Die Kritiker

«Die verlorene Tochter»

von   |  3 Kommentare

Als Produzent von «Babylon Berlin» ist X Filme gerade in aller Munde. Beim ZDF startet am Montag auch eine neue Miniserie des Unternehmens – und die fällt leider ziemlich dürftig aus.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Henriette Confurius als Isa von Gems
Götz Schubert als Peter Wolff
Christian Berkel als Heinrich von Gems
Claudia Michelsen als Sigrid von Gems
Rick Okon als Philip von Gems
Hildegard Schmahl als Lore von Gems
Max von der Groeben als Robert Wolff
Nina Gummich als Jenny Wolff
Emily Cox als Veronica Barclay

Hinter der Kamera:
Produktion: X Filme Creative Pool GmbH
Drehbuch und Idee: Christian Jeltsch
Regie: Kai Wessel
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Produzenten: Michael Polle und Uwe Urbas
Vor gut zwei Jahren erzählten Hans-Christian Schmidt und Bernd Lange mit der achtteiligen ARD-Serie «Das Verschwinden» von einer plötzlich wie vom Erdboden verschluckten jungen Frau, von ihrer Mutter, die sie immer verzweifelter sucht, und von ihrem weiteren Umfeld, das sich zu fragen beginnt, was mit ihr – und, weitergehend, mit „jungen Menschen“ an sich – nur los ist. Was als innovatives Format mit dicht bei den Figuren bleibender, betrachtungsreicher Narrative gedacht war, wurde stattdessen, zumindest rückblickend gesehen, zu einem vergessenswerten Stück Fernsehen, weil der Kern der Narrative trotz der nicht in Abrede stehenden einnehmenden Inszenierung eine Zumutung war: Denn im Grunde wurden die Charaktere der titelgebenden Verschwundenen und ihrer gleichaltrigen Freunde und Freundinnen allein auf ihren dramaturgischen Zweck reduziert, für die Elternfiguren ein Problem darzustellen, damit die sich dann plakativ daran abarbeiten konnten, dass sie ihre Kinder „nicht verstehen“. Nicht nur auf eine Gesamtlaufzeit von sechs Stunden gerechnet, war das inhaltlich ziemlich dünn.

Wo «Das Verschwinden», noch dazu mit einer besonders unkünstlerischen Conclusio, aufhörte, setzt nun «Die verlorene Tochter» von Autor Christian Jeltsch an. Schon der Titel nimmt vorweg, dass auch hier wieder die Perspektive der Elternfiguren die maßgebliche sein wird, und die eigentliche Triebfeder der Geschichte eher als auslösendes Moment denn als Fokuspunkt der filmischen Betrachtung zu fungieren hat.

Doch statt um ein „Verschwinden“ geht es hier eher um ein „Auftauchen“: Vor zehn Jahren ist die Gymnasiastin Isa von Gems (Henriette Confurius), Zögling der örtlichen Brauerei-Dynastie, zum letzten Mal gesehen worden, als sie während eines von Oberstufenquerelen zerfressenen Schulballs das Weite gesucht hat, und dabei noch mit ansehen musste, wie ihre Mutter (Claudia Michelsen) auf dem Lehrerparkplatz den im Ort bekannten Polizisten Peter Wolff (Götz Schubert) knallte. Letzterer hat nie verwunden, dass er Isa damals nicht auffinden konnte, ist dem Alkohol verfallen und hat ob der Sauferei auch seine steile Karriere mit Aussicht aufs BKA in die Tonne getreten. Heute bewacht er nachts die Abfüllanlagen von Isas Familie und muss sich dabei auch noch einem herrischen Wicht unterordnen.

Ein Jahrzehnt später meint er nun, Isa in einem Auto vor der Getränkefabrik gesehen zu haben. Quatsch, sagen alle im Ort, bis Isa tatsächlich am Ende der ersten Folge aus einer brennenden Gartenhütte gezogen wird. Ein DNA-Test ergibt schließlich Gewissheit.

Es folgt die erwartbare erzählerische Masche: Isa ist durch den Wind, kann sich an nichts aus ihrem „früheren“ Leben mehr erinnern und will die Zeit ihres Verschwundenseins als Obdachlose in Frankfurt zugebracht haben. Letzteres ist eindeutig eine Lüge, schließlich kommuniziert sie im Geheimen ständig mit ihrem südfranzösischen Boyfriend.

