
Diese klangliche Verschmelzung beider Filmebenen trifft auch auf die Grundtonalität von «Un + Une» zu. Denn was als durchaus pointenreicher Film über einen Komponisten beginnt, der sich mit ironischem Wortwitz durchs Leben lächelt und nun in Indien arbeiten soll, obwohl er gerade in Frankreich ein neues Lebenskapitel aufgemacht hat, wird nach und nach zu einem Film, der einen ähnlichen Spagat zwischen "Ich möchte ein altbekanntes Storykonstrukt neu aufzäumen" und "Harmloses, freundliches Wohlfühlkino" begeht wie der Film-im-Film.
Dieser Übergang ist nicht einmal im Ansatz so thematisch motiviert, künstlerisch ambitioniert und konsequent vollzogen wie etwa die stilistische Wende im hervorragenden «Zwei im falschen Film». Doch mit Wohlwollen lässt sich hineinlesen, dass es mit Antoines Karma zu tun hat, dass er noch gestresst und emotional suchend ist, während er zynisch scherzt sowie die Arbeit an einem emotionalen Film professionell, aber ambitionslos runter rasselt, und sich sein Leben versüßt, sobald er sich für andere Ideen und Konzepte öffnet.
Für einen "Ich habe ihn ohne Erwartungen auf Netflix hochgespült bekommen und an einem Nachmittag auf dem Sofa geschaut"-Film, der auf der rein charismatisch-emotionalen Ebene reibungslos funktioniert, reicht das. «Un + Une» bietet sich für solch eine Rezeptionsweise an und geht dabei auf, ohne dass es zynisch oder lieblos wäre. Weil die Gefühlswelt der Figuren überzeugend ist, gelungen transportiert wird, und die unausgesprochene Frage, wie sehr sich Antoines und Annas Leben während ihrer Reise noch zum Wohlfühl-Kuscheldecken-Kino wandeln wird, dem Stoff einen subtilen Drive gibt.
Und doch ist es paradoxerweise sehr bedauerlich, dass «Un + Une» wohl sehr oft so ahnungslos rezipiert wird. Der Film hat nämlich obendrein eine metafiktionale, autobiografisch angehauchte Komponente – doch als Werk, in dem sich der Regisseur mit sich und seiner Karriere beschäftigt, lässt sich «Un + Une» wohl kaum erkennen, wenn man ihn völlig unvorbereitet anklickt, weil Netflix ihn gerade vorschlägt.
Inszeniert und mitverfasst wurde «Un + Une» von Claude Lelouch, und somit von einem Urgestein des französischen Kinos. Seit Jahrzehnten inszeniert er vornehmlich romantische Filme, die stets mit einem Hauch Humor, aber hauptsächlich mit einer sanft-dramatischen Grundtonalität auskommen – und die im Regelfall so simple Titel haben wie «Eine für alle», «Männer und Frauen, eine Gebrauchsanweisung», «Alles für die Liebe» oder «Es lebe das Leben».

Doch es ist schon erstaunlich, wie wenig internationaler Ruhm und Glanz Claude Lelouch übrig geblieben ist. Heute ist er vornehmlich dem frankophilen, treuen Programmkino-Publikum ein Begriff. Sein zwischen Sepiatönen, Schwarz-Weiß und voller Farbe wechselnder Film «Ein Mann und eine Frau» von 1966 gewann noch zwei Oscars und die Palme d'Or, was den schon länger in Frankreich aktiven Regisseur über Nacht zu einer globalen Regiesensation gemacht hat.
Lelouchs gesunkenen Stern kann man wohl auch daran ausmachen, dass deutsche Verleiher ihm nicht genug Zugkraft zutrauen, um einen Film wie «Un + Une» hierzulande auf der großen Leinwand profitabel zu machen. Was auf der einen Seite ein unrühmliches und bedauernswertes Schicksal ist, kommt dem Film jedoch womöglich auf anderer Seite zugute. Denn «Un + Une» kann nunmehr Menschen mit seinem Charme umgarnen, ohne sich mit einer gesteigerten Erwartungshaltung zu messen.
«Un + Une» ist auf Netflix abrufbar.
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