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Giganten des Kinos!
In der Legende heißt es, die Idee zum Film sei an einem Sonntagnachmittag in einem Café entstanden, wo Robert Siodmak mit einem Freund, einem jungen, ambitioniertem Autor namens Samuel Wilder die Menschen beim Flanieren beobachtete. Als Autor nannte sich Samuel übrigens Billie. Billie Wilder. Hier noch mit „ie“. Als die Idee Konturen annahmen, kam Curt mit an Bord und dann waren da noch zwei ihnen bekannte Filmverrückte, die unbedingt mitmachen mussten: Der Bühnenbildner Edgar G. Ulmer und der angehende Kameramann Fred Zinnemann.
Billy Wilder. Fred Zinnemann, Edgar G. Ulmer. Robert Siodmak. Das sind keine Namen, die Filmgeschichte geschrieben haben. Ihre Namen sind Filmgeschichte. Dazu hat Curt Siodmak als Autor einige, nun ja, interessante Spuren hinterlassen.
In ihrem bereits erwähnten Buch „Siodmak Bros. Berlin – Paris – London – Hollywood“, sprechen Wolfgang Jacobson und Hans Helmut Prinzler wörtlich von einem „ (…) Gestrüpp der Legenden, [welches] inzwischen diesen Film überwuchert hat.“ Eines ist auf jeden Fall klar: Im Gegensatz zu dem Film, der das Leben feiert, sind sich die Macher hinter der Kamera irgendwann an die Gurgel gegangen. Und der erste, der hochkant aus der Produktion hinausgeworfen wurde, dessen Name ist bislang nicht einmal genannt worden. Rochus Gliese. Der erste Regisseur des Filmes.
Wir neigen zum Vergessen
Wir schreiben das Jahr 2020, «Menschen am Sonntag» ist vor 90 Jahren in die Kino gekommen. Und nun ganz ehrlich: Wer kennt diesen Film? Der Cineast neigt dazu, seine Welt als die einzige Welt zu betrachten. Für Cineasten ist das Kino eine Welt der 1000 Geschichten. Dass es jenseits des Kinosaals Menschen geben kann, die einen Film wie «Menschen am Sonntag» nicht kennen, nie von ihm gehört haben – von einem der wichtigsten Werke des deutschen Kinos der Zeit zwischen 1920 und 1933? Das, … das ..., das geht doch nicht!
Schauen wir der Wahrheit ins Gesicht. Filme sind immer Kinder ihrer Zeit. Es gibt eine Handvoll Monolithen, die aus dem Meer der Vergänglichkeit herausragen und als zeitlose Werke über ihre Entstehungszeit hinaus Bestand haben. «Metropolis» ist ein solches Meisterstück. «Citizen Kane». «Casablanca». «Krieg der Sterne». Aber dann wird die Luft auch schon sehr dünn.
So fallen Filme wie «Menschen am Sonntag», so bedeutend sie vielleicht zu ihrer Zeit gewesen sein mögen, irgendwann dem Vergessen anheim. Dieses Vergessen schreitet fort, je älter ein Film wird und je mehr er sich von unseren Sehgewohnheiten unterscheidet. So viele Worte schon über Entstehungsgeschichten und Namen, aber noch kein einziges Wort über die Handlung? Um was geht es denn nun in «Menschen am Sonntag»? Dies ist der Moment des Erstaunens. «Menschen am Sonntag» erzählt die Geschichte von vier Menschen, die einen Sonntag am Wannsee verbringen. Ja. Das ist die Geschichte. Doch wer hat jemals behauptet, dass ein wunderschöner Film das große Drama erzählen muss? Oder dass ein Film nicht poetisch und fesselnd sein kann, wenn er nicht mindestens auf die Frage nach dem Sinn des Lebens eine Teilantwort zu geben vermag?
Im Grunde genommen besteht das Ensemble aus fünf Figuren. Da ist Wolfgang, ein Weinverkäufer, der am Bahnhof Zoo zufällig die junge Christl erspäht. Er beginnt mit ihr einen humorvollen Flirt, Christl lässt sich auf das Spiel ein und sie verabreden sich zu einem Spaziergang am Wannsee. Wolfgangs Nachbar ist Erwin, ein Taxifahrer, der mit Annie zusammenlebt. Ihre Beziehung ist schwierig. Annie und Erwin streiten viel. Schließlich ist da Brigitte, die Schallplattenverkäuferin. Eine Freundin von Christl. Christl bietet Brigitte sie an den Wannsee zu begleitet. Wolfgang erscheint zum Spaziergang mit seinem Nachbarn Erwin – ohne Annie.
Man geht zusammen baden, man hört Musik von Brigittes Schallplattenspieler, schließlich kommt Wolfgang Brigitte näher, zum Verdruss Christls. Ach ja, und zwischendurch flirten die Männer auch noch mit anderen Frauen und essen Kartoffelsalat.
