Die Kritiker

«I See You» - Der Mindfuck unter den Geheimtipps

von   |  3 Kommentare

In Adam Randalls geisterhaftem Entführungsthriller «I See You» ist nichts so wie es scheint. Das macht es nicht gerade leicht, ausführlich über ihn zu schreiben. Wir probieren es jedoch trotzdem, denn mit dieser Wendung rechnet ihr nie!

Filmfacts: «I See You»

  • VÖ: DVD, Blu-ray und Stream
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 96 Min.
  • Genre: Thriller/Drama/Horror
  • Kamera: Philipp Blaubach
  • Musik: William Arcane
  • Drehbuch: Devon Graye
  • Regie: Adam Randall
  • Darsteller: Helen Hunt, Jon Tenney, Judah Lewis, Owen Teague, Libe Barer, Allison Gabriel
  • OT: I See You (USA 2019)
Es scheint von Anfang an alles klar: Sowohl der Trailer als auch die Inhaltsbeschreibung des (Grusel-)Thrillers «I See You» kündigen eine klassische Geisterhausgeschichte an. Immerhin gemixt mit einem Entführungsplot: Ein kleiner Junge ist verschwunden und zu allem Überfluss wird der leitende Ermittler zuhause auch noch mit einer übernatürlichen Präsenz konfrontiert, die Besteck verschwinden lässt und plötzlich den Fernseher anknipst. Darüber hinaus würzt der sich normalerweise als Schauspieler verdingende Drehbuchautor Deyon Greye («13 Sins») die Geschichte mit einer Prise Coming-of-Age und einem Hauch von Eifersuchts- und Familiendrama. Das ist zweifelsfrei ambitioniert, trifft den Kern der Sache aber immer noch nicht. Was wir damit genau meinen, können wir an dieser Stelle einfach nicht verraten, ohne dem Film dadurch eine entscheidende Wendung vorwegzunehmen und dadurch zu riskieren, dass «I See You» der emotionale Punch ein Stückweit verloren geht.

So oder so steht aber fest: Zumindest ein- oder zweimal lässt sich der auf dem Fantasy Filmfest 2019 in Deutschland uraufgeführte Genremix durchaus gucken, um sich zunächst einmal ordentlich an der Nase herumführen zu lassen und beim zweiten Mal schließlich das nun gewonnene Wissen noch einmal auf die Szenerie anzuwenden. Man hätte nämlich alles kommen sehen können…



Ehezoff, Geister und entführte Kids


In einer scheinbar idyllischen amerikanischen Kleinstadt verschwindet ein 12-jähriger Junge spurlos. Es ist nicht das erste Kind, das hier verschwindet. Detective Greg Harper (Joe Tenney) leitet die Ermittlungen und steht unter enormem Druck, einen Täter zu präsentieren. Auch privat belasten ihn Probleme. Nach einem Seitensprung seiner Ehefrau Jackie (Helen Hunt) leiden er und Sohn Connor (Judah Lewis) sehr unter dem angespannten Familienverhältnis. Als sich im Haus der Harpers dann auch noch eine mysteriöse Präsenz einschleicht und die Familie terrorisiert, droht die Illusion der friedlichen Kleinstadtidylle endgültig zu zerbrechen…

Aber zurück zum Ursprung: Bereits in der aller ersten Szene sehen wir das spätere Entführungsopfer, einen kleinen Jungen auf einem Fahrrad, erst durch die Idylle einer US-amerikanischen Kleinstadt radeln; Vorbei an Kindern, die vor einem Eiswagen anstehen, an glücklich spielenden Jungen und Mädchen. Eh er später in ein kleines Waldstück einbiegt, von wo aus er scheinbar von Geisterhand von seinem Vehikel gerissen wird und für immer verschwindet. Alles an dieser Szenerie erinnert an Filme wie «Es» oder Serien wie «Sharp Objects»; das Motiv des vordergründig friedlichen Lebens in ländlicher Abgeschiedenheit. Doch man merkt, dass es in ihr brodelt. Und schon bald erfahren wir, dass der Entführungsfall des Jungen längst nicht der erste ist. Bereits seit vielen Jahren geht hier ein Serienkidnapper um, der den leitenden Polizisten Greg Harper längst an den Rand der Verzweiflung getrieben hat, auch wenn der mutmaßliche Täter vor einiger Zeit gefasst werden konnte. Nun taucht er wieder auf und stürzt die Bewohner des Städtchens, vor allem aber die Familie Harper, erneut ins Verderben.

