
Meistens ist Forty (James Scully), der Zwillingsbruder seiner Angebeteten – die Vornamen der beiden dürften Tennis-Liebhaber schmunzeln lassen –, in irgendeiner Form involviert, da der exzentrische, ichbezogene verhinderte Star-Regisseur aus gutem Hause, das Chaos magisch anzuziehen scheint. An ihm lässt sich auch wunderbar veranschaulichen, dass für seinen „Traum-Schwager" wenig so herausfordernd ist wie unberechenbare Menschen, solche, bei denen es schwierig bis unmöglich ist, ihren nächsten Zug vorauszusehen, da sie ihn selbst nicht kennen oder aufgrund übermäßigen Rauschmittelgenusses gar nicht kennen können. Und dass dies Joe dennoch nicht davon abhält, diesen „Risikofaktor“ zu akzeptieren, sich mit ihm zu arrangieren und irgendwann – auf seine Weise – gar einen Hauch Sympathie in Bezug auf ihn durchblicken zu lassen, ist ein Beleg dafür, wie ernst es ihm mit Love ist. Schließlich ist ihm – ob er es artikuliert oder nicht – absolut bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sein „spezieller Freund“ ihm Probleme bereiten wird, sehr hoch. Aber auch ganz allgemein wird von Episode zu Episode offensichtlicher, dass mit jedem Freund, Bekannten oder Familiengehörigen der „Twins“, den der „Neuankömmling“ kennenlernt, die Gefahr, dass er auffliegt, größer wird. Da ein Kennenlernprozess selbstredend nie ohne ein „Fragenbombardement“ auskommt, und es daher nicht nur eine in sich stimmige Geschichte braucht, die wieder und wieder um (sich unmittelbar einzuprägende) Details ergänzt werden kann, sondern ebenfalls jemanden, der sie glaubhaft mit Leben zu füllen weiß.

Außerdem gefällt sich der zugezogene Ostküstler sichtlich in der Rolle des großen Bruders mit „Ersatz-Vater-Tendenzen“. Überraschen dürfte das eigentlich niemanden; immerhin war und ist Joe – in seiner Version der Realität – zuallererst ein „Kümmerer“, ein „Beschützer“. Und das will er ebenfalls für seine „Tochter-Schwester“ sein. Die gemeinsamen Szenen von Penn Badgley und Jenna Ortega gehören überdies eindeutig zu den sehenswertesten der Serie, da die beiden eine fantastische Chemie haben – wobei an dieser Stelle definitiv ebenso zur Sprache kommen muss, dass ihre deutschen Stimmen Robin Kahnmeyer und Lea Kalbhenn ebenfalls einen herausragenden Job gemacht haben. Ortega, die auch in Disneys «Mittendrin und kein Entkommen» sowie der Neuauflage von «Richie Rich» mitgewirkt hat, versteht es zudem ausgesprochen gut, Ellies Vielschichtigkeit darzustellen. Sie ist nämlich einerseits wahnsinnig klug, auf der Höhe der Zeit, begeisterte Filmliebhaberin, ziemlich tough und macht einen reifen Eindruck, andererseits jedoch eben auch der Teenager, der sich nach Geborgenheit, Konstanz und einem echten Zuhause und damit letztendlich nach Zuwendung und Liebe sehnt. Die innere Zerrissenheit, die die Hauptfigur von «You – Du wirst mich lieben» auszeichnet, ist zwar eine vollkommen andere, aber ebendies macht den Reiz ihrer gemeinsamen Dialoge aus. Beide machen sich selbst und anderen mehrheitlich etwas vor und dennoch kommt es zwischen dem falschen Will und dem jungen Mädchen zu einigen „echten“ Momenten – und genau nach denen suchen im Grunde beide. Dass sie ihn darüber hinaus dazu bringt, Teil dieser künstlichen digitalen Welt zu werden, der er – so er nicht gerade ihre Schwachstellen ausnutzt – ähnlich viel abgewinnen kann wie Los Angeles, dessen Bewohnerinnen und Bewohner seiner Meinung nach Oberflächlichkeit in Reinform verkörpern, verleiht dieser Beziehung noch eine Metaebene. Dass er sich von ihr überzeugen lässt, liegt primär an ihr als Person, einem 15-jährigen Teenie, der ihn mehr beeindruckt hat als jeder andere bisher eingeführte Charakter und den er – auf seine Weise – mag.
- © Beth Dubber/Netflix
Michael Reilly Burke, Victoria Pedretti, Saffron Burrows, Penn Badgley
Somit steckt in dem Betätigen des „Erstellen“-Buttons der Grundkonflikt dieser Staffel, der das klassische „Ein-Mann-zwischen-zwei-Frauen-Motiv“ zum Thema hat, das allerdings selten so innovativ verarbeitet worden ist. Außerdem steht dieser Akt sinnbildlich für seine (vergeblichen) Bemühungen, ein besserer Mensch werden zu wollen, für diesen permanenten Wechsel zwischen Schein und Sein, den alle seine Handlungen kennzeichnen und ihm irgendwann vor Augen führen, dass er selbst oft gar nicht weiß, was er fühlt, nicht weiß, ob er sich nicht permanent selbst belügt und was es eigentlich bedeutet, zu lieben. Und solche Unsicherheiten, die ihn, den mehrfachen Mörder, so nahbar und fast schon bemitleidenswert erscheinen lassen, betten die Macher in Season 2 zudem mit voller Absicht in Rückblicke, die die schwere Kindheit des kleinen Joey zeigen, ein. Infolgedessen muss sich das Publikum logischerweise diesmal um ein Vielfaches mehr kneifen, um sich darauf besinnen zu können, wie viele Gesetze dieses „Längst-nicht-mehr-Kind“ mittlerweile gebrochen und welch schwere Verbrechen dieser erwachsene Mann begangen hat.

Abschließend lässt sich folglich konstatieren, dass die zweite Staffel von «You – Du wirst mich lieben» enorm von der Vergrößerung des „Youniverse“ profitiert und sich spürbar weiterentwickelt hat, ohne dadurch das zu verlieren, was die erste Season derart populär hat werden lassen. Vor allem aber hat sie schon das Feld für das dritte 10-Folgen-Paket bereitet und bewiesen, dass Joes Geschichte noch lange nicht auserzählt ist.
Die ersten beiden Staffeln von «You – Du wirst mich lieben» sind auf Netflix verfügbar.
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04.01.2020 13:17 Uhr 1
04.01.2020 14:23 Uhr 2