Hinter den Kulissen
- Regie: Jan Bonny
- Drehbuch: Jan Eichberg
- Cast: Darja Mahotkin, Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Andrei Viorel Tacu, Andreas Döhler, Ronald Kukulies, Bibiana Beglau, Susanne Bredehöft, Silke Bodenbender, Franziska Hartmann
- Musik: Jens Thomas
- Schnitt: Saskia Metten
- Kamera: Stefan Sommer
Schlussendlich war bislang nichts vom angedrohten Drosseln der atypischen «Tatort»-Ausgaben zu spüren – manche wird’s ärgern, manche werden sich freuen. Diejenigen, die in der ARD für die Bearbeitung von Publikumsrückmeldungen zuständig sind, werden zumindest an diesem Wochenende mit Sicherheit erschöpft bis entnervt aufstöhnen. Denn «Tatort – Ich hab im Traum geweinet» hat die Zutaten, aus denen ARD-Filme gemacht sind, die Beschwerden mit sich bringen: Nacktheit, Sex, Gewalt und eine für die Marke «Tatort» außergewöhnliche Erzählweise – nur, dass dies hier kein Thriller ist, und auch kein Horrorfilm, sondern schlicht ein entblößendes Drama …
Der Schwarzwald befindet sich im Fastnachts-Taumel: Während in Nordrhein-Westfalen gesoffen, gesungen, gescherzt und gegröhlt wird, sorgen alemannische, halbgrimme Bräuche hier für eine beengende Nähe zwischen taublosen Möglichkeiten und prompter Strafe. Franziska Tobler und Friedemann Berg lassen sich während dieser närrischen Zeit treiben – bis sie zum Einsatz gebeten werden …
Der von Jan Eichberg und Regisseur Jan Bonny geschriebene Krimi lässt sich seine Zeit: Dauert es üblicherweise nicht lange, bis die (erste) Leiche gefunden wird und der Fall so ins Rollen kommt, vergeht in «Tatort – Ich hab im Traum geweinet» viel Zeit bis zum in dieser Reihe so obligatorischen Leichenfund. Es wäre möglich, nach der «Tagesschau» eine Episode der «Simpsons» sowie das unzensierte Rammstein-Musikvideo zu "Pussy" zu gucken und danach erst Das Erste einzuschalten – und man würde dennoch locker den Beginn der Ermittlungen mitbekommen. Dieses Vorgehen wäre jedoch ein Affront, denn der lange, ruhige Einstieg in «Tatort – Ich hab im Traum geweinet» ist nicht nur sehr sehenswert, sondern auch der (nicht ganz so) heimliche Hauptteil des Films.
Regisseur Jan Bonny, der unter anderem schon den preisgekrönten TV-Krimi «Polizeiruf 110: Der Tod macht Engel aus uns allen» und die kontroverse NSU-Parabel «Wintermärchen» stemmte, konzentriert sich auf zwischenmenschliche Beziehungen – vor allem auf die (in dieser Geschichte) oft dichte Verschränkung von Lust, Liebe und Schmerz. Bonny zeigt zu diesem Zweck viel nackte Haut – uneitel, unerotisch, aber ebenso wenig auf den "Schockeffekt" gebürstet, zur besten Sendezeit Menschen beim Sex zu zeigen. Die blanken Körper sind hier schlicht etwas vollkommen alltägliches – aber auch Gewalt unter Menschen, die kurz zuvor (oder auch kurz nach dem Streit) zärtlich zueinander waren lauert in diesem Film überall. Allein in der ersten Viertelstunde wird eine Frau von Maskierten bedrängt, wir sehen blanke Gewalt zwischen zwei Liebenden und wir sehen ein neckisches Machtspielchen, bei dem die Wortwahl ähnlich ausfällt wie in den beiden anderen, eben genannten Szenen.
Der Fastnacht-Unterbau dieses Krimis dient dazu, die grobe, metaphorische Thematik der Masken einzuführen: In diesem Neunzigminüter setzen Leute ununterbrochen sprichwörtliche Masken auf. Der unelegant verlaufene One-Night-Stand wird freundlich weggelacht oder unter einer Maske der Gram vergraben, eine Ehefrau schluckt die Wut über Kommentare ihres Gatten beim Schönheitschirurgen runter und eine Krankenschwester mit bewegter Vergangenheit versucht, sich ein neues Leben aufzubauen, doch ihr altes schimmert noch immer durch.
- © SWR/Benoît Linder
Franziska (Eva Löbau) und Friedemann (Hans-Jochen Wagner) beim Fackelzug.
Die ruhige Erzählweise und Bonnys Gespür für die verletzliche Menschlichkeit in Szenen der Aggression sowie für die unterschwellige Aggressivität in vermeintlich entspannten Augenblicken lassen uns nah an diese vielschichtigen Figuren rücken. Das Ensemble spielt intensiv auf, Eva Löbau begeistert als Ermittlerin, die vorübergehend ihre Grenzen vergessen will, aber doch immer wieder ins verkopft-komplizierte Verhalten verfällt. Ebenso klasse ist Hans-Jochen Wagner als der oberflächlich umgänglichere Kollege, der aber Missgeschicke schwerer wegsteckt als Löbaus Figur. Und die junge Darja Mahotkin ist eine regelrechte Entdeckung als verschreckte, vorsichtige Neue im Dorf, die nur im Bett impulsiv ist, und bei der sich dann nie problemlos abstecken lässt, wie sehr sie die Situation unter Kontrolle hat.
Es ist ein bemerkenswertes Raufen der Tonalitäten, das Bonny mit diesen Elementen absolviert: Mit erzählerischen Fransen, fraglichen Entscheidungen mehrerer Figuren und kaum einem Moment des Glücks ist es so betrachtet ein schmutziger, unschöner «Tatort». Aber der Regisseur inszeniert all das so mitfühlend, so lebensnah und undramatisiert, dass dieser «Tatort» die Identität einer Skandalnummer, zu der er womöglich wird, nicht verdient hat. Es ist einfach ein gewollt-unrunder, überhaupt nicht effekthascherische Einblick in Leben, in denen sich Zorn und Zärtlichkeit, Liebe und Leid überkreuzen.
«Tatort – Ich hab im Traum geweinet» ist am 23. Februar 2020 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
22.02.2020 19:20 Uhr 1
23.02.2020 22:00 Uhr 2
Auf Facebook sieht es nicht besser aus
24.02.2020 00:24 Uhr 3