1. «Free Solo» von Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin
Eine wirklich gute Dokumentation ist in der Lage, Interesse, im besten Fall sogar Begeisterung für ein Thema zu schüren, mit dem man bislang keinerlei Berührungspunkte hatte. Damit erfüllt Jimmy Chins und Elizabeth Chai Vasarhelyis «Free Solo» sämtliche Voraussetzungen für einen potenziellen Hit in diesem so oft unterschätzten Genre der Dokumentaton, denn seien wir einmal ehrlich: Wer von uns hat denn bitte bisher den Klettersport und insbesondere dessen besonders risikoreichen Emporkömmling Free Soloing verfolgt? Der Name ist hier Programm: Free Solo wird allein ausgeübt – und mit „allein“ ist nicht bloß gemeint, dass sich die Sportler ohne Kollegen und andere Athleten in schwindelerregende Höhen begeben, sondern sie dabei auf jedwede Sicherung verzichten.
Ergänzt man jetzt auch noch, dass die zu besteigenden Felswände in der Regel senkrecht nach oben ragen, das alles aus physikalischer Sicht also eigentlich gar nicht funktionieren dürfte, und die zu erklimmenden Berge nicht selten die 2000-Meter-Marke übersteigen, erschließt sich einem zu gleichen Teilen die ganze Faszination und der Wahnsinn hinter dem Free Climbing, dem sich Protagonist Alex Honnold verschworen hat. Das Porträt des perfektionistischen Free-Solo-Akteurs ist spannend wie ein Thriller, berührend wie ein Drama, emotional wie eine Romanze und inspiriert ohne Pathos und Kitsch, sodass man am Ende des Films verstehen kann, weshalb Jemand ohne Netz und doppeltem Boden eine 90 Grad steile Felswand hinaufklettern will. Darüber hinaus sprechen die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen für sich.
(Erhältlich auf DVD, Blu-ray und als Stream bei VOD-Diensten)
2. «Diego Maradona» von Asif Kapadia
Der am 30. Oktober 1960 in der argentinischen Provinz Lanús geborene Diego Armando Maradona Franco gehört bis heute zu den Legenden des Fußballsports. Viermal spielte er für sein Land bei der Weltmeisterschaft mit, wurde einmal Weltmeister, einmal Vize-Meister. Der Terminus „Die Hand Gottes“ – ein legendäres Handspiel bei der WM 1986 gegen England – ging dank ihm in die Annalen der Sportgeschichte ein. Doch genau wie sein Ruhm dominierten auch private Eskapaden und sein schleichender Absturz die weltweiten Schlagzeilen. Irgendwann interessierten sich die Leute vor den Fernsehschirmen nicht mehr nur für Maradonas Fähigkeiten als Fußballer, sondern mehr für seinen sukzessive immer rauschhafter werdenden Lebensstil, seine Affären, insbesondere mögliche Kinder, die aus ebendiesen hervorgingen.
Auch seine Verbindungen zur italienischen Mafia, Drogeneskapaden und die verzweifelten Versuche, sich all das auf dem Spielfeld nicht anmerken zu lassen, formten Maradona zu ebenjener tragischen Figur, als die wir den heute 68-Jährigen kennen. „Senna“-Regisseur Asif Kapadia setzt dem einstigen Weltklassesportler Diego Maradona mit dieser gleichnamigen Doku ein filmisches Denkmal und beleuchtet die streitbare Persona angenehm ambivalent. Am Ende kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er den Fußballer als Ausnahmeathleten oder gescheiterte Persönlichkeit in Erinnerung behalten möchte.
(Erhältlich auf DVD, Blu-ray und als Stream bei VOD-Diensten)
3. «Love, Cecil» von Lisa Immordino Vreeland
Cecil Beaton war einer der prägendsten Fotografen seiner Dekade. Er holte sich die ganz Großen vor die Linse, fotografierte die Queen direkt nach ihrer Krönung, fing die schönen Seiten von Schauspiellegenden wie Marilyn Monroe oder Audrey Hepburn ein und machte seinen Bewunderern die optische Faszination für „Rolling Stones“-Sänger Mick Jagger zugänglich. Ganz nebenbei war er als künstlerischer Berater für die Realisierung von Hollywoodfilmen (u.a. «My Fair Lady») tätig und arbeitete für Modemagazine wie Haper‘s Bazaar als freischaffender Porträtfotograf. Vor allem der von ihm an den Tag gelegte dekorative Aufwand, den Beaton unternahm, um das perfekte Foto zu schießen, verhalft ihm zum damaligen Zeitpunkt zu einen von diversen Alleinstellungsmerkmalen und ließ die Liste an Interessierten, die von weit her kamen, um sich von ihm ablichten zu lassen, ins Unermessliche anwachsen. Auch mit seinem Privatleben sorgte Beaton für Schlagzeilen; Sei es durch sein Bekenntnis zur Homosexualität oder durch Gerüchte, Beaton hätte antisemitische Tendenzen, als er in einer Fotokampagne für die US-amerikanische Vogue judenfeindliche Gags unterbrachte, durch die er seinen guten Ruf zeitweise nahezu zerstörte.
