Weiterführende Artikel
Die Vorab-Erwartungen waren durchaus hoch. Seitens Disney-Fans, da sie sich von einer disneyzentrischen Dokuserie auf einem Disney-Streamingdienst eine ausführliche, passionierte Präsentation von Fakten und historischen Aufnahmen erhofft haben. Und seitens der Gelegenheits-Themenparkinteressierten, weil sich Regisseurin Leslie Iwerks als Dokumentarfilmerin bereits einen Namen gemacht hat: Die Enkeltochter von Walt Disneys engem Freund und Micky-Maus-Urzeichner Ub Iwerks drehte zuvor mehrere sehr positiv besprochener Öko-Dokus und auch die filmhistorischen Dokus «The Hand Behind the Mouse: The Ub Iwerks Story», «The Pixar Story» und «Industrial Light & Magic: Creating the Impossible».
Und obwohl ihre Film-Dokus in enger Zusammenarbeit mit Disney respektive Pixar respektive ILM entstanden sind, wurden sie gemeinhin als informative Einblicke ohne werbend-fluffigen Charakter gelobt. Das setzte unweigerlich die Messlatte für «Die Imagineering Story» sehr hoch an: Einerseits hat «Die Imagineering Story» die Gelegenheit, früh einen sich nicht selbst übermäßig beweihräuchernden Tonfall für Disney-Selbstbetrachtungen auf Disney+ vorzugeben, andererseits kann eine rund sechsstündige Dokumentation aus naheliegenden Gründen deutlich mehr Fakten vermitteln als Iwerks' frühere Film-Dokus.
Zumindest die ersten beiden Episoden von «Die Imagineering Story» werden diesen Hoffnungen und Erwartungen auch vollauf gerecht: In den ersten beiden Stunden ihrer Disney-Dokumentation skizzieren Leslie Iwerks und Autor Mark Catalena die Entstehung der Grundidee hinter Disneyland nach, nehmen exemplarisch die Entwicklung verschiedener prägender Attraktionen in den Fokus, reißen Walt Disneys Einfluss auf die Weltausstellung 1964 an und blicken ausführlich darauf, in welches Tief der Konzern gestürzt ist, als Walt Disney starb. «Die Imagineering Story» blickt darauf, wie ambitionierte Pläne verworfen werden, verzweifelt um Besucher gerungen wird und wie sich Disneys Themenparksparte an wandelnde und internationale Geschmäcker anpassen muss.
Dies erfolgt zugleich mit einer intensiven, spürbaren Passion für die Thematik als auch mit einer soliden journalistischen Distanz – «Die Imagineering Story» ist kein XXL-Werbespot für Disneys Touristik-Attraktionen. Blickt man auf die wirklich sehr lange Geschichte an von Disney produzierten Reportagen, "Reportagen" und Hinter-den-Kulissen-Berichten über seine eigenen Themenparks, siedelt sich «Die Imagineering Story» am anderen Endpunkt einer Skala an, die mit Walt Disneys idealisierten Märchen über sein eigenes Schaffen beginnt. Selbstredend ist «Die Imagineering Story» kein Dreck aufwühlender Enthüllungsbericht, sondern ein ausführlicher, ebenso emotionaler wie lehrreicher Abriss einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte, dennoch spart Iwerks Fehlentscheidungen, Tiefschläge und schlecht gealterte Einstellungen keineswegs aus.
Darüber hinaus erstaunt «Die Imagineering Story» mit regelrechten Meisterleistungen in Sachen Bild-, Audio- und Video-Restauration: Aufnahmen und Archivbilder aus Walt Disneys Lebzeiten werden hier auf Hochglanz poliert präsentiert, ohne dass sie dadurch völlig gekünstelt und leblos wirken. Es ist das Lebendigmachen von Themenpark-Historie und zugleich das Setzen neuer Restauration-Standards. Doch einen großen Wermutstropfen gibt es sehr wohl, wie ein Blick auf die US-Rezeption verrät:
Das Niveau der ersten beiden Episoden hält «Die Imagineering Story» nicht bis zum Schluss aufrecht. Die letzte Episode, und somit die Folge, die aktuelle Attraktionen thematisiert, eignet sich auf den abschließenden Metern den vereinfachenden und werbenden Tonfall an, den «Die Imagineering Story» sonst vermeidet. Das macht die ersten Stunden dieser Wissens-Zeitreise nicht null und nichtig – aber es ist ein Minuspunkt, der vermeidbar gewesen wäre. Vielleicht ordnet eines Tages eine Disney+-Doku über Disney+ dies in seiner ersten Episode ähnlich ein ..?
«Die Imagineering Story» ist auf Disney+ abrufbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel