auslöser für seine Abhängigkeit?) oder die Schicksale einiger im Film auftauchender Nebenfiguren. Damit macht es sich Van Groeningen aber nicht etwa leicht; im Gegenteil. Es ist für den Status Quo schlicht und ergreifend nicht entscheidend, was aus der Hauptfigur einst einen Süchtigen gemacht hat – und letztlich ist es im echten Leben nun mal auch nicht so, dass ein Erkenntnisgewinn in dieser Hinsicht automatisch zu einer Lösung führen würde, was die Hilflosigkeit der Eltern noch einmal unterstreicht.
Erzählerisch ist «Beautiful Boy» über jeden Zweifel erhaben. Wer einen authentischen und auf emotionaler Ebene harten Blick auf die Welt der Drogenabhängigkeit erleben will, der einmal nicht den Süchtigen selbst, sondern die verzweifelten Außenstehenden widerspiegelt, findet in Felix Van Groeningens Film sogar noch einen besseren Kandidaten als den in der zweiten Hälfte deutlich reißerischer ausfallenden «Ben is Back» von Peter Hedges. Lediglich inszenatorisch gefällt «Beautiful Boy» in Details nicht immer. Gerade in der ersten Dreiviertelstunde springt der Film zeitlich unkoordiniert hin und her, was die strukturell eigentlich in eine eindeutige Richtung verlaufenden Handlung unnötig verkompliziert. Hin und wieder verliert man gar den Überblick, in was für einem Zeitraum sich die Leinwandereignisse gerade abspielen; ein klassischer Fall von Überambition. Ein weiterer (und auch der größte) Kritikpunkt ist der Einsatz von Musik. Ob theatralische Choräle, das Geschehen textlich sehr plump untermalende Balladen oder bedrohlich dröhnende Tonabfolgen – in «The Broken Circle» spielte Musik auch erzählerische eine entscheidende Rolle, sodass ihr intensiver Einsatz die Inszenierung abrundete. In «Beautiful Boy» dagegen gibt sie viel zu oft einfach nur vor, was der Zuschauer gerade zu fühlen hat und nimmt ihm somit die Möglichkeit, all das selbst zu entdecken. Immerhin: Allein von der Auswahl der Songs greift Felix Van Groeningen ins Schwarze – einen guten Musikgeschmack hat er also.
«Beautiful Boy» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie via Amazon Prime abrufbar.
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