Während mit der Salamitaktik immer weitere Ereignislücken geschlossen werden, bis am Schluss die unvermeidliche Auflösung steht, arbeitet sich «Die verlorene Tochter» das Gros der Laufzeit über an den verknöcherten Strukturen der altehrwürdigen anständigen Unternehmersfamilie ab, die ihre besten Zeiten – im wirtschaftlichen wie im schöpferischen Sinne – lange hinter sich gelassen hat. Das Wesentliche des Konflikte: Der machtbesessene und ab und an drogensüchtige Sohn der Dynastie (gekonnt biestig: Rick Okon) will den Bums an ein amerikanisches Konsortium verscherbeln und nicht mehr tatenlos zusehen, wie geschmacklose Discounter-Plörre und elitäres Craft-Beer dem traditionsreichen hessischen Brauwasser in die Parade fahren. Blöd, dass er nach Isas unverhofftem Auftauchen nicht mehr genügend Anteile am Imperium hält, um diesen Plan durchzuziehen. Patriarch Heinrich (Christian Berkel) will das Unternehmen unterdessen in Familienhand halten und schießt sich nach einer missglückten Podiumsdiskussion auf die Linie „Ökonomie und Ökologie“ ein. Seine distanzierte Frau hat dagegen nur ein Ziel: den unbedingten Familienzusammenhalt wiederherstellen. Doch sobald sie ihren Mann allzu energisch in seine Schranken verweist, schaltet sich die graue Eminenz in Form der archaischen Oma ein, die mit einem großbürgerlichen „Nimm dich in Acht“ alte Autorität ausstrahlen will. Und auch sonst begnügt sich die Miniserie damit, die gelebte „Tradition“ der Gestrigen als wertlose Hülle darzustellen, und verzichtet dabei auf eine kohärente Dekonstruktion. Bei «Rosamunde Pilcher» geht es selten oberflächlicher zu.

So ist es nicht verwunderlich, dass vom prominent besetzten Cast kaum jemand glänzen kann, mit nur zwei nennenswerten Ausnahmen: Henriette Confurius gelingt die Darstellung einer aus äußeren Zwängen und psychologischen Fehlsteuerungen herrührenden Zerrissenheit ganz meisterhaft, auch wenn man ihr eine stärkere künstlerische Herausforderung gewünscht hätte. Götz Schubert tritt derweil als die einzige Erwachsenenfigur mit ernsthaft interessanter Seelenwelt auf, die er durch sein empathisches Spiel ebenfalls deutlich bereichert.

Autor Christian Jeltsch kann seine erzählerische Beobachtungsgabe dagegen nur in einem Nebenhandlungsstrang beweisen: In der Nacht ihres Verschwindens wollte Isa eigentlich mit ihrer Jugendliebe Robert (Max von der Groeben) durchbrennen, erschien aber dann einfach nicht am vereinbarten Treffpunkt. Aus Frust und Kränkung schlief der wenige Stunden später mit Isas bester Freundin Jenny (Nina Gummich), die ihm bis zur Selbsterniedrigung verfallen war. Zehn Jahre später sind Robert und Jenny miteinander verheiratet, haben ein gemeinsames Kind und erwarten ein zweites. Die stets spannungsvollen Momente ihrer aus Zufall, Verletzung und zweiter Wahl entstandenen Beziehung – und die Herausforderung, als die erste Wahl von damals plötzlich wieder auftaucht – sind die eindrucksvollsten und bedrückendsten der ganzen Miniserie. Schade, dass sie diesen scharfen psychologischen Blick ansonsten vermissen lässt.

Das ZDF zeigt sechs Folgen von «Die verlorene Tochter» am Montag, den 27. Januar, Mittwoch, den 29. Januar und Freitag, den 30. Januar, jeweils ab 20.15 Uhr und in Doppelfolgen.

Kurz-URL: qmde.de/115339
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Kalinkax
25.01.2020 19:31 Uhr 1
http://www.tittelbach.tv/programm/serie/artikel-5465.html
Sentinel2003
29.01.2020 01:17 Uhr 2
Schon seltsam, dass auf anderen Medien Seiten, wie etwa der "wunschliste" und "DWDL" die Kritiker völlig anders die Serie gesehen haben!
Quax
01.02.2020 22:22 Uhr 3
45% und keinen Prozentpunkt mehr. Tatsächlich!
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