Hinter den Kulissen
- Regie: Sibylle Tafel
- Cast: Leo Reisinger, Wolke Hegenbarth, Juliane Köhler, Frederic Linkemann, Kathrin von Steinburg, Soogi Kang, Sebastian Fritz, Sophia Schober, Heinz-Josef Braun, Eisi Gulp
- Drehbuch: Sebastian Stojetz, Sibylle Tafel
- Schnitt: Andreas Althoff
- Musik: Marco Meister, Robert Meister
Wenn man so will, ist der Grundkonflikt des neuen Teils der ARD-Freitagsfilmreihe «Toni, männlich, Hebamme - Sündenbock» zumindest auf dem Papier die Hebammen-Antwort auf dieses Pilotendrama:
Der impulsive, aber zudem gutmütige und unbestechliche Entbindungs-Pfleger Toni Hasler (Leo Reisinger) kennt keinen Dienstschluss: Als zwei Bekannte, die eine ruhige Heimgeburt geplant haben, unerwartet bei ihm anrufen, bricht er bei der Geburtstagsfeier seines Mitbewohners und besten Freundes Franzl (Frederic Linkemann) sofort alle Zelte ab und eilt zu ihnen. Als bei der Geburt aufgrund einer Beckenendlage Komplikationen aufkommen, muss Toni intuitiv handeln, um das Kind möglichst wohlbehalten zur Welt zu bringen. Kind, Mutter und Nacht scheinen gerettet – aber zwei Tage später stellt der Hausarzt beim Neugeborenen Rippenbrüche fest. Prompt gerät Toni in die Schusslinie: Sowohl der Kindsvater als auch die Behörden sind sich sicher, dass Toni bei der Geburt dramatische Fehlentscheidungen getroffen und so das Kind fahrlässig verletzt hätte. Toni aber schwört: Es gab keine bessere Lösung – jeder angeblich vernünftigere Ausweg, der Toni nun entgegengeschleudert wird, war entweder versperrt oder in dieser sehr speziellen Situation zu gefährlich …
Feinschliff? Fehlanzeige.
Gewiss, gewiss: An einen Film aus einer ARD-Unterhaltungsfilmreihe darf man nicht mit der Erwartungshaltung herantreten "So, jetzt miss dich mal mit Clint Eastwood!" ARD-Freitagsfilme werden für ein anderes Publikum und aus einem ganz anderen Eigenanspruch produziert. Doch bedenkt man, dass die ersten beiden «Toni, männlich, Hebamme»-Filme im Feuilleton mitunter für ihre realistische Figurendynamik, ihre authentische Sprache und einen feinen satirischen Anklang gelobt wurden, sowie dafür, dass sie aufgesetztem Pathos entsagen, wird man von der neusten Ausgabe doch ein gewisses Grundniveau erwarten dürfen. Zumal «Toni, männlich, Hebamme – Sündenbock» von denselben Kreativverantwortlichen stammt wie die beiden 2019 gezeigten Ausgaben.
Und doch lösen sich die sprachliche Raffinesse sowie die Dramatik dieses Neunzigminüters auf wie eine Brausetablette im Sprudelwasser. Es geht schon in den ersten paar Filmminuten los: Die authentischen Dialoge, für die Sibylle Tafel und Sebastian Stojetz (der immerhin die smarte Webserie «Der Lack ist ab» geschrieben hat) in den ersten zwei Filmen gelobt wurden, weichen Textzeilen, die zwar locker genug sind, um nicht zu stören, denen es aber sehr wohl oftmals an Feinschliff mangelt. Wenn in einer im Gegenwart spielenden Dramödien-Reihe mit Schauplatz München, die sich um Figuren irgendwo Ende 30/Anfang 40 dreht, Singles beispielsweise davon sprechen, dass sie sich "bei der Partnervermittlung angemeldet" haben (statt eine Dating-App zu nutzen oder bei einem Flirtportal aktiv zu sein), dann dürfte dem TV-Publikum im Groben vollkommen klar sein, was gemeint ist. Dennoch verlieren die Figuren so an Lebendigkeit sowie Authentizität – und verkommen bloß zu öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsfilm-Abziehbildchen.
Dass sie mit dem Thema Selbstbefriedigung auch explizit "Heftchen" assoziieren (als wäre ihnen der Internetzugang abhanden gekommen), ist nur ein weiteres von vielen Beispielen. Aber das alles fällt in die Kategorie "Man merkt vielleicht die Auswirkung solcher nicht ganz ausgefeilten Dialoge, aber es springt dem Publikum nicht dringend sofort ins Gesicht" und ist obendrein noch harmlos.
Deutlich fragwürdiger ist, dass in der Praxis rund um den von Leo Reisinger verkörperten Titelhelden und die Sympathieträgerin Dr. Luise Fuchs (Wolke Hegenbarth) ganz froh und munter homöopathische Mittel verschrieben werden – ohne, dass dies problematisiert wird. Einzig, dass ein aufgrund seiner urplötzlichen Probleme mit der Justiz geistesabwesender Toni ein homöopathisches Mittel mit Alkohol an eine Schwangere verschreibt, stößt einer Praxisgehilfin sauer auf – mit Betonung, dass der Alkohol das Problem sei. In der Welt von «Toni, männlich, Hebamme» ist Homöopathie kein wirkungsloses Gebräu, sondern legitime Medizin – das wird die Lobby freuen, wenn das Zielpublikum dieser Filmreihe diese Botschaft schluckt.
