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Die besten Anthologie-Serien

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Erleben wir gerade die Wiederauferstehung eines Genres? Bei TVNow ist derzeit die Neuauflage der klassischen Anthologie-Serie «The Twilight Zone» zu sehen. AppleTV+ hat «Amazing Stories» neu aufgelegt und eine ganz eigene Kreation bietet Netflix mit «Blutiger Trip».

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Qualität vs. Quantität


Der Erfolg von Hitchcock hat natürlich eine ganze Reihe von ähnlichen Formaten auf den Plan gerufen, von denen es die wenigstens jedoch auf mehr als eine Staffel brachten. Auch die Entstehung von «The Twilight Zone» wäre ohne Hitchcocks Vorarbeit kaum zustande gekommen. Der Unterschied: Wo Quantität vorherrschte, setzte Serling auf Qualität.

Ähnlich den amerikanischen Formaten á la «The Philco Television Playhouse» strahlte auch die BBC ab 1950 Anthologie-Formate in Großbritannien aus, auch diese wurden anfangs vor allem live aufgeführt, sodass, wie leider auch in den USA, kaum Episoden der Nachwelt erhalten geblieben sind.



Das Revival


Der Boom der Anthologieserien ebbte etwa Mitte der 1960er Jahre in den USA ab. Ganz verschwand sie nicht, aber erst in den 1980ern kehrte sie mit Wucht auf die Bildschirme zurück. Hervorzuheben seien vier Formate. «The Hitchhiker», der 1983 erstmals auf Wanderschaft ging. «Twilight Zone», die 1985 eine Wiederauferstehung feierte. Spielberg versuchte sich mit seiner eigenen Schattenwelt-Reihe «Amazing Stories». Und 1989 öffneten sich die Tore der «Tales from the Crypt» (dt.: «Geschichten aus der Gruft».

«The Hitchhiker» war eine so genannte Syndication-Serie, die nicht von einem amerikanischen Network produziert wurde, sondern für den freien Markt (sprich für unabhängige amerikanische TV-Station). Recht kostengünstig in Kanada zum Teil mit französischem Geld heruntergekurbelt, ist es ein Anhalter, der von Stadt zu Stadt reist und die nun kommende – unheimliche – Geschichte ankündigt. Trotz der unübersehbaren Mängel in der Produktion (man darf die Serie auch billig nennen), war sie ein Verkaufshits und damit sicher auch der Türöffner für die von Steven Spielberg produzierten Serie «Amazing Stories» («dt.: [[Unglaubliche Geschichten»), die 1985 startete. Spielberg wollte ursprünglich «The Twilight Zone» neu auflegen, erhielt aber die Rechte nicht und entschied sich dann für eine eigene Konkurrenzserie. Um gnadenlos zu scheitern – obschon er wahrlich nicht kleckerte. Spielberg bot dem Publikum zum Teil Kinoschauwerte in einer Zeit, in der das Fernsehen eben “nur Fernsehen” war. Ob Spezialeffekte, Kamera, Ausstattung: Das war alles ziemlich edel. In Europa kam der Zusammenschnitt der ersten Episoden sogar ins Kino.



Und dennoch beging Spielberg einen unerwarteten Fehler: Er setzte anfangs auf familienfreundliche Geschichten. Seine Magie, mit der er das Kino der 1980er Jahre beherrschte, ließ im Fernsehen allerdings keine Funken fliegen und konnte sich gegen die Original-«Twilight Zone» nicht durchsetzen. «The Twilight Zone» wurde zwar “kostengünstig” heruntergekurbelt – auf Videomaterial, meist in einfachen Studiokulissen. Aber sie bot, wie die Mutterserie, fast immer unerwartete, böse, sarkastische Pointen und griff auch gesellschaftlich relevante Gegenwartsthemen auf. Selbst als Spielberg sein privates Telefonbuch öffnete und Regiegiganten wie Martin Scorsese und Clint Eastwood kurzfristig an Bord der «Amazing Stories» holte, konnten selbst die seine Serie nicht retten. Zwei Staffeln entstanden, was jedoch vor allem dem internationalen Lizenzverkauf zu verdanken ist.

«Tales from the Crypt» konnte schließlich nicht nur eine unfassbare Produzentenriege mit Richard Donner («Lethal Weapon», «Superman»), Walter Hill («Nur 48 Stunden», «Red Heat»), Robert Zemeckis («Zurück in die Zukunft») und Joel Silver (Produzent von «Lethal Weapon», «Stirb langsam», «Phantom-Kommando») vorweisen – die illustre Herrenrunde produzierte die Serie außerdem für HBO. Um 1990 herum startete HBO durch, sich auch als Serien- und Spielfilmproduzent zu etablieren. Bis 1990 beherrschten mit ABC, CBS und NBC drei Senderketten die US-Fernsehlandschaft. Als Bezahlsender auf Abonnenten angewiesen, musste HBO also den Zuschauer zwingend das bieten, was ihnen das normale Fernsehen nicht bot. Und da im normalen TV Nacktheit oder explizite Gewaltdarstellungen nicht gestattet waren – konnte HBO hier punkten. In der Art der Inszenierung orientierten sich die Macher an typischen Horrorfilmen der VHS-Videozeit – nur in einer komprimierten Fassung.

