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Normalerweise hätten die zahllosen Popkulturbegeisterten viel weniger Zeit, um sich jede der bisherigen Phasen, in die das Marvel Cinemtaic Universe eingeteilt wird, noch einmal in aller Ruhe in Erinnerung zu rufen und nostalgisch zu werden. Ohne die Pandemie-bedingten Kinoschließungen und Release-Verschiebungen hätte DCs großer Konkurrent nämlich mutmaßlich längst sehr viel Geld mit «Black Widow» verdient, der nachgereichten Vorgeschichte der titelgebenden Heroin mit einer Vergangenheit als Agentin. Voraussichtlich wird diese Origin-Story nun am 5. November veröffentlicht, an dem Termin, an dem ursprünglich all die Freunde von Comic-Adaptionen entweder ein Wiedersehen mit den Eternals gefeiert oder erstmals Bekanntschaft mit einer der unterschätztesten Familien der Marvel-Historie gemacht hätten.
Der letzte, diese Geschichte von epischem Ausmaß vorantreibende Abendfüller stammt folglich aus dem Juli 2019: «Spider-Man: Far From Home». Dieser einerseits das zweite Kapitel aus dem Leben des dritten Leinwand-Peter und darüber hinaus eine Art Epilog zu «Avengers: Endgame» beziehungsweise zu der gesamten Infinity-Saga darstellende Streifen endete bekanntermaßen mit einer der spektakulärsten Post- respektive Mid-Credits-Scenes überhaupt. Seit der Entertainmentgigant dieses Element zum Markenzeichen seiner Abspänne erhoben hat, dürften die Treuesten der Treuen selten so viel Redebedarf gehabt haben wie nach diesen wenigen Minuten. Dass nur kurze Zeit später ein anderes (diesen Film betreffendes) Thema noch größer werden würde, war daher in dieser Form nicht zu erwarten gewesen.
Doch die vorläufige Ankündigung, dass Marvel und Sony ihre Zusammenarbeit in Bezug auf künftige Einsätze des beliebten „Wandkrabblers“ beenden würden, war nichts anderes als ein riesiger Schock für alle, die Tom Hollands Interpretation der „freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft“ in ihr Herz geschlossen hatten. Nicht zuletzt der wunderbaren Chemie zwischen ihm und Robert Downey Jr. ist es zu verdanken, dass es sich so anfühlt, als würde „Spidey“ quasi stellvertretend für das Publikum in seinem Prequel, das den „Teenager“ nach Europa führt, auf angemessene und sehr emotionale Weise von Iron Man alias Tony Stark Abschied nehmen. Erst dadurch konnte aus dem wehmütigen Blick zurück ein in die Zukunft gerichteter werden. Und so spannend es schon immer war, sich zu fragen, welche Richtung Kevin Feige, der Kopf des Marvel-Kreativapparats, und die für Regie und Drehbuch Zuständigen einschlagen würden und wie sie diesen fiktionalen Ausnahmekosmos weiterentwickeln würden, so spannend wie aktuell war es wahrscheinlich noch nie.
Schließlich werden die Karten in der nun startenden Phase 4 nicht einfach nur neu gemischt, es kommen gleichzeitig unzählige neue hinzu und (um im Bild zu bleiben) die Regeln des Spiels dürften sich darüber hinaus ebenfalls deutlich verändern. Eine nicht ganz unbedeutende Rolle wird in diesem Zusammenhang Disney+ spielen: Wer weiterhin über alles, was im MCU geschieht, auf dem Laufenden bleiben will, der wird in Zukunft nicht mehr auf den im November 2019 zunächst in den USA und einigen anderen Ländern gelaunchten und seit März unter anderem auch in Deutschland gestarteten Streamingdienst verzichten können. Denn mittel- und langfristig sollen neben den zahlreichen Zeichentrickklassikern nicht nur jede Menge neue «Star Wars»-, sondern vor allem auch diverse Marvel-Titel für konstant steigende Abonnentenzahlen sorgen. Und gerade diejenigen, die dem Video-on-Demand-Angebot momentan noch sehr skeptisch gegenüberstehen, dürften sich vermutlich bald verwundert die Augen reiben.
