Die Kritiker

«Im Schatten der Angst»: Serienkiller oder nicht Serienkiller, das ist hier die Frage!

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Hat ein junger Mann einen Mord verhindert, weil er in ein Haus eingebrochen ist? Oder ist dort „nur“ ein Sexspiel außer Kontrolle geraten? Der österreichische Krimi «Im Schatten der Angst» blickt tief in die Abgründe einer dunklen Seele. Aber ist das auch packend?

Cast & Crew

REGIE: Till Endemann
DREHBUCH: Marie-Therese Thill, Rebekka Reuber
DARSTELLER: Justus von Dohnányi, Julia Koschitz, Aaron Friesz, Marie-Christine Friedrich, Johannes Zeiler, Michou Friesz, Johannes Silberschneider, Patricia Hirschbichler, Andreas Patton, Doris Buchrucker
MUSIK: Oliver Thiede
KAMERA: Lars Liebold
PRODUKTION: Thomas Hroch, Gerald Podgoring, Gudula von Eysmondt
90 Minuten
Eine Ko-Produktion von ORF und ZDF
Eine junge Frau, halbnackt, gefesselt auf einer Liege an einem Swimmingpool: Das ist das Bild, das ein junger Mann nach seinem Einbruch in das Haus des Architekten Carsten Spanger vorfindet. Es kommt zu einem Kampf mit dem Architekten. Er verletzt ihn und er befreit die junge Frau aus den Fängen des Mannes.

Die Wiener Polizei ist davon überzeugt, dass Spanger die Frau ermorden wollte. Doch Spanger, ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft, hat eine blütenweiße Weste. Bis zu diesem Tag ist er noch nie wegen irgend einer Gewalttat oder überhaupt wegen irgend eines Deliktes auffällig geworden. Und dieser Mann soll nur durch einen Zufall von einem Mord abgehalten worden sein? Den er darüber hinaus in seinem eigenen Haus begehen wollte?

Der Fall ist weitaus komplizierter als auf den ersten Blick ersichtlich. Spanger nämlich gibt unumwunden zu, in seinem Spiel zu weit gegangen zu sein – in dem Moment, in dem er der jungen Frau den Mund zugeklebt hat. Das hat er getan, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber bis zu diesem Moment sei ihr Spiel eben ein solches gewesen: Eine sexuelle Fantasie. Das kann man irritierend finden, illegal ist das nicht. Nun wäre es ein Leichtes, Spangers Aussage als Schutzbehauptung abzutun. Das Problem für die ermittelnde Staatsanwaltschaft stellt allerdings die Opferseite dar. Der Einbrecher entpuppt sich als Ex-Freund der jungen Frau, der ihr – indem er ihr eine Ortungs-App auf ihr Smartphone installiert hat – heimlich gefolgt und daher de facto ein Stalker ist. Und die Aussage des Opfers lässt ebenfalls Zweifel daran aufkommen, dass Spanger ihr ein größeres Leid antun oder sie gar ermorden wollte, denn tatsächlich hat sie sich freiwillig entkleidet und fesseln lassen...

Auftritt Karla Eckhardt. Die forensische Psychiaterin soll sich mit dem Architekten unterhalten. Sie soll herausfinden, ob er sich die Geschichte so zurechtbiegt, wie er sie braucht, um unbeschadet aus eben dieser Geschichte wieder herauszukommen – oder ob er möglicherweise tatsächlich unschuldig ist.



Tolle Ausgangssituation
Die Ausgangssituation von Till Endemanns Psychodrama ist nicht uninteressant. Basierend auf einem Drehbuch von Marie-Therese Thill und Rebekka Reuber erschafft Till Endemann Bilder, die auf dem ersten Blick nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lassen. Da ist auf der einen Seite das Opfer und seine Angst. Auf der anderen Seite ist derweil der Architekt, der sich am Anblick der jungen Frau ergötzt. Hauptdarsteller Justus von Dohnányi porträtiert Spanger jedoch nicht als einen irren Messerfetischisten, wie ihn vielleicht ein amerikanischer Slasherfilm darstellen wurde.

Spanger ist ein Bonvivant. Ein Mann, der sich mit einem guten Wein und schöner Musik zur Untermalung der Szenerie auf eine Chaiselongue niederzulassen vermag, um sich ein Bild nicht nur anzuschauen, sondern ganz und gar in seiner Schönheit zu versinken. Nur das dieses Bild nicht auf einer Leinwand existiert. Das alles wirkt so bizarr und letztlich krank, dass das Urteil über Spanger gefällt ist, bevor die Zuschauer überhaupt seinen Namen kennen: Dieser Typ ist schuldig.

Doch dann gibt es Zweifel. Nicht nur, da das Opfer und ihr Retter nicht ganz das sind, was man anfangs glaubt. Auch das erste Gespräch, das er mit Karla Eckhardt führt, lässt Zweifel aufkommen. Keine Frage: Dieser Mann ist ein Narziss. Er ist über alle Maßen selbstverliebt, er ist in einer unangenehmen Art und Weise von sich eingenommen, dass wenig bis gar nichts an diesem Mann sympathisch wirkt. Aber Narzissmus ist kein Verbrechen. Und Karla Eckhardt, der forensischen Psychiaterin, mag es gelingen, ihm klarzumachen, dass sie die Frau mit den Schlüsseln für die Handschellen ist und sie entscheidet, ob er sich in seiner Zelle frei bewegen darf oder nicht. Das aber schüchtert ihn nicht ein. Nein, es ist offensichtlich, dass er von dieser Frau eher angetan ist.

Parallelen – aber nur in der Ausgangssituation
«Im Schatten der Angst» bietet mit Justus von Dohnányi und Julia Koschitz zwei Hauptdarsteller auf, die ihre Rollen souverän zu tragen wissen. Und jene Momente, in denen sie in diesem Film direkt aufeinandertreffen – zwei Menschen in einem Raum, die reden und sich dabei belauern – die besten Momente dieser Rededuelle erinnern punktuell an Claude Millers brillanten Thriller «Das Verhör» aus dem Jahr 1981. Basierend auf John William Wainwright Roman „Gehirnwäsche“ ist «Das Verhör» im Grunde ein Kammerspiel, in dem sich zwei Männer in einem Raum gegenübersitzen. Auf der einen Seite ein Polizist, der zwei Mädchenmorde aufzuklären hat. Und auf der anderen Seite ein Anwalt, der die Leiche eines dieser Mädchen gefunden hat. Beginnt der Kommissar das Gespräch zunächst informell – es geht um einige äußere Umstände des Leichenfundes, die er fürs Protokoll geklärt haben möchte -, entwickelt sich zwischen den beiden Männern bald ein regelrechter Krieg. Der Kommissar ist nämlich davon überzeugt, sein Gegenüber sei in Wahrheit der Mörder – während der Anwalt dies vehement bestreitet, sich aber gleichzeitig in Widersprüchen verwickelt. Der Clou: All die Widersprüche sind durchaus erklärbar und so stellt die Inszenierung konsequent die Frage – was, wenn dieser Mann unschuldig und nur das Opfer eines fürchterlichen Missverständnisses ist?

Ein Krimi ohne Verbrechen?
Dass «Im Schatten der Angst» mit genau diese Frage spielt, ist zunächst einmal sehr mutig. Der typische ZDF-Kriminalfilm am Montag um 20.15 Uhr beginnt für gewöhnlich mit einem Mord oder doch zumindest einer Situation, die ein Verbrechen ankündigt. Ob die Hauptfigur auf Ermittlerseite nun ein Detektiv ist, eine Polizistin, eine forensische Psychiaterin, das ist eigentlich egal, denn die Fronten sind geklärt: Auf der einen Seite steht ein Verbrechen. Auf der anderen eine Person (oder Institution), die dieses Verbrechen aufzuklären hat.

Doch in «Im Schatten der Angst» gibt es keinen Mord. Es gibt ein Momentum, das zu bestrafen ist. Jenen Moment, in dem Spanger in seinem „Spiel“, wenn man es so nennen möchte, zu weit gegangen ist. Aber wie weit wäre er, wäre er nicht gestört worden, noch gegangen? Ist dieser Mann ein perverser Narziss, der für eine sexuelle Nötigung zu bestrafen ist? Oder wollte er tatsächlich einen Mord begehen?

Die Geschichte gewinnt nun dadurch an Dramatik, dass Spanger bald schon im Verdacht steht, nicht nur ein verhinderter Mörder zu sein. Eine Zufälligkeit setzt Spanger in Verbindung mit mehreren Frauen, die in den letzten Jahren tot aus der Donau gefischt worden sind. All diese Fälle hat niemand bislang miteinander in Verbindung gebracht. Doch plötzlich gibt es da diese eine mögliche Verbindung.

Ist Spanger demnach sogar ein Serienmörder, der nur zufällig entdeckt worden ist?
Oder werden Zufälle miteinander in Beziehung gesetzt, die ihn einer Verbrechensserie beschuldigen, die er gar nicht begangen hat, ja die vielleicht nicht einmal eine solche ist?



Doch nur Routine
Leider klingt das alles viel spannender als es ist, denn es dauert nicht lange, bis «Im Schatten der Angst» recht konventionell seiner Wege geht. Die Unklarheiten darüber, ob die handelnden Ermittler tatsächlich einen Serienkiller jagen – oder ein künstliches Phantom – werden schon bald beseitigt. Ein tatsächlicher Erwartungsbruch – die Zuschauerschaft erwartet halt einen Krimi mit Anfang, Mitte, Ende, - findet nicht statt. Zwar erzeugen die Gespräche zwischen dem Verdächtigen und der forensischen Psychiaterin durch das Spiel der Hauptdarsteller und den ihnen messerscharf in den Mund gelegten Worten einen Nachhall, das aber tröstet nicht darüber hinweg, dass die Geschichte jenseits des Verhörraumes am Ende doch nur brav hinlänglich bekannten Mustern folgt.

Da braucht dann natürlich auch die Psychiaterin ihr kleines Trauma. Die Staatsanwaltschaft muss zu ihrem Ermittlungsglück gezwungen werden, und natürlich ist die Aufklärung des gesamten Falles nur möglich, wenn man die Regeln des Erlaubten bricht. Schlecht ist das nicht. Es ist von Till Endemann visuell ansprechend in Szene gesetzt, Hänger in der Dramaturgie gibt es auch keine. Nur überraschend ist das Endergebnis dann nicht. Es ist solide. Was am Ende dann doch ein bisschen wenig ist.

«Im Schatten der Angst» wird voraussichtlich am Montag, den 16. März, um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.

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