Ja, das ist wirklich die Geschichte. Jedoch ist es nicht die Geschichte, die diesen Film trägt. Oder zumindest nicht nur. Es sind die Bilder. Da sind die S-Bahnen, die der Stadt Tempo verleihen. Da sind die Droschken, die bereits hier längst aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Mal zeigt die Kamera totale Einstellungen und fängt Bilder einer pulsierenden Stadt ein. Dann ist sie wieder intim, richtet ihren Blick auf die Menschen. Auf den Vater, der seinem Sohn an einem Brunnen robust dem Mund trocken rubbelt. Auf Brigitte, die am Schaufenster eines Elektroladens steht und mit kindlicher Begeisterung diesen neuen Plattenspieler entdeckt, den sie sich von ihrem kleinen Verkäuferinnengehalt nun endlich leisten kann. Eine Leichtigkeit umweht die Inszenierung, die wie ein frischer Lufthauch an einem warmen Sommertag ein Lächeln ob der unerwarteten Abkühlung erzeugt. Wobei sich die Frage stellt: Was ist inszeniert, was sind Zufallsbilder, eingefangen in den Straßen Berlins, die später in den Film montiert wurden?
Seymour Nebenzal mag seinen Cousins einen Rahmen geschaffen haben, in dem sie arbeiten konnten, aber aus den monetären Angelegenheiten hielt er sich, obwohl ein durchaus vermögender Filmproduzent, heraus. Wenn Robert Siodmak Geld wollte, musste er mit seinem Onkel, Seymours Vater, sprechen. Und der war ein Kaufmann, der für seine Zuwendungen im Gegenzug etwas sehen wollte. So fehlte es der Produktion stetig an Geld und hinter der Kamera flogen die Fetzen.
Das erste Opfer
In seinen Erinnerungen „Zwischen Berlin und Hollywood“ erzählt Robert Siodmak, er habe immer Regie führen wollen. Aber Edgar Ulmer, der als Bühnenbildner immerhin schon im Stab Fritz Langs gearbeitet hatte, schlug schließlich vor, den in Kinokreisen bekannten Filmarchitekten Rochus Gliese als Regisseur zu holen. Ulmer war mit Gliese offenbar freundschaftlich verbunden, außerdem hatte Gliese bereits mehrere Filme selbst inszeniert. Robert Siodmak stimmte widerwillig zu, da der Name Rochus Gliese das Portemonnaie seines Onkels öffnete. Das Problem: Robert Siodmak wollte Regie führen. Edgar Ulmer wollte Regie führen. Billie Wilder war der Regie auch zugetan. Und Fred Zinnemann auch. Regie war noch nie ein Job für unentschlossene Konsensfetischisten. Ein Regisseur ist am Set eines Filmes als künstlerischer Leiter letztlich für das Gelingen der Produktion verantwortlich. Ein guter Regisseur muss kein Diktator sein. Aber ohne eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit geht es nicht. Vor allem aber gilt das «Highlander»-Prinzip: Es kann nur einen geben. Diverse regieführende Brüderpaare ausgenommen.
Man muss sich einmal vor Augen halten, wer diese jungen Männer einmal werden sollten. Fred Zinnemann hat mit seinem Echtzeit-Western «12 Uhr mittags» rund 20 Jahre nach «Menschen am Sonntag» als Regisseur selbst einen Monolithen der Filmgeschichte erschaffen und im Laufe seiner Karriere vier Oscars erhalten (u.a. für «Verdammt in alle Ewigkeit»); wenn man einen Kurzfilm mitzählt, den er inszeniert hat, für den aber MGM den Goldmann erhielt, sind es sogar fünf. Edgar G. Ulmer mag in seiner Karriere hauptsächlich B-Filme gedreht haben, dann aber wurde er in Frankreich in den 1950er Jahren als ein Filmemacher entdeckt, dessen Schauspielführung, exquisite Kameraarbeit und Ausstattung hoch gelobte wurde, so dass er über den Umweg Frankreich eine verspätete Anerkennung für sein Werk erfuhr. Und Billy Wilder hat 1959 «Manche mögen's heiß» gedreht, eine der besten Komödien aller Zeiten. Seine insgesamt sechs Oscars seien nur am Rande erwähnt. Gerade Wilder ist als Regisseur nicht dafür bekannt gewesen, vor Stars oder Produzenten zu buckeln, sondern eine gewisse Freude an der Konfrontation empfunden zu haben. Legendär ist sein Ausspruch "Auszeichnungen und Preise sind wie Hämorrhoiden, früher oder später bekommt sie jedes Arschloch.“ Mehr muss zu ihm wohl kaum gesagt werden.