Was ist hier eigentlich los?


Regisseur Adam Randall («iBoy») findet für die Inszenierung seiner Geschichte zwei völlig konträre Arten der Bildsprache. Lichtdurchflutete Aufnahmen mit satten Farben, absolut gegensätzlich zu der eigentlich von der Angst der Eltern geprägten Atmosphäre innerhalb der Stadt. Und dunkle Farben, ein vorwiegend bei Nacht spielendes Gruselszenario, daheim beim Detective, wenn hier schließlich der Geisterplot zum Tragen kommt. Gleichwohl geht die angespannte Lage bei den Harpers daheim längst nicht bloß von der übernatürlichen Präsenz aus, die sukzessive die Nerven der Familie strapaziert. Stattdessen ist es der Seitensprung der Mutter sowie der damit einhergehende Anklang von Zerrüttung, der ein friedliches Zusammenleben unter einem Dach derzeit kaum möglich macht.

Wie Adam Randall das in jedem anderen Film eigentlich deutlich stärker einschneidende Erlebnis wie die Entdeckung einer Geistererscheinung in «I See You» an den Rand drängt und die zwischenmenschlichen Dramen in den Fokus rückt, gleicht schon einem kleinen Geniestreich. Versucht man in der ersten Hälfte dann auch noch zu entschlüsseln, wie das Schicksal der Familie und die Vermisstenfälle miteinander zusammenhängen, ist man rund 50 Minuten mit herzhafter Knobelei beschäftigt – und wird zum Verdruss vieler vermutlich dennoch nicht dahinter steigen, was es zum einen mit dem Geist auf sich und was dieser zum anderen mit den gekidnappten Kindern zu tun hat.

In gewisser Weise ist «I See You» ein One-Trick-Pony: Kann der Film beim ersten Sehen insbesondere aufgrund ein, zwei unerwarteten Wendungen überraschen, sieht es da beim zweiten Mal schon nicht mehr ganz so spannend aus. Dafür arbeitet die Dramaturgie des Films einfach zu deutlich auf den Aha-Effekt in der Halbzeit hin. Das bedeutet jedoch nicht, dass «I See You» nicht grundsolide inszeniert wäre. Zum einen besticht die Kameraarbeit von Philipp Blaubach («Gunpowder») durch ihre eingangs erwähnte Differenziertheit: Mal dominieren strahlende Farben und starke Kontraste, mal gewiefte Schattenspiele und verschiedene Schattierungen innerhalb der Dunkelheit. Auch die atmosphärische Musikuntermalung (Komponist William Arcane debütiert) trägt ihren Teil dazu bei, dass man sich während der knapp 100 Minuten nie in Sicherheit wiegen mag.

Hinzu kommt eine starke, insbesondere für einen schmal budgetierten Genrefilm (der Film kostete 5 Millionen US-Dollar und spielte nicht einmal 80.000 davon wieder ein) längst nicht selbstverständliche Besetzung: Allen voran Oscar-Preisträgerin Helen Hunt (1998 für «Besser geht’s nicht») begeistert als ihre Familie ins Unglück stürzende Ehebrecherin, die sich nun verzweifelt versucht, die Gunst von Vater und Sohn zurück zu erarbeiten – und kläglich scheitert. Joe Tenney («Legion») und Judah Lewis («Demolition – Lieben und Leben») vervollständigen ein engagiertes Darstellertrio, das mit einem wunderbar ambivalenten und überraschenden Spiel gefällt.

Fazit


Entführungsthriller, Geistergeschichte und noch mehr: Der unvorhersehbare Genremix «I See You» überrascht mit Atmosphäre und Twists – beim ersten Mal. Beim zweiten Mal bleibt dann immer noch die Atmosphäre, wenngleich das Skript schon sehr auf den Aha-Effekt abzielt und diesen eben nur beim ersten Sehen hervorruft.

«I See You» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie als Stream abrufbar.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
TwistedAngel
23.05.2020 11:16 Uhr 1
Schätze, das Gruseligste an dieser Serie ist das Gesicht von Helen Hunt ... 😱
Sentinel2003
23.05.2020 11:17 Uhr 2
Der fängt so zäh an, dass ich eigentlich schon aufgeben wollte!! Und Helen Hunt ist durch ihre Botox Einnahme echt kaum wieder zu erkennen!
Anonymous
24.05.2020 20:54 Uhr 3


Es ist aber ein Film.
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