Die Kritiker

«Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie»: Dieses Kind braucht dringend Hilfe

von

Autsch. Die Disney+-Krimikomödie «Timmy Flop» beginnt ganz lustig – und wird nach und nach zu einer Geduldsprobe.

Filmfacts «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie»

  • Rege: Tom McCarthy
  • Produktion: Alexander Dostal, Tom McCarthy, Jim Whitaker
  • Drehbuch: Tom McCarthy, Stephan Pastis; basierend auf den Kinderbüchern von Stephan Pastis
  • Cast: Winslow Fegley, Ophelia Lovibond, Craig Robinson, Wallace Shawn
  • Musik: Rolfe Kent
  • Kamera: Masanobu Takayanagi
  • Schnitt: Tom McArdle
  • Laufzeit: 99 Minuten
Regisseur Tom McCarthy ist schon ein sonderbarer Fall: 2014 inszenierte er den von der Kritik in der Luft zerrissenen Klamauk-Schmalzfilm «Cobbler – Der Schuhmagier» mit Adam Sandler als Held des kleinen Mannes. Im Jahr darauf reichte er das Journalismus-Drama «Spotlight» nach, das den Oscar als bester Film erhielt – und seine erste Film-Regiearbeit seither ist das Disney+-Original «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie», die Realfilmadaption einer US-Kinderbuchreihe über einen Knirps mit übertrieben großer Fantasie und einem Faible für Detektivarbeit. Geht man nach dem US-Presseecho ist dies aber kein all zu großer Absturz: «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» wird gemeinhin als das beste Disney+-Original zelebriert. Eine Meinung, die der Verfasser dieser Zeilen ganz und gar nicht vertritt …

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Timmy Flop (Winslow Fegley) – elf Jahre alt, felsenfest davon überzeugt, ein genialer Detektiv zu sein und unfassbar schlecht in der Schule. Gemeinsam mit seinem Kanzleipartner, einem imaginären Eisbären, löst er Fälle in der Nachbarschaft. Naja, er versucht es zumindest. Denn weder kommt er darauf, wer einem Mitschüler den Rucksack geklaut hat, noch hat er eine Lösung dafür parat, weshalb das Klassenmaskottchen Hammy Ham, der Hamster das Zeitliche gesegnet hat. Trotzdem – oder gerade deshalb – hält der stets den Segway seiner Mutter (Ophelia Lovibond) entwendende Junge seinen Lehrer (Wallace Shawn) und den neuen Freund seiner Mutter (Kyle Bornheimer) ordentlich auf Trab …

Der erwachsene Cast von «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» macht seine Sache gut: Ophelia Lovibond überzeugt vollauf als überreizte Mutter mit Laissez-faire-Mentalität, Wallace Shawn grantelt sich ebenso routiniert wie effektiv durch seine Szenen und «Das ist das Ende»-Star Craig Robinson ist als einfühlsamer, aufgeweckter Vertrauenslehrer eine echte Sympathie-Kanone. Auch eine Punker-Bibliothekarin und ein übertrieben freundlicher Hilfspolizist runden das geerdet-kauzige Portfolio an erwachsenen Figuren ab, die sich durch diese hübsch fotografierte, dennoch markant-urbane Vision Portlands bewegen. Und Komponist Rolfe Kent («Young Adult») untermalt das Geschehen mit einem verspielten Score voller Referenzen auf klassische Detektivfilmusiken.

Das elementare Problem an «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» liegt ganz woanders: Bei der Hauptfigur und darin, wie sehr der Film ihr zu Füßen liegt. Winslow Fegley spielt den Möchtegern-Schnüffler zwar vollkommen annehmbar, doch Skript und Erzählhaltung sorgen dafür, dass aus der anfangs liebenswürdigen Figur sukzessive ein unausstehliches Balg wird.

Ein Elfjähriger, der sich einredet, ein Meisterdetektiv zu sein. Das lässt sich auf mannigfaltige Art und Weise durchziehen – er könnte "das eine Fragezeichen" sein und es tatsächlich faustdick hinter den Ohren haben. Er könnte analog zu vielen Interpretationen von «Nancy Drew» oder den «Hardy Boys» ganz schön aufgeweckt sein, doch schlussendlich halt nur ein Kind, das sich primär Fällen widmet, die sich auch auf kindlichem Niveau abspielen. Oder man generiert Witz und Charme daraus, dass Timmy seine Sache super ernst nimmt, aber letztlich nur ein spielendes, kleines Kind ist.

Genau so steigt Tom McCarthy noch in den Film ein: Timmy streift durch Portland, spricht Memos in sein altes Diktiergerät, dessen Audio-Wiedergabequalität unter aller Sau ist, und während er den Sprachstil alter Film-noir-Privatschnüffler imitiert und mit kühlem Blick den Tatort inspiziert, übersieht er mehrmals die Lösung eines Falles, die jeden oberhalb seiner Altersklasse anspringen würde.

Das hat für das erste Drittel von «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» Charme und Witz zugleich: Das jüngste Publikum bekommt einen kindlichen Filmhelden präsentiert, der Fälle annimmt, die einer kindlichen Lebenswirklichkeit entsprechen (gestohlene Rucksäcke, verstorbene Kleintiere), und dabei mit der Gravitas eines "echten" Detektiven angepackt wird. Gleichzeitig sprühen (nicht nur, aber vor allem für das ältere Publikum) nur so die Pointen, wenn Timmy sich deutlich mehr darauf konzentriert, wie ein Detektiv zu wirken, als darauf, tatsächlich Kombinationsarbeit zu leisten.

