First Look

«The New Pope»: Alles beginnt mit einer OP

von

John Malkovich als Papst? Da kann eigentlich nicht viel schiefgehen. Und so ist es auch. Zumindest bezogen auf Malkovich, der den Raum, die ihm die Serie bietet, mit Leben zu erfüllen. Das ist auch dringend notwendig, denn «The New Pope» gerät jenseits von Malkovich bereits mit der ersten Episode ins Stolpern.

Cast & Crew

  • Darsteller: John Malkovich, Silvio Orlando, Jude Law, Cécile de France, Ludivine Sagnier, Javier Cámara, Mark Ivanir, Henry Goodman, Urich Thomsen
  • Regisseur und Showrunner: Paolo Sorrentino
  • Drehbücher: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello, Stefano Bises
  • Musik: Lele Marchitelli
  • Episoden: 9
  • Produktionsfirmen: The Apartment, Wildside, Haut et Court TV
  • Produzierende Sender: Sky Atlantic, HBO, Canal+
2016 gönnten sich HBO, Canal+ und Sky (Italien) ein richtig hübsches Prestigeprodukt: «The Young Pope». Ja, bei dem Begriff „Produkt“ in Bezug auf eine Serie oder einen Film, da bekommen Serienfreunde und Cineasten schnell Magenschmerzen. Der Begriff wertet ein Werk schnell ab, lässt es kalkuliert und schnell beliebig erscheinen. Doch letztlich ist eine jede Serie ein solches Produkt: Es muss am Markt bestehen. Tut sie das nicht, erwirtschaftet sie keine Gewinne oder lockt keine Abonnenten an, dann ist sie ein Flop. Das Problem ist nun, dass die Zuschauerschaft dort draußen an ihren vielfältigen Empfangsgeräten verwöhnt ist. Es reicht im Serienfernsehen nicht mehr als eine Kamera aufzustellen, das Licht nicht zu grell von vorne zu setzen und Schauspieler ihre Sätze aufsagen zu lassen. Früher sprach man von „großem Kino“, da das Kino all die Schauwerte lieferte, die begeisterten. Die Serie war gar nicht auf diese Art von Erlebnis angelegt. Sie war ein Zwischendurchhappen. Wurde sie von talentierten Autoren und Regisseuren betreut, konnte sie durchaus eine gewissen Begeisterung hervorrufen. Aber sie blieb doch nur der kleine Bruder des großen Kinos.

Was sich geändert hat, seit die Serie als Kunstform ihr Potenzial entdeckt hat: Das Erzählen großer Geschichten. Und seit sich die Serie ihrer eigenen Mächtigkeit bewusst geworden ist, reicht es eben auch nicht mehr aus, die Kamera möglichst wackelfrei aufzustellen. Nein, die Serie muss nun auch Schauwerte liefern, will sie bestehen. Sicher muss nicht gleich jede Serie «Game of Thrones» toppen, aber bitte: seit die Serie zum Gold der Streamingdienste und Bezahlsender mutiert ist, reicht es im Kampf um die Zuschauergunst nicht mehr aus, Discounterqualität zu liefern. Es bedarf bemerkenswerter Schauwerte, guter (möglichst großer) Namen und Geschichten, die etwa gebührenfinanzierte Vorabendserien nicht bieten können.

Dass dieser Zwang durchaus zu ungewöhnlichen Allianzen führen kann, hat eine Serie wie «The Young Pope» bewiesen. Wenn HBO, Canal+ und Sky letztlich kooperieren, dann auch, weil sie das Risiko auf mehreren Schultern verteilen können. Der italienische Sky-Ableger konnte dank seiner solventen Partner große Namen nach Rom holen, Canal+ bekam eine exklusive Serie fürs Netzwerk und HBO bekam eine 1-A-Produktion, die allerdings nicht auf Gedeih und Verderben zum großen Erfolg verdammt war.

Der paffende Papst


Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino hat 2014 für sein Drama «La Grande Bellezza - Die große Schönheit» den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film erhalten. Ein Jahr später brachte er mit «Ewige Jugend» Michael Caine und Harvey Keitel ins Arthaus-Kino. Erfolgreich. 2016 ließ er dann «The Young Pope» aufs Publikum los und überraschte, entsprach die Serie überhaupt nicht dem, was erste Bilder erwarten ließen. Jude Law als paffender Papst, der gerne auch mal vor dem Spiegel seinen eigenen Körper betrachtet? Vor manch einem geistigen Auge erschien da ein junger Held, der den Saustall Vatikan ausräuchert. Einen Ort der Intrigen, der Missgunst. Und tatsächlich ist die Wahl dieses Papstes, Pius XIII genannt, auch eine Intrige, hinter der der italienische Kardinal Voiello (Silvio Orlando) steckt, der als Graue Eminenz die Geschicke hinter den Kulissen bestimmt, selbst aber nicht populär genug ist, um selbst Bischof von Rom zu werden. So also wird der Amerikaner Lenny Bernado Papst. Er ist jung, er sieht gut aus: Er ist der ideale Strohmann.

