Serientäter

«Vampires»: Vampire in der französischen Vorstadt mit Beißhemmungen

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Ohne nennenswerte Vorankündigung hat Netflix eine neue Vampirserie gestartet. Dieses Mal ist die französische Hauptstadt Paris der Hotspot der sich durch den Untergrund bewegenden Nachtwandler. «Vampires» lautet der wenig originelle Titel des Sechsteilers, der versucht, einige Dinge anders zu machen als andere Vampirserien. Aber ob das immer gelingt?

Cast & Crew

  • Showrunner: Benjamin Dupas, Isaure Pisani-Ferry
  • Regie: Vladimir de Fontenay, Marie Monge
  • Autoren: Benjamin Dupas, Isaure Pisani-Ferry, Sylvie Chanteux, Anne Cissé, Charlotte Sanson
  • Musik: Jerôme Echenoz
  • Darsteller: Oulaya Amamra, Suzsanne Clément, Mounir Amamra, Kate Moran, Juliette Cardinski, Pierre Lottin, Dylan Robert, Aliocha Schneider
Schon die Einführung entzaubert den Vampirmythos. Eine Genmutation ist für das Entstehen des Vampirismus verantwortlich, heißt es da. Kein Teufel, keine gefangenen Engel. Nach dem Ausbruch einer Pestepidemie, so wird es im Verlauf der Handlung irgendwann weiter erklärt, waren einige Überlebende nicht mehr in der Lage, normales Essen bei sich zu behalten. Lediglich Blut konnte ihren Hunger stillen. Auch kann ihre Haut kein Sonnenlicht mehr absorbieren. Daher leben sie in der Dunkelheit. Der einzige positive Nebeneffekt der Mutation: Ihr Alterungsprozess verläuft extrem langsam. Sie sind nicht unsterblich, aber sie können sehr, sehr alt werden.

So wie die 1774 geborene Martha Radescu (Suzanne Clément), die Matriarchin des in der französischen Hauptstadt lebenden Radescu-Clans. Sie und ihre Kinder sind Ausgestoßene, denn sie haben sich gegen die Gemeinschaft der Vampire gewandt. Diese Gemeinschaft lebt im Untergrund, im Geheimen, trinkt Tierblut und versucht so unauffällig wie möglich zu existieren. Darin unterscheidet sich die Gemeinschaft nicht von Marthas Familie. Aber Martha macht Csilla Nemeth (Kate Moran), die Tochter der ältesten und damit einflussreichsten Vampirin der Stadt, für das Verschwinden ihres Ehemannes verantwortlich. Obwohl sie keinen Beweis für dessen Tod hat, geht sie davon aus, dass Csilla ihren Ehemann hat ermorden lassen. Der war nämlich ein Mensch, ein Genetiker - und offenbar gefiel Csilla weder, dass ein Mensch ihrer Gemeinschaft nahe kam noch dass dieser sich als Genetiker mit dem mutationsbedingten Wesen des Vampirs auseinandersetzte.
Nun lebt Martha weitestgehend auf sich gestellt mit ihren vier Kindern in einer Banlieu. Da sind Rad (Pierre Lottin) und Irina (Juliette Cardinski) aus ihrer ersten Ehe. Sowie Andrea (Mounir Amamra) und Doina (Oulaya Amamra), ihre Kinder aus der zweiten Ehe. Rad und Irina sind äußerlich Frühdreißiger.

Wie alt sie in Wahrheit sind, wird zwar nie explizit gesagt, in einem Dialog aber erwähnt Irina, ihre Mutter würde seit 70 Jahren behaupten, ihr Vater Piotr sei ein Mistkerl gewesen. Andrea und Doina indes sind tatsächlich jung. Andrea ist Anfang 20, Doina 17. Vor allem aber sind sie etwas Besonderes: Sie können sich aufgrund ihrer halb-menschlichen Herkunft im Sonnenlicht bewegen.

Das Strecken der Handlung


Das ist also die Ausgangssituation der Serie. Da existiert eine Gemeinschaft auf der einen Seite im Untergrund, auf der anderen Seite sind da die Verstoßenen. Es überrascht nicht, dass sich der Fokus der Geschichte auf Doina richtet, die als Jugendliche eh ihren Platz in der Gesellschaft suchen muss und nun natürlich vor der besonderen Herausforderung steht, auch noch ihr bsonderes Geheimnis vor der Welt verbergen zu müssen.

Wer nun jedoch eine Mischung aus «Kindred – Clan der Vampire» und «Twilight» erwartet, wird allerdings enttäuscht. Okay, vielleicht ist es auch ziemlich beruhigend zu erfahren, dass die Fokussierung auf eine junge Halb-Vampirin nach ihrem Platz in der Gesellschaft ohne der aus «Twilight» bekannten Schwülstigkeit und Weichzeichner präsentiert wird. Nein, solche Stilmittel gibt es in dieser Serie nicht. Dafür ist sie viel zu sehr in der Gegenwart beheimatet. Hier ist nichts fantastisch. Doch bedauerlicherweise ist «Vampires» auch ein Beweis dafür, dass der Bruch mit Konventionen nicht unbedingt auch automatisch Interesse generieren muss. Das Interesse bleibt nämlich dann aus, wenn die Inszenierung vergleichsweise starr bleibt, die Figuren einfach nicht rocken wollen und die Handlung dann noch gestreckt werden muss, um überhaupt die gerade einmal sechs Episoden mit Spielzeit zu füllen.