Und auch Timmys überbordende Vorstellungskraft sorgt in Kombination mit seiner kindlichen Naivität zunächst für so manche skurrile, pointierte Spielerei. Seine Tagträume, in denen er sich beispielsweise vorstellt, wie schockierte Tierärzte einen Hasen behandeln, dem die Glückspfote entwendet wurde, oder wie eine von ihm missachtete Mitschülerin hinter einem riesigen Zensurbalken verschwindet, machen ihn zu einer Art Juniorversion von J.D. aus «Scrubs – Die Anfänger». McCarthy setzt diese Tagträume und inszenatorischen Spielereien zudem gezielt und mit flottem Timing ein. Auch Timmys imaginärer bester Freund und Ermittlungspartner, ein klobiger Eisbär, sorgt oftmals im Bild-Hintergrund oder am Bildrand für lustiges Chaos.

Doch was als Film beginnt, der aus der Sicht eines tagträumerischen Kindes erzählt wird, das sich seinen trüben Alltag durch die Vorstellung aufhübscht, seine Privatdetektiv-Spielerei sei weitreichend und dramatisch, entgleist nach und nach. Spätestens in der zweiten Filmhälfte verhärtet sich der Eindruck, dass Timmy nicht Privatdetektiv spielt und sich diverse arge Situationen ausmalt. Tom McCarthys Adaption der Buchvorlage legt dagegen (ungewollt?) sehr, sehr nachdrücklich die Interpretation nahe, dass der elfjährige Held dieser Geschichte vollauf davon überzeugt ist, dass er einen Eisbären als Partner hat, von Russen sabotiert wird, seine Schule Eisbären diskriminiert und dass er seine stets kurz vor dem Ruin stehende, hoffnungslos überforderte Mutter einfach anheuern und bezahlen könnte, sollte sie noch einen Job verlieren.

Mit weiterem Fortschritt des Films steigert sich Timmy Flop derart in seine Fantasien herein, dass er das Wohlsein seiner Mutter gefährdet und seine eigene Zukunft massiv demontiert – und «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» mündet nicht etwa in einen raffiniert eingefädelten Schluss, laut dem man als Kind gerne seine Fantasien behalten kann, aber auch lernen muss, Konsequenzen zu tragen und den Spielmodus auszuschalten, wenn der Ernst der Lage es erfordert. Ganz im Gegenteil.

Zwar gibt es eine Dialogszene, in der Timmy ermahnt wird, dass sein (anfangs noch lustiger, nach und nach aber ungeheuerlich nerviger) Lieblingsspruch "Fehler wurden gemacht" tief blicken lässt und er einsehen muss, dass er auch mal Fehler macht. Aber nach dieser ausformulierten Moral fällt Timmy in alte Muster zurück und die Kinder sowie Erwachsenen um ihn herum jubeln ihm in zuckrig-kitschigen Szenen deshalb auch noch zu. Das letzte Drittel von «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» rutscht geradezu in «Cars 2»-Territorium – also in die Weltsicht und narrative Argumentation der John-Lasseter-Produktion, deren Lektion es ist, dass man sich auf Partys nach Gutdünken daneben benehmen kann und dass echte Freunde einen niemals dafür rügen sollten.

Unter Filmfans ist es zu einem beliebten Running Gag geworden, dass der Titelheld aus «Ferris macht blau» eine psychisch instabile, potentiell gefährliche Person ist – doch was beim John-Hughes-Klassiker eine augenzwinkernde Fehlinterpretation einer spritzigen, flotten Komödie ist, drängt sich bei «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» förmlich auf: Timmy ist vollkommen in seinen Fantasien verloren, bringt andere Menschen in Gefahr und steuert mit Vollgas auf eine Karriere als schulischer Totalversager hinzu, zudem zeigt er keinerlei Empathie für seine Mutter und hat null Verständnis für die Gefühle und Sorgen Gleichaltriger.

Statt gewitzt zu zeigen, wie der sehr deutlich unter dem frühen Verschwinden seines Vaters leidende Junge den Weg der Besserung einschlägt, oder wie Timmys Umfeld lernt, dem Jungen die Hilfe zu geben, die er dringend benötigt, wählt der Film die denkbar verlogen-kitschigste Option. Und so wird es in «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» als gigantischer Triumph gefeiert, dass er so bleibt, wie er ist, aber wenigstens in einem Augenblick der Klarheit darauf verzichtet hat, bei seinen "Detektivarbeiten" Tausende Dollar an Schaden anzurichten. Na, Glückwunsch, Timmy! Darauf eine Flasche Robby Bubble!

Fazit: Die Kriminalkomödie «Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» ist Kinderabenteuer und missratenes Loblied auf die Vorstellungskraft zugleich – und wird so nach amüsantem Einsteig zur Geduldsprobe. Wer eigensinnige Kinder knifflige Fälle knacken sehen will, sollte sich viel lieber die «Rico, Oskar und ...»-Filme anschauen!

«Timmy Flop – Versagen auf ganzer Linie» ist auf Disney+ abrufbar.

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