Doch Lenny Bernado ist auch unfassbar eitel. Er ist dem Hedonismus zugetan. Er genießt seine Macht. Er ist fürchterlich homophob und verlangt echten Glauben ein – und lässt keine Spielräume zu; es gibt nur eine Autorität und das ist der Papst. Doch in seinem Extremismus sucht er nicht, einem Trump gleich, die Öffentlichkeit, um sich als einzige Antwort auf alle Fragen zu inszenieren. Im Gegenteil: Er umgibt sich mit dem Mantel des Geheimnisvollen. In seiner Radikalität, seinem Einfordern der totalen Autorität für sich - findet er allerdings auch viele „Fans“. Er teilt die Welt auf. In „die“ und „wir“. Darin ist er Populisten der Gegenwart nicht unähnlich. Dumm für die, die ihn auf den Heiligen Stuhl gehievt haben. Wobei dies nur ein Teilaspekt der Handlung der Serie ist. Überhaupt – die Handlung. Im epd-Filmdienst (mehr dazu hier) nannte der Kritiker Sascha Westphal «The Young Pope» „ein grandioses Panorama bewegter Bilder, die einem immer wieder den Atem rauben und zugleich ein zynisches Lächeln provozieren. Wie Fellini steht auch Sorrentino in der Tradition der Karikaturisten und bildenden Künstler, die mit ihren Werken der Gesellschaft einen Zerrspiegel vorgehalten und so deren verdeckte Abgründe freigelegt haben."

Die Serie ist ein Bilderreigen, eine visuelle Groteske, in der die Handlung eben nur ein Teil eines größeren Kompositions-Konzeptes darstellt, aber eben nicht zwingend das Herz eben jenes Konzeptes.

Von Serie zu Serie


Das Ende der ersten Staffel zeigt den jungen Papst, wie er am Boden liegt, von einem Herzinfarkt (?) dahingerafft. So beginnt die zweite Staffel, nun «The New Pope» betitelt, mit einer OP. Es ergibt sich das Bild mehrerer Herz-OPs, inklusive Transplantation. Der Papst lebt. Aber er liegt im Koma. Ob er aus diesem jemals wieder erwachen wird, steht in den Sternen.

Schließlich bleibt dem Vatikan gar keine andere Wahl als einen neuen Papst zu wählen. Die Kardinäle sind gezwungen, das Pontifikat von Pius XIII für beendet zu erklären und sich zur Nachfolgerwahl zurückzuziehen.

Und mit der ersten Episode schießt sich die Serie bereits selbst ins cineastische Knie, denn was diese Episode bietet, ist eine Aneinanderreihung von Klischees. Hinter den Kulissen wird gerungen, mehrere Kandidaten stehen zur Auswahl, Kardinal Voiello ist immer noch nicht beliebt genug, um genügend Stimmen zu bekommen, es wird gewählt und gewählt. Das alles sieht optisch toll aus, Beats, die eher an Daft Punk denn an gregorianische Gesänge erinnern, werden diesem Spektakel unterlegt, das alles ist auditiv und visuell beeindruckend in Szene gesetzt. Allerdings wirkt es auch überlang. Es werden die Bilder gefeiert. Die Handlung jedoch bringt all das nicht voran. Kein Wunder, da die erste Episode letztlich nur ein Ziel verfolgt: Den Vatikan als Intrigantenstadl darzustellen, das nicht einmal vor Mord zurückschreckt. Tatsächlich einigt man sich auf einen Kompromisskandidaten, einen netten, älteren Kardinal, der weder als besonders progressiv, aber auch nicht als zu konservativ gilt. Ein freundlicher Herr – dem nur leider eine Taube, während er eigentlich dem Erdkreis für seine Wahl danken soll (mit einem von Voiello vorbereiteten Manuskript), eben dieses Manuskript stiehlt. Von diesem Moment beeindruckt, erkennt er seine Macht – und nennt sich stante pede Franziskus II. und verspricht den Menschen, dass die Kirche fortan einzig daran arbeiten wird, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Seine Worte sind von einer solchen Spontanität, solch einer Liebe zu Gott und den Menschen – es überrascht nicht, dass dieser Papst die erste Episode nicht überlebt.

Zum Glück gibt es Malkovich


Das alles ist von solch einer Ödnis, so vorhersehbar, so kalkuliert... Ja, die Bilder sind toll. Aber die Geschichte ist so ausgelutscht. Diese Episode hat nur ein Ziel: Die Intriganten im Hintergrund dürfen nicht zu sympathisch wirken. Dass sie keine Freunde des jungen Papstes waren (auch wenn sie ihn selbst inthronisierten), das kann man am Ende der ersten Staffel fast schon verstehen. Der ist zwar in der Darstellung Jude Laws eine faszinierende Persönlichkeit. Nur nicht wirklich ein Sympathieträger. Doch bevor eben eine gewisse Sympathie für die im Hintergrund entsteht – wird ein wirklich sympathischer, toller Papst mal eben Opfer einer verdorbenen Muschel und damit sind die Fronten wieder schön geklärt.

