Die Kritiker

«Unter anderen Umständen – Über den Tod hinaus»

von

Ein Mord ohne Leiche. Ein Täter, der nach seiner Haftentlassung offenbar eine alte Rechnung zu begleichen hat. Und mittendrin ein Polizist auf einem persönlichen Kreuzzug: Jana Winters erster Tag als Chefin ihres neuen Einsatzgebiets Flensburg verläuft alles andere als reibungslos.

Cast & Crew

  • Darsteller: Natalia Wörner, Ralph Herforth, Martin Brambach, Lisa Werlinder, Hansjürgen Hürrig, Katrin Bühring, Peter Schneider, Peter Mgind, Stefanie von Poser, Thomas Arold, Robert Dolle
  • Regie: Judith Kennel
  • Autor: André Georgi (mit Judith Kennel)
  • Kamera: Nicolay Gutscher
  • Schnitt: Friederike von Normann
  • Musik: Matthias Weber
Seit 2006 stellt Natalia Wörner die Polizistin Jana Winter dar. Nun ist sie in Flensburg tätig. Viel Stadtkolorit gibt es in diesem Spielfilm nicht zu sehen. Und das ist gut so, denn so bleibt das Hauptaugenmerk ganz auf die Geschichte gerichtet, die keine Zeit mit Nebenhandlungen verplempert. Matthias Hamm (Ralph Herforth), seit 2006 Janas engster Mitarbeiter, gräbt mitten in der Nacht auf einem Friedhof eine Leiche aus. Weder hat er dafür eine Genehmigung, noch ergibt sein Tun einen Sinn. Tatsächlich lässt er sich nur von einem Gefühl leiten und bringt Jana in Erklärungsnot. Sie vertraut Matthias. Nur hat sie nicht den Hauch einer Ahnung, was in ihn gefahren ist. Dennoch muss sie ihn gegenüber ihrem Vorgesetzten verteidigen. Schließlich aber ergibt sich ein Bild.

Schatten der Vergangenheit


Bevor sie und Matthias zusammengearbeitet haben, hat dieser den Mord an einer Jugendlichen untersucht. Der Fall war kompliziert, da es keine Leiche gab. Allerdings gab es eine Augenzeugin. Nicole, eine junge Frau, die einen Mann namens Plessner beschuldigte, das Mädchen ermordet zu haben. Plessner war der Vater einer Freundin der Getöteten. Nachweislich fuhr sie am Tag ihres Verschwindens alleine in seinem Auto mit, alle Indizien sprachen ebenso gegen ihn wie die Aussage von Nicole. Nun ist Plessner nach zwölf Jahren aus der Haft entlassen worden – und die Leiche, die Matthias ausgegraben hat, ist Nicole. Das Problem: Matthias hat seinerzeit eine Affäre mit der Zeugin gehabt. Die wurde öffentlich, der Prozess wäre dadurch fast geplatzt, allein seinem damaligen Chef konnte verdankt er, dass er mit einem blauen Auge aus der Geschichte herausgekommen ist. Er wurde versetzt, lernte Jana kennen, mit seiner Geschichte hausieren ging er nicht. Die Beziehung wurde eh von Nicole beendet.

Nun hat er zufällig von ihrem Tod erfahren und davon, dass sie ertrunken ist. Was er jedoch nicht glauben kann. Tatsächlich war sie in ihrer Jugend schleswig-holsteinische Meisterin im 500-Meter-Kraulen: Sie war eine hervorragende Schwimmerin, die nie ein Risiko eingegangen wäre. Und sie soll ertrunken sein – kurz nachdem Plessner entlassen worden ist? Matthias bekommt seine Obduktion. Die belegt, dass der Unfallarzt, der Nicoles Totenschein ausgestellt hat, mit der von ihm attestierten Todesursache daneben lag.

Zwölf Jahre seit 2006?


Man kann nun natürlich bemängeln, dass wieder einmal eine persönliche Geschichte der Vergangenheit aus dem Hut gezaubert werden muss, um die ganz persönliche Betroffenheit einer Hauptfigur zu erzeugen. Kaum eine Serie kommt heutzutage ohne solch persönliche Noten aus. Der Ermittler, der nach getaner Arbeit nach Hause geht, die Füße hochlegt, vielleicht eine Dose Bier öffnet und „Das Dschungelcamp“ im Fernsehen schaut, nein, das geht so nicht. Nur fragt man sich schon: Wenn zwei Charaktere wie Jana und Matthias so lange – vertrauensvoll – zusammenarbeiten, weshalb hat Matthias Jana dann nie davon erzählt, dass er mal Mist gebaut und sich mit einer Zeugin eingelassen hat? In einer engen Partnerschaft, in der man aufeinander angewiesen ist, lässt man solche Dinge nicht unerwähnt. Dass der erste Jana-Winter-Fall 2006 ausgestrahlt worden ist, diese Geschichte dieses Filmes aber 2019 spielt, sich der besagte Fall aber zwölf Jahre zuvor abgespielt . Nun ja.

