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Whannell will (und muss) uns nicht die Vorgeschichte einer brutalen, missbräuchlichen Beziehung zeigen, damit wir im Publikum der von Moss verkörperten Cecilia glauben, wie grausam ihr Freund ist. «Der Unsichtbare» ist so strukturiert, dass wir als Zuschauer (und Zuschauerinnen) dafür sensibilisiert werden, eine verängstigte Frau zu sehen und allein anhand dieses Anblicks zu erkennen, wie ernst die Lage ist, und Mitgefühl zu zeigen. Und die Lage ist in «Der Unsichtbare» sehr ernst: Moss' Schauspiel geht unter die Haut und Whannell versteht es, durch entsättigte Farben und erdrückend viel leeren Raum in seinen Bildern den emotionalen Terror zu transportieren, den seine Heldin durchlebt. Denn für Cecilia, die befürchtet, dass ihr Ex jederzeit überall auftauchen könnte, ist jeder Raum nur eine riesiges Versteckspielfeld, aus dem der manipulative Mistkerl hervortreten könnte.
Der schon im Titel referenzierte Kniff macht dieses Häusliche-Gewalt-Thrillerdrama nicht nur für eine größere Masse vermarktbar, sondern hebt es zudem auf eine symbolischere (und, wenn man dafür empfänglich ist, zugleich eindringlichere) Ebene, da diese Unsichtbarkeit metaphorisch dafür steht, wie riesig der blinde Fleck in unserer Gesellschaft für häusliche Gewalt, Beziehungs-Psychospielchen und seelische Manipulation ist.
Dass dieses intelligent eingefädelte, zugleich mit überhöhter Bildhaftigkeit versehene und somit sehr nachdrückliche Psychodrama seinen still brodelnden, doch sehr konsequenten emotionalen Terror an einer Stelle abstellt, wird sicherlich so manche Kritik ernten. Ohne zu viel verraten zu wollen, gibt es eine Passage, in der Whannell die inszenatorische Färbung, mit der er «Der Unsichtbare» bis dahin umgesetzt hat, gegen eine Handschrift eintauscht, die eher seinem Sci-Fi-Actionthriller «Upgrade» ähnelt – die beiden Filme teilen sich sogar vereinzelte Kameratricks.
Auch ich war in der Pressevorführung kurz irritiert und war für einen Augenblick unschlüssig, was ich davon halten soll. Aber wenige Sekunden später dämmerte es mir, so dass ich für mich entschieden habe, Whannell für seine Entscheidung, eine kurze, popcorn-eske, actionbetonte Passage in «Der Unsichtbare» einzubauen, zu applaudieren.
Denn der Wechsel von beklommener "Ich hoffe so sehr, dass nichts passiert!"-Angespanntheit zu kämpferischer "Hoffentlich passiert jetzt dies und das!"-Aufregung geschieht, als bei Cecilia kurz ihre eingeschüchterte, chronische Furcht in den Hintergrund tritt und sie von einem sehr situativen Druck voller aufgescheuchter Tatkraft gerät. Nicht nur also, dass «Der Unsichtbare» stringent eng bei seiner Hauptfigur bleibt – es ist auch wichtig, in solch einem Film die eingeschüchterte, panische Heldin nicht in einem statischen Gefühlsgefängnis zu zeichnen, sondern aufzuzeigen, wie ihre Nerven auf verschiedene Weise strapaziert werden.
Der Ausflug ins Actiongenre in «Der Unsichtbare» ist ein kurzer Moment der Erlösung. Diese Katharsis schwächt jedoch nicht die Suspense des Films und den Nachdruck, mit dem er sein Thema verfolgt. Viel mehr untermauert sie die emotionale Glaubwürdigkeit Cecilias, die selbst als verängstigte, misshandelte Frau, der niemand glaubt, einen Moment haben kann, in der sie sich aufbäumt. Und es festigt das grundlegende Konzept dieses Psychodramas. Denn was in anderen Filmen das retardierende Moment ist, das die Lösung eines Konflikts hinauszögert (dem Pistolenhelden geht die Munition aus, zwei Flirtende haben ein Missverständnis, und so weiter), ist in Cecilias Welt der Silberstreifen am Horizont, den sie zu erreichen versucht.
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