Damit aber nimmt sich die Serie ihre Ambivalenz, denn nun ist es kaum noch möglich, Figuren zu brechen, mit ihnen zu spielen. Sie sind nun definiert. Selbst wenn man nicht weiß, wer genau was getan hat. Unterm Strich haben die doch alle Dreck am Stecken...

Durch das überraschende Ableben des neuen Neuen, muss also der nächste her. Auftritt John Malkovich. Spielt(e) der Engländer Law einen Amerikaner, ist der Amerikaner Malkovich nun ein Engländer: Sir John Brannox. Das erste Zusammentreffen von Voiello und Brannox verläuft – irritierend. Für die Zuschauer und den Kardinal. Brannox mag ein hochrangiger Geistlicher sein, aber er hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, lebt als Privatier im riesigen Anwesen seiner Eltern und gibt sich als alternder Dandy. Warum ausgerechnet er der Mann ist, von dem sich der Vatikan einerseits Modernität erhofft, ohne, dass er zu viel Autorität auf sich vereint, wird zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar. Doch das muss es auch nicht, denn Malkovichs exaltiertes Spiel trägt die folgenden Szenen mit einer Wucht, die es fast egal macht, was er hier gerade spielt. Es ist das Spiel, das für sich steht.

Doch John Brannox ist nicht ganz das, was der Vatikan glaubt zu sein. Da ist die Geschichte mit seinem Zwillingsbruder. Obschon eineiige Zwillinge, war es sein Bruder, den seine Eltern liebten. Nach dessen Tod vor über 30 Jahren konnte John diese Lücke im Leben der Eltern nicht schließen. Von katholischen Eltern, die ihre Söhne (offenbar) von Kindesbeinen an zu nur einem Ziel erzogen haben: Der Kirche zu dienen – einer unbarmherzigen, großen, autoritären Kirche. Doch offenbar hat John diese Strenge hinterfragt.

In einer wahrhaft beeindruckenden Szene tritt er seinen Eltern gegenüber. Die leben noch. Sind alt und leiden beide an einer nicht näher erklärten Krankheit. Tatsächlich können beide nur durch künstliche Beatmung am Leben gehalten werden. Sie sind wach, aber unfähig zu sprechen oder sich zu bewegen. So tritt John seinen Eltern gegenüber und spukt ihnen seinen Hass entgegen.

Verbunden mit seinem ultimativen Triumph: Er, der ungeliebte Sohn, wird der Kirche nicht einfach dienen. Er wird vielmehr die Kirche sein.

Auf den Leib geschrieben


Diese inszenatorische Wucht erreichen die nächsten beiden Episoden an keiner einzigen Stelle. Malkovich spielt klasse. Schnell wird klar, dass dieser Papst ein widersprüchlicher, vor allem aber kein leicht zu steuernder Kirchenfürst ist. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuschauen. Undurchsichtig ist er. Nichts deutet darauf hin, in welche Richtung sich dieser Papst entwickeln wird. Aber das spielt auch keine Rolle, da eben diese Malkovich auf den Leib geschrieben ist. Man folgt ihm einfach auf seiner Reise. Die dadurch an Spannung gewinnt, dass sein Vor-Vorgänger nach und nach aktive Lebenszeichen von sich gibt.

Wie schon die erste Staffel unterläuft die zweite Staffel bewusst Zuschauererwartungen; sie folgt nicht zwingend einer klaren Dramaturgie, die auf ein großes Finale zusteuert. Sie nimmt sich Zeit für einzelne Szenen, um diese einfach für sich stehenzulassen; nur dieser Bruch mit der typischen, Plot getriebenen Dramaturgie amerikanischer Hochglanzserien wirkt sehr bemüht. Die Serie will anders sein um des Anderssein willens. Hier trifft das Arthaus-Kino die Serie. Das ist alles schön gefilmt. Aber beim Blick auf die Story ergibt sich recht schnell die Frage: Warum kein geradliniger Verschwörungsthriller? Was ist an Geradlinigkeit falsch? Die Inszenierung verliert sich in der eigenen Selbstverliebtheit.

Hinzu kommt das Problem, dass Malkovich die Serie derart an sich reißt, dass das Interesse an seinem Vorgänger schnell zum Erliegen kommt. Nun wird die Geschichte von Sir John erzählt. Eigentlich interessiert der junge Papst gar nicht mehr. Aber er lebt ja noch. Man möchte, mit Blick auf Malkovich, die etwas ketzerische Frage stellen: Warum eigentlich?

Die erste Staffel hat ihre Fangemeinde, sicher wird die zweite Staffel gleichfalls ihr Publikum finden. Geschmäcker sind verschieden. Und das ist ebenso richtig und wichtig, wie es schön ist, dass sich auch große Player wie HBO, Canal+ und Sky trauen, etwas zu produzieren, das eben seine ganz eigenen Wege beschreitet. Wer sich für diese Art von Serie erfreuen kann, wird mit ihr sicher glücklich werden. Wer nicht, für den bietet das Serienfernsehen unserer Tage so viele Alternativen wie nie zuvor.

«The New Pope» startet am Donnerstag, 20. Februar – linear um 20.15 Uhr bei Sky Atlantic und ist natürlich auch auf Abruf verfügbar.

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