Du kannst nicht immer glücklich sein
So wie Molly, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter aufs Land gezogen ist: Wo sie sich unwohl fühlt. Kann man wirklich in einer Nachbarschaft leben, in der alle Menschen von morgens bis abends glücklich sind? Es ist wirklich eine Krux. Niemand in dieser Nachbarschaft wirkt mal genervt oder gar aggressiv. Nein. Es spielt keine Rolle, ob jemand dick, dünn, Norweger, Zuwanderer, Mann oder Frau ist: All diese Menschen sind so unerträglich freundlich zueinander, man kann es Molly kaum verdenken, dass sie ein dunkles Geheimnis hinter dieser Fassade vermutet. «Opferbereitschaft» lautet der Titel der Episode, die schon im Prolog eine irritierende Wendung ankündigt, aber diese Wendung zum Ende hin dann noch einmal dreht.
Wo «Opferbereitschaft» ganz klassisch aus der Wendung heraus ihr Potenzial erlangt, ist «Drei kranke Brüder» ein ziemlich unangenehmer Psychothriller. Erik nämlich hat seinen Vater umgebracht und dafür eine lange Strafe verbüßt. Nun steht für ihn ein Weg in ein neues Leben an. Doch das Ungemach lässt nicht lange auf sich warten – in Person von Otto und Georg, seinen älteren Brüdern. Und sie wollen mit ihrem kleinen Bruder unbedingt hinaus zu einer alten Hütte, in der sie als Kinder eine glückliche Zeit erlebt haben. Erik lässt sich widerwillig auf den Trip ein und schon bald stellt man sich als Zuschauer die Frage: Wie kann es sein, dass dieser junge, sympathische Mann seinen Vater umgebracht hat, wenn doch seine Brüder definitiv vollkommen durchgeknallte Psychos sind, um die man unbedingt einen großen Bogen machen sollte?
Des Weiteren bietet «Blutiger Trip» die Geschichte einer reichen, verwöhnten Studentin, die nicht nur mit anhören muss, wie ihre Mitbewohnerinnen recht konkret ihre Ermordung planen - was ihren Tag an sich schon wenig erbaulich beginnen lässt. Im Verlauf dieses denkwürdigen Tages nämlich findet sie sich auch noch in der Story eines wenig talentierten Autors wieder. Ganz so, als würde er in seinem Skript ihr Leben beschreiben. Eine Kostümparty findet derweil ein seltsames Ende und eine junge, engagierte Lehrerin kommt einem schrecklichen Geheimnis in einer kleinen Gemeinde irgendwo in der norwegischen Einöde auf die Spur.
Während die Geschichte Eriks als Psychospiel einige drastische Wendungen nimmt und aus sich heraus bereits eine sehr unangenehme Atmosphäre erzeugt, die Schlusswendung der Episode ist quasi nur das Sahnehäubchen oben auf, läuft die Geschichte der jungen Lehrerin, «Die alte Schule», nach einem ganz klassischen Anthologie-Serien-Muster ab, bei dem die Schlusspointe letztlich die Geschichte trägt. Erfreulicherweise gibt es im Rahmen der Serie keinen einzigen Ausfall. Die Qualität der einzelnen Episoden schwankt zwischen nett und dementsprechend unterhaltsam - und wirklich gut
Rattenfalle
Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Serie trägt der norwegische Regisseur Geir Henning Hopland, der bereits «Lilyhammer» produziert hat – die erste Netflix-Eigenproduktion überhaupt. Hopland hat damit Seriengeschichte geschrieben, und ein verdammt guter Regisseur ist er auch noch, hat er doch den heimlichen Höhepunkt der kleinen Anthologieserie aus dem Hohen Norden inszeniert: Die «Rattenfalle». «Rattenfalle» ist ein Thriller ohne einen fantastischen Einschlag. Damit sticht sie eh schon etwas aus der Reihe hervor, aber Hopland liefert eine Geschichte ab, der es in ihren besten Momenten gelingt, den Zuschauern den Atem zu rauben. Und das mit dem Atem rauben, das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Eigentlich soll im Rahmen eines kleinen Abendessens die Entwicklung eines pharmazeutischen Prototypen gefeiert werden. Da sind der CEO, seine beiden Chefentwickler und drei weitere Mitarbeiterinnen aus dem direkten Umfeld von Edmund Bråthen, dem Gründer des Unternehmens - dessen Börsenwert nach der Vorstellung des Prototypen durch die Decke gehen sollte. Um es was sich bei diesem Prototypen handelt, ist ohne Belang. Der Prototyp ist ein so genannter MacGuffin, ein Gegenstand, der eine Handlung auslöst, ohne innerhalb der Handlung von einem besonderen Nutzen zu sein. Er ist halt einfach da. Oder auch nicht. Denn genau das passiert.
Der Prototyp verschwindet. Gestohlen kann ihn nur eine der anwesenden Personen haben. Was Edmund Bråthen seine Gäste spüren lässt. Kurzerhand lässt er sie in ein gläsernes Laboratorium einschließen – dem langsam die Luft entzogen wird. Eine Person ist in der Lage, die Eingeschlossenen zu retten: Der Dieb. Wenn der an den Prototypen gelangen konnte, muss er die Kombination kennen, mit der sich das Schloss des Labors von innen heraus öffnen lässt. Allerdings würde er sich dadurch natürlich selbst enttarnen.
Bestes Fast Food
Unterm Strich ist «Blutiger Trip» allerbeste Fast-Food-Unterhaltung. Es ist keine Serie für den Bingewatch-Marathon, die einzelnen Episoden sind – aufgrund ihrer Laufzeit von unter 30 Minuten pro Folge – eher schöne Absacker, um einen Tag pointiert auslaufen zu lassen, wobei die «Rattenfalle» einen echten Höhepunkt zu setzen versteht.
Was das Wesen der Anthologieserie ausmacht, lesen Sie auf der nächsten Seite.
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