Wie verwässert man eine gute Grundidee?
Vollkommen verwässert ist dann auch die dramatische, komplexe und verfahrene Ausgangssituation dieser Dramödie. Dabei beginnt es (angesichts des Grundgemüts dieser Filmreihe) durchaus ambitioniert: Toni wird in Verhören, Kollegengesprächen und selbst im freundlich angedachten Plausch mit Freunden ordentlich durch die Mangel genommen – und Reisinger macht sehr effektiv spürbar, wie seine Rolle allmählich die Geduld verliert.
Das ständige Hin und Her zwischen Tonis Rechtfertigungen und den Vorwürfen seines Umfelds lässt für vielleicht das erste Drittel des Films die Lage sehr verzwickt aussehen: Da Toni die Hauptfigur einer leichtfüßigen Filmreihe ist, die das TV-Publikum seicht ins Wochenende begleiten soll, schenkt man ihm Vorabvertrauen – und dennoch werden die erhobenen Zweifel drängender. Dabei wird ebenso mit Gehässigkeit der Anklagenden gearbeitet (sowohl die Eltern als auch die Vertreter der Justiz werden mit fieser Giftigkeit gespielt) wie mit vereinzelten, nachvollziehbaren Argumenten. Und die Musik von Marco & Robert Meister versteht es in den ernsteren Momenten, durchaus Spannung zu schüren.
Aber das ist nur eine kurze Momentaufnahme dieses Films. Sämtliche Fallhöhe wird penetrant unterwandert, weshalb spätestens mit Beginn des zweiten Filmdrittels klar wird, dass «Toni, männlich, Hebamme – Sündenbock» nicht daran interessiert ist, auch nur auf tragikomische Weise das Dilemma einer gut gemeinten, folgenreichen Spontanentscheidung auszudifferenzieren. Dass dieser zentrale Plot durch seichte Nebenhandlungen aufgelockert wird, ist wohl dem Sendeplatz und den Genregesetzen geschuldet und ließe sich bei gewitzter Umsetzung auch annehmen.
Hier aber werden ganze Staudämme in die Luft gesprengt, um ein Haar namens Dramatik aus der Unterhaltungssuppe zu spülen: In Luise Fuchs' Wohnung treibt ein (sehr niedlicher) Waschbär sein Unwesen! Tonis bester Freund hat turbulente Dating-Probleme! Eine scheue Patientin von Luise verwandelt sich dank einer Placebo-Tinktur in eine peppige Selbstbewusstseins-Kanone! Toni und Luise flirten heftig und nutzen dabei lockere Doppeldeutigkeiten! Einer Frau wird der Teppich gestohlen, weshalb sie die davon genervte Polizei ruft! DER TEPPICH!
Nicht nur, dass unter all diesen Auflockerungsversuchen allein der knuffige Waschbär-Slapstick durchweg pointiert ist, und das Kokettieren zwischen Toni und Luise lediglich dank der Chemie zwischen Hegenbarth und Reisinger noch als solider Nebenplot durchgeht (der trotzdem gewiss besser in seiner eigenen Folge aufgehoben wäre): Dieses Übermaß an sogenanntem comic relief entpuppt sich nach und nach als völlig unnötig, da der Hauptplot dank zunehmend haarsträubender Twists schon ganz von alleine seine Fallhöhe derart reduziert, dass selbst Menschen mit schlimmster Akrophobie keinen Schwindel mehr verspüren dürften.
Für Neugierige, die keine Spoiler fürchten: Auf der nächsten Seite erläutern wir, wie haarsträubend «Toni, männlich, Hebamme – Sündenbock» aufgelöst wird …
Es gibt 13 Kommentare zum Artikel
17.04.2020 12:37 Uhr 1
17.04.2020 13:11 Uhr 2
17.04.2020 13:36 Uhr 3
Ich habe das Gefühl, du hast die Kritik maximal überflogen. Denn ich stelle die Filme eben nicht gleich.
17.04.2020 13:45 Uhr 4
17.04.2020 15:04 Uhr 5
Sentinel, ich habe ARD geschaut und er lief dort leider ständig, so schnell konnte ich nicht wegschalten
17.04.2020 15:23 Uhr 6
In deiner Überschrift tust du das aber durchaus... Das ist BILD-Niveau
17.04.2020 15:26 Uhr 7
Wenn man die gesamte Überschrift liest, sollte deutlich sein, dass ich die Filme eben nicht gleichstelle.
17.04.2020 16:21 Uhr 8
Eben, manche können eben nicht richtig lesen
17.04.2020 17:47 Uhr 9
Laut dieser Kritik werden gerade mal 1 Millionen zuschauen. Ich gehe davon aus das mindestens um die 4,5 Millionen zusehen werden.
Auf einen schönen TV Abend. Ich werd mir den Film gemütlich am Wochenende ansehen in der Mediathek. Ich bin einer der 5 Millionen Let’s Dance Zuschauer.
17.04.2020 17:49 Uhr 10
Nicht eine einzige dieser Behauptungen steht in meiner Kritik. Das ist eine Filmkritik. Kein "Wir raten den Marktanteil und die Reichweite"-Artikel.
"Let's Dance" zu schauen ist aber eine gute Wahl, michael.ciao.