Jegliche moralische Komplexität des Ausgangsdilemmas entschwindet, als ein neuer Verdacht aufkommt, weshalb das Baby gebrochene Rippen hat: Wie nämlich Tonis Ex, die Anwältin Hanna (keck und mit einer interessanten Mischung aus emotionaler Nähe und rationaler Distanz zu Toni gespielt: Kathrin von Steinburg), herausfindet, ist der Kindsvater ein extrem unausgeglichener Kerl: Sportlich, voller unkontrollierter Kraft und ebenso unkontrollierter Emotionen. Seine Anti-Depressions-Tabletten hat er schon vor Monaten heimlich abgesetzt – und daher steht er nun in Verdacht, mit seinem wackligen Gemüt und seiner nicht korrekt eingeschätzten Stärke selber dem Kind diese schweren Verletzungen zugefügt zu haben.
Das wäre an und für sich schon ein feiger Ausweg aus der anfänglichen Situation, da sämtliche Fehler, die Toni unterstellt werden, schlagartig vergessen sind und unser Protagonist eine sprichwörtliche "Du kommst aus dem Gefängnis frei"-Karte zugesteckt bekommt. Keine ethische Auseinandersetzung mit Tonis Entscheidungen, kein (egal wie leichtgängig vermitteltes) Ausbalancieren des juristischen Für und Wider. Keine tragikomische Analyse, was das mit Tonis Charakter macht (abgesehen von einer Szene, in der er ein bisschen pampig wird). Und die Frage, wie er die Gegenseite von sich überzeugen kann, wird mit einem Fingerschnipsen hinfällig.
- © ARD Degeto/Raymond Roemke
Der Münchner Entbindungspfleger Toni (Leo Reisinger), frisch geschieden, bekommt es nicht nur mit beruflichen Herausforderungen zu tun, sondern dessen Gefühlsleben wird vor allem von seiner Kollegin Luise (Wolke Hegenbarth) ordentlich durcheinandergebracht.
Gleichwohl würde «Toni, männlich, Hebamme – Sündenbock» mit diesem Ausgang noch immer einen Story erzählen, die eine gewisse Ernsthaftigkeit mit sich bringt und zwischen all dem Klamauk und seichten Geflirte ein seriöses Problem anschneidet. Darüber, ob es nun ein Depressiver sein muss, der ohne seine Medikamente sein Neugeborenes misshandelt, lässt sich freilich streiten (von einer Dramödie, die Homöopathie mit positiven Konnotationen versieht, sollte man wohl nicht zu viel Feinsinn erwarten) – trotzdem wäre es eine Wendung, die dem Stoff eine emotionale Schwere verleiht.
Aber falsch gedacht: Die ganze "Was, wenn der Vater dem Kind diese Verletzungen zufügt?!"-Nummer wird schneller, als sie eingefädelt wurde, wieder als falsche Fährte aufgelöst. Der wahre Ursprung der gebrochenen Babyrippen ist derart hanebüchen, dass es nicht unwahrscheinlich wäre, sollte diese «Toni, männlich, Hebamme»-Folge fortan in Seifenoper-Crashkursen als Muster-Skript seziert werden. Denn durch einen völligen, absoluten, unwahrscheinlichen Zufall finden die Helden heraus, dass die Kindsmutter gar nicht die leibliche Tochter ihrer Eltern ist. Denn da ihre Mutter nicht schwanger werden konnte (möglicherweise – sie hat ihre Fruchtbarkeit nie testen lassen) haben sie und ihr stadtweit angesehener Ehegatte einen entfernten Bekannten darum gebeten, ihnen seine leibliche Tochter zu überlassen. Natürlich absolut heimlich und inoffiziell, man will ja nicht, dass in München, Deutschlands größtem Dorf, böse getuschelt wird.
Wie das Toni und den depressiven, klagefreudigen Kindsvater entlastet? Na, ganz einfach: Der frisch gebackene, biologische Großvater des Neugeborenen mit den gebrochenen Rippen hat eine leichte Form von Osteogenesis imperfecta, einer umgangssprachlich "Glasknochensyndrom" genannten Erbkrankheit (was viele Betroffene hart kritisieren, aber in «Toni, männlich, Hebamme » keine Seele stört). Selbst wenn die Kindsmutter nie nennenswerte Beschwerden hatte, hat sehr wohl ihr Kind diese Neigung zu leicht berstenden Knochen von seinem Opa geerbt. Und weil das Kind eine Erbkrankheit hat, werden alle zuvor geäußerten Verdächtigungen fallen gelassen – jeder Gedanke, dass Toni leichtfertige Entscheidungen getroffen hat oder der Kindsvater eine potentielle Gefahr für das Kindeswohl ist, wird vom Winde verweht.
Dass das Kind eine Erbkrankheit hat und Toni Fehler begangen hat oder der Vater ein grober Mistkerl ist (geschweige denn beides) ist in der Welt von «Toni, männlich, Hebamme» eine absolute Unmöglichkeit, allen fällt ein Stein vom Herzen und die gigantische Enthüllung eines bombastischen Familiengeheimnisses wird mit einem gequält-leichten Grinsen begrüßt wie grobkörniger Frischkäse in einem Fernsehwerbespot. Bahn frei für das Happy End! Wahlweise auch mit Kräutern!
Zu allem Überdruss ist diese vollkommen hirnrissige und jeglichen thematischen Anspruch mit Gewalt aus der Bude kehrende Lösung genauso grobschlächtig umgesetzt wie sie sich hier liest: Sibylle Tafels sonst sehr leichte, unaufdringliche Inszenierung weicht einem spröde abgefilmten, statischen Nebeneinanderreihen des Casts – und der sagt brav nacheinander, völlig frei von Leben seine Zeilen auf. Das können alle Beteiligten erwiesenermaßen viel, viel besser. Was war da also los? Und gibt es ein homöopathisches Mittel dagegen? (Das beantworten wir selber: Nein, natürlich nicht.)
«Toni, männlich, Hebamme – Sündenbock» ist am 17. April 2020 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Es gibt 13 Kommentare zum Artikel
17.04.2020 12:37 Uhr 1
17.04.2020 13:11 Uhr 2
17.04.2020 13:36 Uhr 3
Ich habe das Gefühl, du hast die Kritik maximal überflogen. Denn ich stelle die Filme eben nicht gleich.
17.04.2020 13:45 Uhr 4
17.04.2020 15:04 Uhr 5
Sentinel, ich habe ARD geschaut und er lief dort leider ständig, so schnell konnte ich nicht wegschalten
17.04.2020 15:23 Uhr 6
In deiner Überschrift tust du das aber durchaus... Das ist BILD-Niveau
17.04.2020 15:26 Uhr 7
Wenn man die gesamte Überschrift liest, sollte deutlich sein, dass ich die Filme eben nicht gleichstelle.
17.04.2020 16:21 Uhr 8
Eben, manche können eben nicht richtig lesen
17.04.2020 17:47 Uhr 9
Laut dieser Kritik werden gerade mal 1 Millionen zuschauen. Ich gehe davon aus das mindestens um die 4,5 Millionen zusehen werden.
Auf einen schönen TV Abend. Ich werd mir den Film gemütlich am Wochenende ansehen in der Mediathek. Ich bin einer der 5 Millionen Let’s Dance Zuschauer.
17.04.2020 17:49 Uhr 10
Nicht eine einzige dieser Behauptungen steht in meiner Kritik. Das ist eine Filmkritik. Kein "Wir raten den Marktanteil und die Reichweite"-Artikel.
"Let's Dance" zu schauen ist aber eine gute Wahl, michael.ciao.