Hingeschaut

«Liebe macht blind» bei Netflix: Faszinierend und irritierend zugleich

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In einer neuen Datingsendung sollen sich Singles gegenseitig ihre Liebe gestehen - ohne sich dabei jemals zuvor gesehen zu haben. Mit anderen Worten: Netflix führt eine spannende Idee durch ein radikales Konzept ad absurdum…

Die einen verteilen Rosen oder Krawatten, die anderen versuchen für ihr persönliches Glück, Paare auseinanderzubringen und die ganz Mutigen lernten sich in der Vergangenheit auch schon nackt auf einer Südsee-Insel kennen. Ohne Frage: Das Fernsehen hat in all den Kuppelformaten der letzten Jahre vieles ausprobiert, um Singles vor laufenden Kameras zu Paaren zu machen. Und ja, der Markt an Dating-Sendungen ist hart umkämpft. Auffallen ist also gut, und dieses Kunststück gelingt der Netflix-Sendung «Liebe macht blind» derzeit hervorragend. Ihr Konzept ist nämlich radikal. In der Sendung machen sich Singles einen Heiratsantrag, ohne sich vorher jemals gesehen zu haben. Erst wenn sie verlobt sind, begegnen sie einander zum ersten Mal. Vorab verlieben sie sich also völlig blind.

Klingt absurd? Ist es auch!

Auf den ersten Blick erinnert «Liebe macht blind» ein wenig an «Hochzeit auf den ersten Blick», das seit einigen Jahren in Sat.1 läuft. Bei «Hochzeit auf den ersten Blick» durchlaufen die teilnehmenden Singles vorab zahlreiche Tests und werden daraufhin von Experten zu vermeintlich perfekten Paaren zusammengewürfelt. Diese wissenschaftliche Komponente entfällt bei «Liebe macht blind», stattdessen lernen sich die Singles hier in persönlichen Gesprächen kennen.

Der Clou: Bei den Dates sitzen die Teilnehmer in zwei Räumen, die durch eine undurchsichtige Wand voneinander getrennt sind. Sie hören einander, doch sie sehen sich nicht. Ihre Handys geben die Teilnehmer vor dem Experiment ab, sodass sie sich voll und ganz auf die Stimme und die Gespräche mit ihrem Gegenüber fokussieren können. Befinden sich die Teilnehmer nicht gerade in einem Date, verbringen sie die Zeit zusammen mit ihren gleichgeschlechtlichen Konkurrenten und tauschen sich über das Erlebte aus.

Als Zuschauer der Sendung, die im Original «Love is blind» heißt, erwischt man sich dabei, wie man während der gesamten Zeit irgendwo zwischen Faszination und Irritation schwankt. Keine Frage: Die Grundidee der Sendung ist wirklich gut. Denn das blinde Dating führt dazu, dass Hautfarbe oder physische Merkmale, die sonst womöglich sofortiges Ausschlusskriterium gewesen wären, keine Rolle mehr spielen. Damit ist «Liebe macht blind» die konsequente Gegenreaktion auf Dating-Apps wie Tinder, in denen ein näheres Kennenlernen lediglich vom Profilbild des potentiellen Partners abhängt.

Und dennoch lässt die Sendung die Zuschauer an vielen Stellen irritiert zurück, weil sie in ihren Konsequenzen so radikal ist - und die Teilnehmer dieses Spiel auch mitspielen. „In weniger als 24 Stunden habe ich drei Männer gefunden, mit denen ich mir ein gemeinsames Leben vorstellen könnte“, sagt im Laufe der ersten Folge eine der Teilnehmerinnen. Sätze wie dieser tauchen in der Netflix-Sendung häufig auf. Das klingt schon arg verblendet. Das Aussprechen eines „Ich liebe Dich“ nach wenigen Tagen, gerichtet an eine Person, die man noch nie gesehen hat, deutet auf vieles hin, vermutlich aber nicht auf wahre Liebe.

Abgesehen von den Kategorien Faszination und Irritation verleitet die Sendung tatsächlich zum Weitergucken. Das liegt vermutlich auch am spannenden Cast und an den Geschichten, die sich im Laufe der Zeit ergeben. Sie ziehen den Zuschauer regelrecht ins Geschehen hinein. So fragt sich einer der Teilnehmer, wie sein Date wohl auf seine bisexuelle Vergangenheit reagieren wird. Ein anderes potenzielles Paar treibt die Frage um, ob es womöglich schlimm ist, dass sie zehn Jahre älter ist als er. Und mit der Zeit verschärft sich auch die Lage unter den teilnehmenden Singles des gleichen Geschlechts - schließlich konkurrieren in manchen Fällen gleich mehrere Liebeshungrige um dieselben begehrten Männer bzw. Frauen.

Maximal bietet «Liebe macht blind» seinen insgesamt 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern übrigens zwei Wochen Zeit, um sich blind kennenzulernen. Hat man sich danach mit einem Partner verlobt, geht es in den Urlaub und direkt danach aufs Standesamt - nach gerade einmal einem Monat. Wie viele Tage es noch bis zur Hochzeit sind, blendet Netflix wie bei einer guten fiktionalen Serie fortlaufend ein. Auch rein visuell gibt «Liebe macht blind» durchaus etwas her, die Sendung wirkt wertig produziert und hebt sich schon optisch deutlich ab von deutschen Datingshows.

Fazit: «Liebe macht blind» verfolgt einen spannenden und ehrwerten Grundgedanken, führt diesen durch das radikale Sendungskonzept allerdings völlig ad absurdum. Vermutlich braucht es aber eben jenen Kniff, um in der breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erzielen. Funktioniert hat es bereits: Im Netz und in den Sozialen Netzwerken wird die Sendung kontrovers diskutiert.

«Liebe macht blind» ist ab sofort bei Netflix verfügbar.

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