So soll zunächst ein Blick auf die Außenhandlung gerichtet werden: Das Clan-Wesen. 1996 brachte es die kanadisch-amerikanische Serie «Kindred – Clan der Vampire» bedauerlicherweise auf nur acht Episoden. «Kindred» kam vermutlich einfach zu früh, denn «Buffy – Im Bann der Dämonen» startete erst im Herbst 1997 und trat zumindest eine kleine Welle von ähnlich gelagerten Serien los, in der «Kindred» möglicherweise ein längeres Leben beschieden gewesen wäre. «Kindred» warf seinen Blick ebenfalls auf eine von verschiedenen Clans geprägte Vampirwelt, die gleichfalls im Verborgenen existiert. Sie war eine faszinierende, geschmackvoll ausgestattet Serie, die sich in erster Linie auf das oft von Machtspielen und anderen Intrigen geprägte Leben der Clans fokussierte, dabei aber inszenatorisch in der Gegenwart verhaftet blieb. «Kindred» befreite sich vom Look klassischer Vampirfilme. Zwar zitierte sie durchaus Klassiker wie «Nosferatu», aber das waren eher respektvolle Verbeugungen, die für die Handlung nur wenig Relevanz besaßen. So gelang «Kindred» die Übertragung des klassischen Vampirmythos in die Gegenwart noch vor «Buffy», weshalb sie unter Hardcore-Genrefans bis heute, trotz ihrer frühen Absetzung, einen exzellenten Ruf genießt.

Falsches Genre


Wo «Kindred» jedoch das Genre der Seifenoper küsste – versucht sich «Vampires» als Sozialdrama. Schon der Spielort, eine Pariser Vorstadt, gibt die Richtung vor. Der Clan der Radescus lebt alles andere als glamourös. Tatsächlich hat sich die Mutter mit ihren Kindern in ein ziemlich abgewracktes Kellergeschoss eines Viel-Parteienhauses zurückgezogen, wo sie zwar über vergleichsweise viel Platz verfügen, aber – ihr Zuhause ist ziemlich heruntergekommen. Marthas Sohn Rad arbeitet schwarz in einem Schlachthaus und kann die Familie daher mit dem notwendigen Blut versorgen. Tochter Irina hält durch ihren Körpereinsatz Rads Chef bei Laune. Doina wiederum versucht in ihrer Brennpunktschule nicht weiter aufzufallen, denn dort wird sie als illegale Einwanderin geführt. Wie ihre älteren Geschwister und ihre Mutter existiert sie für den französischen Staat letztlich nicht. Allein ihrer Bruder Andrea besitzt einen aktuellen französischen Pass und ist daher der eine, der sich tatsächlich vollkommen frei bewegen kann. Und so kommt es zum ersten Kontakt von Marthas Clan zum Clan der Nemeths nach vielen Jahren der gegenseitigen Abneigung durch Irina: Die Nemeths besitzen die Ressourcen, um das Leben ihrer Gemeinschaftsmitglieder zu legalisieren. Sprich: Irina möchte endlich wieder einen Pass, denn basierend auf ihrer letzten offiziellen Identität wurde sie 1960 geboren. Für eine 60-jährige Frau sieht sie dann aber doch 30 Jahre zu jung aus. Das Problem: Martha macht Csilla nicht nur für den Tod ihres Mannes verantwortlich – sie hat Csilla während eines Kampfes auch das Gesicht verbrannt. Dass diese Csilla also auf Martha nicht wirklich gut zu sprechen ist, überrascht nicht.

Zwar beginnt die Serie mit eben genau diesem Kampf zwischen Martha und Csilla, dann aber tritt dieser sehr entscheidende Konflikt erst einmal in den Hintergrund, indem nun Doina in den Mittelpunkt gerückt wird. Die verliebt sich nämlich in einen hübschen Mitschüler – hach, die Liebe zwischen einem Menschen und einer Vampirin... ist leider selten langweiliger als in dieser Serie dargestellt worden, denn eine Geschichte lebt davon, dass Funken fliegen. Doch hier fliegt nichts, die Geschichte, diese heimliche Begierde, die Doina für ihren Mitschüler empfindet, dient nur dazu, einmal über das Thema Außenseitertum bedeutsam sprechen zu dürfen. Besagter hübscher Jüngling kann seit einem Unfall nämlich nicht mehr ohne Krücken laufen. Was ihn einige Zeit lang zu einem Außenseiter in einem Umfeld wie dem der Schule in der Banlieu gemacht hat. Aber da er sich davon nicht hat unterkriegen lassen und so ein paar Weisheiten an Doina weitergeben kann, wäre das mit dem Außenseitertum also geklärt. Kopf hoch, das Leben geht weiter und die Serie zieht sich weiter in die Länge.