Man beleidigt keine Ehefrauen
Schließlich, manche Quellen sprechen davon, es sei bereits nach dem ersten Drehtag geschehen, schmiss Robert Siodmak Rochus Gliese raus. Offenbar schwebte Rochus Gliese ein Werk von purem existenziellen Realismus vor, ohne diesen verträumten Blick auf die Stadt, die heute die Faszination von «Menschen am Sonntag» ausmacht. Zumindest Billy Wilder hat sich derart später einmal geäußert. Es mögen aber auch finanzielle Gründe eine Rolle gespielt haben. Gliese soll sehr viel Material verfilmt haben, weshalb die Produktion schon gleich am Anfang in eine finanzielle Schieflage geriet. Nun übernahmen Siodmak und Ulmer die Regie, doch deren Kooperation endete mit einem Knall, als Siodmak Ulmers Ehefrau recht barsch beleidigte. Was er zu ihr gesagt hat, warum er sie beleidigt hat, ist nicht überliefert. Ulmer auf jeden Fall wollte mit Robert Siodmak nichts mehr zu tun haben. Schließlich warf auch Moriz Seeler, den Siodmak in seiner Biografie als Publicity-Mann bezeichnet (eine Umschreibung für Strohmann seines Onkels und Cousins?) das Handtuch.
Robert Siodmak war ein Filmemacher, der von Filmschaffenden als Gentleman bezeichnet wurde. Ein intelligenter, gebildeter Mann, der zuhören konnte, der seine Arbeit akribisch plante und an dessen Sets eine vergleichsweise entspannte Atmosphäre herrschte. Ob die eher gereizte Atmosphäre am Set von «Menschen am Sonntag» damit zusammenhing, dass die beteiligten jungen Männer schlicht überambitioniert waren? Ihre Egos nicht unter Kontrolle bekamen? Kein Geld da war?
Auch Fred Zinnemann hatte irgendwann keine Lust mehr. Es ist nicht wirklich überliefert, inwieweit Zinnemann tatsächlich am Regieführen zu dieser Zeit Interesse zeigte, weshalb seine Rolle vielleicht auch über- und damit falsch bewertet wird. Aber Zinnemann war Absolvent der Ecole Technique de Photographie et de Cinématographie in Paris, der Top-Schule für angehende Kameraleute, er hatte erste kleinere Assistenzen auf seiner Habenseite und offenbar ließ er sich für die Mitarbeit durch die Aussicht begeistern, an der Seite Eugen Schüfftans als Kameramann arbeiten zu dürfen, den Robert Siodmak für den Film hatte engagieren können. Da Zinnemann aber offenbar kaum mehr zu tun hatte als Schüfftans Filmrollen zu wechseln, tauchte er eines Tages einfach nicht mehr bei den Drehbarbeiten auf. Statt dessen kaufte er sich ein Schiffsticket in die USA und startete dort seine große Karriere.
Eugen Schüfftan
Nachdem Ulmer die Brocken hinwarf, traf Robert Siodmak fortan alle künstlerischen Entscheidungen nur noch mit seinem Kameramann. Eugen Schüfftan war nicht nur Kameramann, er war auch ein Tüftler und entwickelte das Schüfftan-Verfahren, bei dem durch den Einsatz von verschiedenen Linsen und dem Aufstellen eines Spiegels in einem 45-Grad-Winkel vor einer Kamera die Möglichkeit entsteht, kleine Modelle ins Bild zu projizieren und wie riesige Kulissen aussehen zu lassen. «Metropolis» ist voll von solchen Szenen, die nur dank Schüfftans Arbeit möglich geworden sind. Obwohl zum Beispiel Fritz Lang immer wieder auf Schüfftans Expertise zurückgriff, wurde er doch immer nur für spezielle Aufgaben engagiert und nie als verantwortlicher Kameramann.
Mag er anfangs das Engagement für «Menschen am Sonntag» angenommen haben, da er bei Siodmak als verantwortlicher Kameramann arbeiten durfte, entwickelte sich zwischen beiden eine echte Freundschaft. Und auch Schüfftan wurde ein großer seines Fachs. Nachdem auch er Deutschland verlassen musste, arbeitete er zunächst in Frankreich, dann ging er nach Hollywood und 1962 erhielt er den Oscar für seine Kameraarbeit für «Haie der Großstadt». In einem Artikel des Berliner Tagesspiegels aus dem Jahr 2000 erinnert sich die damals 90 Jahre alte Darstellerin der Brigitte, Brigitte Borchert-Busch, dass Schüfftan so etwas wie der Ruhepol der Produktion gewesen sei, denn am Ende der Produktion krachte es auch noch laufend zwischen Siodmak und Billie Wilder. Schüfftan glättete dann durch seine ruhige Art stets die Wogen. Ein parallel gedrehter Film über die Dreharbeiten von «Menschen am Sonntag», mit den Machern in den Hauptrollen – wäre vermutlich ein höchst unterhaltsames Werk geworden.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
04.02.2020 17:09 Uhr 1
04.02.2020 17:21 Uhr 2