Glücklicherweise ist dies aber auch das einzige Manko, das man diesem durchweg gelungenen Kriminalfilm ankreiden kann, der ganz klassische die Mördersuche in den Fokus des Geschehens setzt. Zwar erlaubt sich die Inszenierung einige kleinere persönliche Noten, doch im Grunde kommt Natalia Wörner kaum aus ihrem Mantel heraus, denn ihre Jana Winter hat zwar nur einen echten Verdächtigen, doch der ist eben nur das: Verdächtig!

Der Verdächtige ist besagter Plessner, der in einer kleinen Flensburger Werft untergekommen ist und als Schweißer arbeitet. Außer seinem Chef weiß niemand etwas von seiner Vergangenheit als Sträfling und – vermeintlicher? - Kindermörder. Tatsächlich hat Plessner in all den Jahren im Gefängnis den Mord nie zugegeben und auf seine Unschuld behaart. Ja, er hatte nach seiner Haftentlassung Kontakt zu Nicole, das gibt er offen zu. Er hat ihr aufgelauert, wollte mit ihr reden. Aber nur aus einem Grund: Um zu erfahren, warum sie vor Gericht gelogen hat.

Wohltuend professionell


An diesem Punkt der Geschichte unterscheidet sich «Unter anderen Umständen – Über den Tod hinaus» wohltuend von anderen ZDF- und ARD-Kriminalfilmen, die allesamt dazu neigen, in Momenten, in denen Hauptfiguren persönlich in eine Ermittlung involviert sind, eben diese Hauptfiguren emotional-irrational reagieren zu lassen (siehe dazu etwa die Kritik zu «Ostfriesengrab», einem Film, der es in Bezug auf solch ein idiotisch-irrationales Handeln schier eine unsägliche Meisterschaft erlangt). Ja, Matthias geht Plessner ziemlich hart an bei seiner Befragung. Aber nicht nur Jana hält eine professionelle Distanz – schließlich muss auch Matthias einsehen, dass er sich nicht weiter von persönlichen Gefühlen treiben lassen darf. Er hat mit seinem Solotrip bereits die Schraube des Erlaubten überdreht. Statt dessen begeben sich Jana und Matthias auf eine gemeinsame Reise in die Vergangenheit. Sie nehmen im Rahmen ihrer aktuellen Ermittlungen den Fall des verschwundenen Mädchens noch einmal auf und besuchen all die Menschen, die mit diesem Fall in Verbindung standen. Die Eltern, die Zeugen. Denn bei allen Verdachtsmomenten gegenüber Plessner: An der Leiche von Nicole findet sich seine DNA nicht.

Die Inszenierung braucht keine künstlich erzeugten Spannungsmomente, um die Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer bei Laune zu halten. Vielmehr ergibt sich die Spannung aus den Charakteren heraus, die allesamt ihre kleinen Geheimnisse pflegen. Diese gilt es zu ergründen. Und das geschieht. Mit Ruhe. Mit Sachlichkeit. Ohne Hektik. In ihrer gesamten Tragik.

Gute Musik


Eine besondere Atmosphäre erzeugt in diesem eher schmal budgetierten Thriller – meist agieren Personen in übersichtlichen, geschlossenen Räumen miteinander – der Soundtrack von Matthias Weber. Deutsche TV-Produktionen und ihre Musik, das ist nicht selten eine Geschichte voller Missverständnisse und Traurigkeit. Während deutsche Filmmusiker wie Hans Zimmer, Klaus Badelt, Reinhold Heil oder Ramin Djawadi Hollywood beherrschen, tröpfelt deutsche Filmmusik für deutsche Produktionen nicht selten durchs Trommelfell, ohne auch nur den Hauch eines (positiven) Eindrucks zu hinterlassen. Matthias Weber, der auch diverse «Wilsberg»-Krimis musikalisch unterlegt hat und zuletzt für den durchaus anhörbaren Soundtrack der Serie «Das Boot» die Verantwortung trug, erschafft vor allem im Prolog eine unheimliche Atmosphäre, die eher an einen Horrorfilm denn an einen deutschen Kriminalfilm erinnert. Diese dunkle Tonalität behält er über die gesamte Spielzeit bei. Seine Musik ist ein Schatten, der sich über das Geschehen legt und der nichts Gutes erahnen lässt. Dabei spielt sie sich nie in den Vordergrund. Sie bleibt eine Untermalung. Im besten Sinne des Wortes.

Fazit: Unterm Strich ist dieser sechzehnte Fall der Jana Winter schlichtweg gelungen. Nur wenige Szenen verbinden dabei diesen Fall mit früheren Filmen; diese bleiben kurze Blinklichter für Fans der Reihe.

Das ZDF zeigt «Unter anderen Umständen – Über den Tod hinaus» am Montag, 2. März 2020 um 20.15 Uhr. Er steht zudem drei Monate lang in der ZDF Mediathek zur Verfügung.

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