Die Kritiker

«Wahrheit oder Lüge»

von

Frauen sollen wie rohe Eier behandelt werden, und dem Generalverdacht gegen Männer lässt sich nur mit Süffisanz begegnen. Der neue ZDF-Film offenbart eine erschreckende Bräsigkeit.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Natalia Wörner als Annabelle Martinelli
Franziska Hartmann als Mirella Hayek
Fritz Karl als John Quante
Felix Klare als Mike Petry
Almila Bagriacik als Donna Labaki
Lefaza Jovete Klinsmann als Momo Makiadi
Thelma Buabeng als Grace Owusu

Hinter der Kamera:
Produktion: Network Movie Film- und Fernsehproduktion GmbH
Drehbuch und Regie: Lars Becker
Kamera: Ralf Noack
Produzenten: Jutta Lieck-Klenke und Dietrich Kluge
Deutsche Fernsehfilme lieben das Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit – und ihre Autoren scheinen darin eine erstaunlich uniforme Dissonanz zu erkennen. Das Recht und das darin immanente Formelhafte, Universelle und Allgemeine ist für sie etwas Kaltes, Abweisendes, Undurchschaubares, etwas bisweilen Anstößiges und fast immer Ungerechtes. Gerechtigkeit ist für sie hingegen immer eindeutig, offensichtlich, selbsterklärend – und muss in den meisten Fällen gegen das Recht erkämpft werden.

Das sind natürlich Verallgemeinerungen, es gibt löbliche Ausnahmen von ganz wunderbaren intelligenten Filmen, die sich diesem Zwiespalt nicht mit brachialer Empörung um des Mitfühlens willen, sondern mit Verständnis und psychologischem Feingefühl widmen. Noch mehr Beispiele gibt es aber von der Sorte Film, in der Anzug tragende, selbstbesoffene Akademiker in Glasbauten miteinander taktieren, wie sie ihre wehrlosen Opfer mit den Mitteln des Rechts weiter quälen können, und das für exemplarisch halten.

In dieser Beobachtung liegt eines der Kernprobleme von «Wahrheit oder Lüge», wo Natalia Wörner als Annabelle Martinelli eine professionelle, aber – in der Logik des Films – trotzdem (!) empathische Rechtsanwältin gibt, die in zwei Vergewaltigungsfällen die Angeschuldigten vertritt. Bei einem davon ist der mutmaßliche Täter ein kaltschnäuziger Firmenboss (Felix Klare), das anklagende Opfer Martinellis beste Freundin Mirella (Franziska Hartmann). Man muss kein Experte für Anwaltsethik sein, um darin eine gewisse Problematik zu erkennen, die es verbieten würde, das Mandat anzunehmen. Sogar Topanwältin Martinelli weiß das. Doch dieses Anerkennen des Professionellen und Faktischen ist hier nur ein Vorwand, um es sofort wieder zu negieren. Der Mandant will schließlich die Beste, und auch die geschniegelten Chefs – mit einem von ihnen hat Martinelli natürlich seit Jahren eine verstaubte Affäre am Laufen – finden die Konstellation top: So kann man doch super verhandeln.

Als Kontraelement darf sich die Hauptfigur noch am Fall des erfolgreichen Straftaten-Rappers Momo (Lefaza Jovete Klinsmann) abarbeiten, den seine Freundin (Almila Bagriacik) angezeigt hat, nachdem sie ihn in flagranti mit einer anderen Bitch erwischt hat. Weil Momo milieutypisch aufbrausend, misogyn und ehrbesessen ist, arbeitet er tatkräftig an seiner Verbringung in die Untersuchungshaft, indem er die Zeugin und das mutmaßliche Opfer noch auf der Polizeidienststelle bedroht.

Im Fall von Martinellis bester Freundin und ihrem mutmaßlich missbrauchenden Boss drängen Sachlage und Chefetage derweil auf einen zügigen Vergleich. Zur Begründung, warum der Prozessweg besser vermieden wird, müssen die abgeschnittensten Zöpfe – „Das Opfer hat einen klaren Vorteil, besonders wenn es eine Frau ist“ und ein „Generalverdacht gegen Männer“ – herhalten, sowie natürlich: #metoo („kein gutes Jahrzehnt für Männer“).

Dabei verkennt dieser Film die #Metoo-Bewegung ebenso eklatant wie das Spannungsverhältnis zwischen Recht und Gerechtigkeit. Denn «Wahrheit oder Lüge» geht es vordergründig ums Glauben und um eine diffuse Empörung, und erst nachrangig um sachorientierte Aufarbeitung und Wahrheitsfindung.

Dafür ist dann auch Anwältin Martinelli in ihrer Dreierfunktion aus Rechtsbeistand der Angeschuldigten, Stütze der Opfer und Ersatz-Ermittlerin in einem zuständig. Die Frage, ob die Männer schuldig sind, muss in erwartbarer Weise das Rückgrat des Spannungsbogens bilden; eine Heldenreise über das emotionale Wachstum der Hauptfigur wird nur ganz am Schluss angedeutet, in einer geradezu verstörenden Abwendung von den Grundsätzen, die den Anwaltsberuf eigentlich ausmachen.

An einer echten, aufrichtigen Begegnung mit der Frage, was das Recht als solches leisten kann, und wie sich dies zu der Vorstellung verhält, was auf einer philosophischen Ebene Gerechtigkeit sein könnte, hat der Film hingegen nicht das geringste Interesse: Er will empören und wachrütteln, nicht erklären, argumentieren oder überzeugen. Sprachfiguren wie „sagt mir mein Gefühl“ und willkürliche Konzepte wie „Frauensolidarität“ müssen ausreichen.

Ebenso befremdlich wie sein Verhältnis zu rechtlicher Aufarbeitung ist gleichsam sein Frauenbild, mit dem er gerade modernen Feminist(inn)en einen Bärendienst erweist: „Behandeln Sie sie wie ein rohes Ei“, gibt Anwältin Martinelli ihrem freigelassenen Mandanten mit, nachdem sich herausgestellt hat, dass der seine U-Haft allein dem Umstand zu verdanken hatte, dass er seiner schwangeren Partnerin fremdgegangen war und sie aus Rache die Vorwürfe gegen ihn frei erfand: ein Unrecht, das «Wahrheit oder Lüge» in erschreckend perfider Weise wegfühlt und wegtätschelt, schließlich ist jetzt alles wieder gut. Und dass sich die wenigsten Frauen als „rohes Ei“ auf derselben emotionalen und rechtlichen Stufe wie ein Kind oder ein Psychiatriepatient sehen dürften, scheint zur 50er-Jahre-Logik dieses Films ebenfalls nicht durchgedrungen zu sein.

Das ZDF zeigt «Wahrheit oder Lüge» am Montag, den 17. Februar um 20.15 Uhr.

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