Stab
- Darsteller: Amir Wilson, Ruby Ashbourne Serkis, Gijs Blom, Islam Bouakkaz, Thaddea Graham, Jonah Lees, Jack Barton
- Drehbuch: William Davis (Adaption)
- Regie: Alex Holmes, Felix Thompson
- Produktion: Chris Clark
- Musik: Brandon Campbell
- Kamera: Petra Korner, Larr Smith
- Schnitt: O.N. Ottey, Jesse Parker
Von diesem Geist ist auch «Der Brief an den König» durchzogen. Hier sind eigentlich alle Jugendlichen Außenseiter, im Mittelpunkt aber steht Tiuri.
Der Adoptivsohn
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Dass Tiuri beim Turnier in einem von drei Kämpfen sogar einen Gegner bezwingt, gibt ihm einen ungeheuren Auftrieb. Leider verliert er den zweiten Kampf, im dritten jedoch schickt er durchaus überraschend seinen Gegner zu Boden. Tiuri – der Ritter? Nicht ganz, denn sein Vater hat seinen Gegner bestochen. Was nicht unentdeckt bleibt. Zwar nimmt Tiuri an der abschließenden Endprüfung teil, seine Mitstreiter aber verachten ihn für seinen gekauften Sieg. Dass Tiuri selbst unglücklich ist, dass er so etwas nie gewollt hat: Interessiert die anderen nicht. Die Prüfung führt alle Turniersieger in eine Totengruft, in der sie eine Nacht verbringen müssen, ohne von den Geistern der alte Ritter in den Wahnsinn getrieben zu werden. Sie müssen im Gebet verbleiben. Scheitert einer, scheitern alle.
Der Hilfeschrei
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Die Verfilmung von «Der Brief an den König» richtet sich an ein eher jüngeres Publikum. Zwar bleiben Härten nicht ungezeigt, doch wenn ein Schwert in den Brustkorb eines Ritters fährt, bleibt dies eine ziemlich aseptische Angelegenheit. Der Fokus liegt auf die jugendlichen angehenden Ritter, die zunächst allesamt nicht gut auf Tiuri zu sprechen sind, haben sie doch ihre Ansprüche an einen Titel durch sein Handeln eingebüßt. So wird seine erste echte Verbündete die Diebin Lavinia, wie er eine Außenseiterin.
Nun mag «Der Brief an den König» in einer Fantasy-Welt spielen, doch so nah, wie sie am europäischen Mittelalter angelehnt ist, hat dies den Machern die Möglichkeit eröffnet, an realen Orten zu drehen. So etwa befinden sich die zu sehenden Burgen allesamt in Tschechien. Die weiten Landschaften, die es zu durchqueren gilt, die findet man natürlich in Neuseeland, dem Fantasy-Drehort seit Peter Jackson hier Hobbits und Orks durch Wald und Wiesen gescheucht hat. Darüber hinaus wurde filmisches Know-how aus den Niederlanden, Großbritannien und Kanada in die Produktion eingebracht. Netflix hat wirklich eine internationale Produktion auf die Beine gestellt. Schade, dass man dies nur bedingt sieht.
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Was dann auch für die Geschichte gilt. Tiuri ist kein unsypathischer junger Held. Aber einer Figur wie Tiuri fehlt es eben auch an Widersprüchlichkeiten. Er ist der Außenseiter vom Dienst, der Junge, dem niemand etwas zutraut und der im Laufe der Geschichte über sich hinauswachsen muss. Auch die anderen jungen angehenden Rittersleut erfüllen am Ende nur die ihnen vorgegebenen Jobs. Da ist die taffe Jungkriegerin, die sich gegen die jungen Männer durchsetzen muss. Da ist der Sohn des Oberintriganten im Hintergrund (von dem man immerhin nicht genau weiß, ob er seinem Vater nacheifert – oder ob da nicht doch ein anständiger Kerl unter dem Kettenhemd schlummert). Schließlich sind da noch ein schlauer und ein edler Jungspund, welche Tiuris Verfolgung aufnehmen müssen, wenn sie doch noch ihre Ritterwürden erlangen wollen. Eine Verfolgung, die leider ohne die großen Überraschungen bleibt.
Warum Mystik?
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So lässt sich leider konstatieren, dass «Der Brief an den König» relativ wenige Überraschungen zu bieten hat, sondern eher ein Programm nach Vorschrift abliefert. Sicher gibt es einige Positiva zu erwähnen. Hauptdarsteller Amir Wilson etwa. Der gerade einmal 16-jährige Brite gehört zur erweiterten Cast der ungleich bombastischer ausgestatteten Serie «His Dark Materials» von BBC und HBO. Hier darf er nun die Hauptrolle spielen und durchaus Sympathiepunkte auf sich verwerten. Er ist der geborene Normalo, der Junge von nebenan, der eben nicht freudestrahlend mit dem Schwert in den Kampf zieht. Amir Wilson ist ebenso eine gelungene Besetzung wie Ruby Ashbourne Serkis in der Rolle der Lavinia. Lavinia ist der Störfaktor im Ritterspiel, das seinen Regeln folgt. Sie ist in dieser Welt unterm Strich noch mehr eine Außenseiterin als Tiuri – und man spürt der britischen Jungschauspielerin die Freude beim Spiel dieser Figur an. Unterstützung erfährt sie von ihrem durchaus berühmten Herrn Papa, Andy Serkis. Serkis, der durch die Darstellung des Gollum / Sméagol in den Filmen der «Herr der Ringe»-Trilogie Maßstäbe fürs Motion-Capture-Schauspiel gesetzt hat und derzeit als Regisseur «Venom 2» für die Leinwände vorbereitet, ist in einer kleinen Nebenrolle als betrügerischer Bürgermeister einer Stadt zu sehen, in der Tiuri Schutz sucht.
Der große Wurf ist Netflix mit der neuen Fantasy-Serie leider nicht gelungen. Zu ausgetreten sind die Pfade, auf denen sich die Story bewegt, zu wenige Überraschungen hält die Story bereit. Die Hauptfiguren sind sympathisch, keine Frage. Und ein junges Publikum wird sich ohne Zweifel mit Tiuri identifizieren können. Doch die brave Dramaturgie, die Tiuris Weg von A nach B nach C verfolgt, ist kaum dazu geeignet, ein großes Interesse aufflackern zu lassen.
Ob die Serie fortgesetzt wird, literarische Fortsetzungen gäbe es, … man sollte nicht unbedingt drauf wetten.
Die Serie lässt sich auf Netflix streamen.
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