Debatte

«Let's Dance»: Ein Plädoyer für eine Tanzshow ohne Publikum

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Manche Shows leiden darunter, dass es kein Saalpublikum mehr gibt. Bei anderen hat es keine nennenswerte Auswirkung. Und «Let's Dance»? Die Tanzshow profitiert diese Staffel ordentlich vom fehlenden Publikum …

Eine Unterhaltungsshow braucht Saalpublikum – das war jahrzehntelang ein ungeschriebenes, aber sehr hörig befolgtes Fernsehgesetz. In Zeiten der Corona-Pandemie hat sich diese Regel verpulvert – und nach kurzer Eingewöhnungsphase in die neue Normalität der TV-Showwelt drängt sich die Frage auf: Sollte man das ungeschriebene Gesetz vielleicht langfristig lockern? Schon Anfang April urteilte an dieser Stelle Kollege David Grzeschik, dass Unterhaltungsshows auch sehr gut ohne Publikum funktionieren können, und nach mehreren weiteren Fernsehwochen ohne tosende Leute im Showsaal möchte ich einen Punkt ergänzen: «Let's Dance» funktioniert ohne Studiopublikum besser als mit Leuten im Saal – und daher wäre es am besten, wenn man die "Quarantäne-Regeln" auch dann beibehält, wenn sie obsolet werden.

Mir ist bewusst, dass dieser Vorschlag zunächst absurd wirkt. Gerade eine Show wie «Let's Dance» eignet sich doch für Saalpublikum, macht es den RTL-Dauerrenner immerhin zum großen Mainstream-Tanzturnier. Und die sonst nie derart in der Öffentlichkeit stehenden, hervorragenden Profis, die RTL für «Let's Dance» versammelt, haben sich den lauten Live-Applaus schwer verdient. Und trotzdem führt der Verlauf der aktuellen Staffel vor, dass «Let's Dance» nicht nur sehr gut ohne Saalpublikum funktioniert – sondern sogar besser als zuvor.

Üblicherweise kristallisieren sich früh zwei Stars heraus, die es echt drauf haben und komplexe, aufregende Choreografien wagen sowie meistern – und dahinter ist ein gewisser Abstand in Sachen Können zu bemerken. Dieses Jahr ist das Feld insgesamt (es gibt natürlich Ausnahmen) dichter beisammen, und das liegt nicht etwa daran, dass die Spitze schwächeln würde. Aber es darf gemutmaßt werden, dass beispielsweise ein Martin Klempnow, eine Loiza Lamers oder auch ein Moritz Hans der fehlenden Liveunterstützung zum Trotz in den "Geistershows" mehr wagen. Im nahezu leeren Saal wird immerhin eher die Probesaal-Situation rekreiert als im ausverkauften Studio – die Promis stehen weniger unter Beobachtung und können sich besser konzentrieren. Was das "Mittelfeld" bei «Let's Dance» dieses Jahr geschafft hat, bekam man so in den vergangenen Staffeln nicht zu sehen.

Doch während das gewiss auch Zufall sein könnte, gibt es einen Aspekt an der Corona-Staffel von «Let's Dance», der nicht in den Bereich der Spekulation fällt, sondern sich ziemlich klar und deutlich verfolgen lässt: Die bereits seit 2013 etablierte Jury aus Motsi Mabuse, Jorge González und Joachim Llambi ist besser denn je. Und das liegt unbestritten daran, dass das Saalpublikum fehlt.

In den vergangenen Jahren war es ein unvermeidlicher Teil einer jeden «Let's Dance»-Ausgabe, dass Joachim Llambi süffisant lächelnd das Publikum gegen sich aufbringt und zu Buh-Rufen provoziert. Dass Motsi Mabuse entweder mit ihren "Yeah, yeah, yeah!"-Rufen die Leute im Saal aufpeitscht oder aber unter spürbarer Zustimmung des Saalpublikums ihren Tränen freien Lauf lässt. Und dass Jorge González den Saal zum Lachen bringt und/oder ebenfalls euphorisch aufpeitscht. Dieses Element reduziert sich zwangsweise, wenn da keine Ränge voller Menschen sind, mit denen die Jury interagieren kann. Und so haben sich Mabuse, Llambi und González in der laufenden Staffel (bewusst oder unbewusst) umso mehr auf ihre anderen Stärken verlassen.

Vor allem Mabuse ist in Staffel 13 von «Let's Dance» seit des Wegfalls des Saalpublikums nahezu wie ausgewechselt. Sie ist weiterhin die Emotionale in der Jury, doch ihre Urteile sind nicht mehr jubelnd schreiende oder tränenreich mitgerissene Extreme (oder diplomatisches Gewäsch bei schlechten oder gleichgültigen Performances). Mabuse gibt nunmehr richtig konstruktives, wertvolles Feedback an die Stars und die Profis zugleich, egal ob es nun die Schrittfolgen, Haltungsfehler oder fragwürdige Entscheidungen hinsichtlich der Choreografie betrifft. Vor allem für das Tanzpaar Lili Paul-Roncalli/Massimo Sinató war das überaus entscheidend:

Wann immer Sinató eine kompakte, zierliche Tanzpartnerin hat, tendiert er üblicherweise dazu, sie über weite Strecken der Performance nur zu tragen, zu schleifen und durch die Luft zu wirbeln. Was manche «Let's Dance»-Fans online schon länger aufgeregt hat, wurde von der Jury in Zeiten des mitgehenden, teils tosenden Studiopublikums bestenfalls beiläufig angerissen. Seit die Jury-Urteile bei «Let's Dance» nicht mehr Fenster für Jury-Paar- als auch Jury-Saal-Interaktion sind, sieht das anders aus – und es war Mabuse, die dieses Jahr nach ein paar Wochen die Reißleine gezogen hat und deutlich machte, dass sie Lilis Können auf dem Parkett erleben will und sich Massimo mit den Showelementen zurücknehmen muss. Das stieß auf offene Ohren und Lili Paul-Roncalli kann sich seither wesentlich mehr als Massimo-Partnerin beweisen als es irgendeiner ihrer Vorgängerinnen vergönnt war.

Aber nicht nur Mabuse ist konstruktiver und fachlicher denn je ohne an Unterhaltungsfaktor einzubüßen. Auch Jorge González nimmt sich nun mehr Zeit, um seine komödiantische Ader mit seinen zielgenauen Beobachtungen bezüglich der Körperhaltung abzuwechseln sowie seiner passionierten Einschätzungen der lateinamerikanischen Tänze, bei denen er mitunter strenger sein kann als Llambi. Und der «Let's Dance»-Oberälteste ist zwar weiterhin der "böse Bube" in der Jury, aber in der laufenden Staffel genauer in der Beobachtung und geduldiger in der Artikulation seiner Kritikpunkte als aus den vergangenen Staffeln gewohnt.

Man muss die Sendezeit halt füllen – und die «Let's Dance»-Jury füllt die ausbleibende Sendezeit für die eingefangene Saalstimmung mit geschliffener argumentierten Jury-Urteilen sowie einem ruhigeren Hin und Her zwischen Jury und den Paaren. Ein riesiger Gewinn, wenn man mich fragt.

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