Tatsächlich wird viel geredet. Aber echte Emotionen bleiben lange Zeit ebenso behauptet wie tatsächliche Spannung. Dass die Figur der Martha, obwohl doch als Mutter der Familie, in einer von gerade einmal sechs Episoden nicht einmal einen einzigen Auftritt absolviert, spricht Bände für die Zerfahrenheit der Inszenierung, die nie so ganz genau weiß, in welche Richtung sie sich denn nun bewegen möchte.

Das eigentliche emotionale Zentrum


Mal steht Doina derart dominierend im Mittelpunkt des Geschehens, dass fast alle anderen Figuren in Vergessenheit geraten. Dann plötzlich wird Andreas Suche nach seinem Vater in den Mittelpunkt gerückt. Andrea glaubt nämlich nicht, dass sein Vater ermordet wurde. Welche Anhaltspunkte er dafür hat, wird aber nie wirklich offengelegt. Das gilt übrigens auch für die Anhaltspunkte, die Martha glauben lassen, er sei tot. Und dann gibt es auch mal einen Blick in das Innere des Nemeth-Clans, der zwar eine gewisse Machtposition innehat, aber letztlich auch nicht in einem Schloss á la Versailles residiert, sondern im Grunde mehr Schein als Sein präsentiert. Vielleicht war der Clan mal eine bedeutende Familie in einer Zeit vor der Industrialisierung, bevor eine bürgerliche Gesellschaft entstand. Tatsächlich lebt man von seinem einstigen Glanz, der längst Grünspan angesetzt hat. Diese Demontage der im geheimen agierenden Gesellschaft kann durchaus punkten, denn in dem Moment, in dem es wirklich um die Gesellschaft der Vampire geht und ihr Selbstverständnis der Realität, in der sie leben, gegenübergestellt wird, da gelingt es «Vampires» dann tatsächlich echtes Interesse zu erzeugen. Wie überlebt eine in überkommenen Denkmustern gefangene Gemeinschaft eigentlich in einer modernen Gesellschaft? Leider wird dieser interessante Gedanke erst gegen Ende dieser ersten Staffel tatsächlich aufgegriffen und dann leider auch nur in einer kleinen Nebenhandlung.

Das große Scheitern


«Vampires» scheitert letztlich auf so vielen Ebenen, dass es schmerzt. Etwa auf der Ebene der Emotionalität. Nicht nur Doinas heimliche Sehnsucht bleibt behauptet, auch Marthas bedingungslose Mutterliebe kann nicht überzeugen – vor allem aufgrund der Tatsache, dass ihr Hass auf den Clan der Nemeths letztlich jede Grundlage fehlt. Wo sind die Beweise, dass diese ihren Mann ermordet haben? Gefühle sind eben keine Fakten, diese Gefühle aber bestimmen durchweg Marthas Handeln. Das macht sie vielleicht zu einer Getriebenen, aber längst nicht zu einer verantwortungsvollen Matriarchin. Vielleicht soll das ja einen bewussten ein Bruch mit Konventionen darstellen – sind es doch eher die Männer, die emotional glaubhaft agieren. Andreas Suche nach seinem Vater ist tatsächlich nachvollziehbar. Er stellt nämlich genau die entscheidende Frage: Wo ist der Beweis für einen Mord, wenn es nicht einmal eine Leiche gibt? Im Grunde ist Andrea das emotionale Zentrum der Serie. Allerdings wird er immer wieder in die zweite Reihe gestellt, weil sich die Autoren nun einmal zum Ziel gesetzt haben, Doina als Hauptfigur darzustellen, gefolgt von ihrer Mutter. Dabei ist es immer und immer wieder Andrea, der die Geschichte des verschwundenen / ermordeten Vaters weiterverfolgt und dadurch die Geschichte voranbringt – wenn die anderen Figuren gerade wieder planlos umherstolpern.

Durch Schauwerte lässt sich dies alles nicht ausgleichen, denn Schauwerte gibt es keine. Die Inszenierung erinnert eher an ein französisches Sozialdrama, bei dem die Kamera auf den Figuren klebt. Spezialeffekte, die vielleicht ein wenig kaschierend einspringen könnten, gibt es ebenso wenig. Allein die Musik von Jerôme Echenoz, einem Musiker, der seine Karriere mit House Music begann, setzt einige Akzente und erinnert in ihren besten Momenten an klassische Horrortracks eines John Carpenters. Leider aber bieten ihm die eher langweiligen Bilder selten die Möglichkeit, mehr als eine begleitende Musik über die Szenerie zu legen.

Kurz vor Schluss


Auf den allerletzten Metern, da gelingt der Geschichte ein wirklich überraschender Coup. Mit einem echten WTF-Moment verabschiedet sich die erste Staffel und kreiert einen wirklich grandiosen Cliffhanger. Ob der jedoch jemals aufgelöst werden wird? Nach sechs Episoden blutenleeren Vampirgebeiße, das eher zum sanften Dahinschlummern einlädt als zur Wiederholung eines Binge-Marathons in der Blutsaugergemeinschaft einer französischen Vorstadt, ist dies eher zu bezweifeln.

«Vampires» ist auf Netflix verfügbar.

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