All das blendet die bekennend von Beaton faszinierte Regisseurin Lisa Immordino Vreeland («Peggy Guggenheim») nicht aus, doch mit ihrem Dokumentarfilm «Love, Cecil» will sie dem Zuschauer in erster Linie die Faszination für seine Person näherbringen. Dieser Plan geht auf: Am Ende möchte man am liebsten jeden erdenklichen Bildband über Cecil Beaton kaufen und sich seiner ganz persönlichen Auffassung von Schönheit hingeben – wäre er noch am Leben, wäre seine Warteliste nach diesem Film wohl doppelt so lang.
(Erhältlich auf DVD, Blu-ray und als Stream bei VOD-Diensten)
4. «Buck – Der wahre Pferdeflüsterer» von Cindy Meehl
Im Grunde wird die Klassifizierung von «Buck – Der wahre Pferdeflüsterer» der Genreeinordnung „Dokumentation“ nicht ganz gerecht. Vielmehr möchte Regisseurin Cindy Meehl, die mit dem Film 2011 ihr Regiedebüt gab, einen Einblick in die Arbeit des Pferdetrainers Buck Brannaman bieten, die dabei für sich spricht und ohne einen unbeteiligten Off-Kommentar auskommt. Somit wird der Zuschauer zum Beobachter, der anstatt auf dem Reitplatzzaun vor dem Fernseher sitzt und fasziniert dem lauscht, was Brannaman oder seine nächsten Verwandten über seine Arbeit oder ihn zu sagen haben. Dabei konzentriert sich vor allem die erste Hälfte des Films ganz auf das Leben und die bewegte Vergangenheit des Hauptdarstellers selbst. In der zweiten Hälfte geht es dann hauptsächlich um die Arbeit mit dem und am Pferd. Der Reiter zeigt Lösungsansätze für Probleme auf, die hierzulande kaum Verbreitung finden. Er verknüpft sogar aktuelle Themen wie die im Spitzensport hoch umstrittene Rollkur mit seiner traditionsreichen Arbeit und bringt sie immer wieder in Verbindung mit der Denkweise des Pferdes und des Menschen.
Der Film ist gespickt mit Weisheiten, die der Protagonist beiläufig von sich gibt und sie dem Publikum dementsprechend nicht einfach nur eintrichtern möchte. Vielmehr lässt er die Zuschauer sich das herauspicken, was er für sich und seinen eigenen Lebensweg gebrauchen kann. Und das gilt längst nicht nur für Reiter. «Buck – Der wahre Pferdeflüsterer» ist zu gleichen Teilen ein Film über Menschen, Pferde und Pferdemenschen – und entsprechend auch für jeden etwas, selbst wenn er mit den edlen Tieren überhaupt nichts am Hut hat.
(Erhältlich als DVD und als Stream bei VOD-Diensten)
5. «Jean Paul Gaultier: Freak & Chic» von Yann L'Henoret
Jean Paul Gaultier gilt bis heute als einer der bemerkenswertesten Modeschöpfer unserer Zeit. Mit seiner prunkvollen „Fashion Freak Show“, einem exzentrischen Mix aus Modenschau, Varieté, Zirkus und Tanzdarbietung, hat er rund um den Erdball für Aufsehen gesorgt. Auch außerhalb des Modebusiness. Die Entstehung dieses glamourösen Events, mit dem Gaultier und sein Team bis heute durch die Welt touren, dauerte über zwei Jahre. Nun lässt der Designer seine Zuschauer regelmäßig in ein provokatives Universum eintauchen, das dem Publikum auch die Persona Jean Paul Gaultier selbst ein Stück weit näherbringen soll. Mit seinen visionären Designs, high-style Choreographien, pulsierender Musik, extravaganten Kostümen und einer aufwändigen Inszenierung lotet der Meister die Grenzen der Modeszene aus. «Jean Paul Gaultier: Freak & Chic» begleitet den Modeschöpfer und sein Team bei der zweijährigen Vorbereitung der sogenannten „Fashion Freak Show“ und gibt neue Blicke auf das Verständnis für Mode und Schönheit, aber auch auf das Leben Jean Paul Gaultiers selbst frei. Nicht nur für Modeliebhaber ein Must-See!
(Demnächst im Kino)
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