Die 1990er


Im Zuge des Erfolges von «Akte X» legten kanadische Produzenten 1995 die Serie «Outer Limits» neu auf. Basierend auf einem «Twilight Zone»-Klon aus den 1960er Jahren, brachte es die Serie auf erstaunliche sieben Staffeln, da sie im internationalen Verkauf höchst erfolgreich lief. Ebenfalls sehr kostengünstig in der kanadischen Provinz entstand «X-Factor: Das Unfassbare». Der Clou der zwischen 1998 und 2002 produzierten Serie: Jede Episode besteht aus drei Geschichten, von denen eine, wie der Moderator beteuert, wirklich geschehen ist. Jonathan Frakes war der Moderator, heute haben Gifs, die aus seiner Moderatorentätigkeit heraus entstanden sind, Kultcharakter. Dass er seinerzeit kurzfristig für James Brolin die Rolle des Moderators übernahm, da der nach der ersten Staffel ausstieg, ist heute fast vergessen.

Ausgerechnet eine weitere Auflage der «Twilight Zone» sollte das Genre der Anthologieserie 2002 zu Grabe tragen sollte. Obschon mit Forest Whitaker ein lupenreiner Hollywood-Star als Erzähler gewonnen werden konnte, scheiterte die Serie grandios. Warum?

Zum einen profitierten «Outer Limits» oder «X-Factor» vom «Akte X»-Hype. Der allerdings war 2002 definitiv vorüber. Und sicher scheiterte «Twilight Zone» auch am Syndication-Look kanadischer B-Produktionen. Außerdem begann ein Wandel im Erzählen von TV-Geschichten. Weg von in sich abgeschlossenen Geschichten hin zum horizontalen Erzählen, wie es heute die Regel ist. Zwar befand sich dieser Wandel noch in der Frühphase, doch es war zu erkennen, dass sich etwas in der TV-Serienwelt verändern würde.

Wiederauferstehung


Am 4. Dezember 2011 strahlte Channel 4 in Großbritannien die erste Episode von «Black Mirror» aus. Autor Charlie Brooker erzählt Geschichten aus einer nicht näher definierten – hochtechnologisierten Zukunft – und hält der Gegenwart damit einen schwarzen Spiegel vor. Immer wieder auftauchende Symbole oder technologische Gimmicks deuten zwar an, dass die meisten Episoden in einem Universum spielen sollen, davon abgesehen hält sich die britische Produktion an die Erzählmuster der Anthologieserie. Wahrscheinlich hätte «Black Mirror» kaum mehr als ein kurzes Aufblinken der Anthologieserie dargestellt, wäre 2015 nicht Netflix in die Produktion eingestiegen. Aufgrund eher lauer Quoten stand die Serie bei Channel 4 nämlich bereits auf der Abschussliste; Netflix hat die Serie nicht nur gerettet, sondern zu einem weltweiten Hit gemacht.



Und nun sind sie plötzlich wieder da. «Blutiger Trip», «Twilight Zone» (mehr dazu hier), «Amazing Stories», «Philip K. Dick's Electric Dreams», «Dimension 404», «Love, Death & Robots» (mehr hier).

Eine Ausnahme stellt «Tales from the Loop» dar, die eine eigene Welt erschafft, in der einerseits eine horizontal erzählte Geschichte alle Episoden verknüpft, um gleichzeitig in dieser Welt in sich abgeschlossene Solo-Geschichten zu erzählen. Damit bleibt «Tales from the Loop» jedoch eine Ausnahme, es überwiegen in den anderen Formaten die reine Lehre und klassische Erzählmuster.

Warum?


Es lässt sich nur vermuten, doch wir leben in einem Goldenen TV-Zeitalter, in dem die nächste große Serie, das nächste große Event immer nur einen Klick entfernt darauf wartet, entdeckt zu werden. Netflix, Amazon, aber auch Sky, HBO, Disney+, Starz, Hulu, die BBC, sie alle hauen eine Großproduktion nach der anderen auf den Markt. Serien vollgepackt mit Ideen, Stars, Action, Effekten, allesamt edel ausgestattet, und, und, und... Doch wenn jeden Tag ein Essen in einem Fünf-Sterne-Restaurant ansteht – braucht es von Zeit zu Zeit einfach die Pommes Currywurst. Da kommt die Anthologieserie ins Spiel. Auf den Punkt inszeniert bietet sie (in der Regel) in 30 Minuten eine in sich abgeschlossene Geschichte, einen Minispielfilm, der auf eine fast schon entspannte Art und Weise das Tempo des Konsums entschleunigt. Eine Episode = eine abgeschlossene Geschichte. Und hat mir als Zuschauer der Rahmen, in dem sich diese Geschichte bewegt, gefallen (die Schattenwelt), dann kann ich jederzeit in dieses Erzähluniversum zurückkehren. Kein Bingewatching. Kein Druck. Einfach interessante Geschichten. Kurz und knackig erzählt.


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