All jene, die sich etwas besser in der Welt der Sprechblasen und Panels auskennen, können zumindest erahnen, dass das berühmteste große „M" der Unterhaltungsbranche einmal mehr beweisen wird, dass bis zu einem gewissen Grad Erfolg eben doch planbar ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sehr vielen Menschen zu diesen Zeitpunkt nicht einmal im Ansatz bewusst ist, dass sie bald Fans von Heldinnen und Helden sein werden, von denen sie bis jetzt noch nie auch nur das Geringste gehört hatten, ist sehr hoch. Warum? Weil es in diesem Universum nie anders war. Viele haben dies nur längst vergessen, weil die Marke „Avengers“ mittlerweile eine Strahlkraft erreicht hat, die ihresgleichen sucht. Dabei gilt es aber, wie bereits angedeutet, Folgendes zu bedenken: Iron Man, Captain America, Thor & Co. waren ursprünglich der breiten (globalen) Mehrheit kein Begriff. Selbst Comic-Leser, die vielleicht nicht zu denen gehören, die seit frühster Kindheit so ziemlich alles „verschlingen“, was Marvel und DC herausbringen, die sich allerdings regelmäßig mit neuen Heften eindecken, kannten das Gros des Kernteams nur dem Namen nach. Macht man sich dies bewusst, kommt man zu der Erkenntnis, dass die Leistung von Feige und all jenen, mit denen er im Laufe der Jahre zusammengearbeitet hat, eigentlich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Ebenfalls Erwähnung finden sollte in diesem Kontext jedoch auch, dass diese „It’s-all-connected“-Idee nicht vom Himmel gefallen ist. In der Vergangenheit hatte Marvel seine Beschützter des Planeten oft von anderen Studios in die weltweiten Lichtspielhäuser bringen lassen – von Studios, deren Bosse im Übrigen inzwischen nahezu alle selbst darum bemüht sind, ihre eigenen „Properties“ ebenfalls cineastisch zu verbinden. Mit einigen Umsetzungen war man mehr, mit anderen weniger zufrieden – hinsichtlich des Inhalts und/oder der Einspielergebnisse. Hinzu kam, dass die „Kreativschmiede“ etwa bei der ersten «X-Men»- und Sam Raimis «Spider-Man»-Trilogie, die den Grundstein für den modernen Superheldenhype, der bis heute andauert, legten, als Lizenzgeber wohl nur ein verhältnismäßig kleines Stück vom „Einnahmekuchen“ erhielten. Die naheliegende Lösung: Man verließ sich nicht mehr auf andere, sondern vertraute von nun an auf die eigene Expertise, und damit schlug die große Stunde eines neuen Players am Markt: Marvel Studios. Um den weltweiten Vertrieb der ersten Abenteuer von Iron Man, Captain America (Chris Evans) und Thor (Chris Hemsworth) kümmerte sich zunächst zwar noch Paramount, doch die kreative Kontrolle lag bei dem „House of Ideas“, das seinem Namen alle Ehre machte.
Die ersten Drehbücher waren gefühlte Verneigungen vor der ruhmreichen Historie des Kultverlags, der viele Jahrzehnte maßgeblich von Starautor Stan Lee (bis zu seinem Tod und durch vorabgedrehte Szenen gar darüber hinaus mit massenhaft charmanten Cameos in Marvel-Streifen) und Zeichnerlegenden wie Steve Ditko oder Jack Kirby geprägt wurde. Die Genannten kreierten nicht nur einen Großteil der populärsten Weltenretter aus dem Hause Marvel, sondern auch viele ihrer Gegenspieler und zahllose Nebenfiguren. Und die ersten Movies, die man realisierte und die allesamt Origin-Storys waren, ließen keine Zweifel daran aufkommen, dass hier Leute am Werk waren, die sich intensiv mit dem „Source Material“ beschäftigt hatten und deren Anspruch es zweifellos auch war, diesem gerecht zu werden. Die unzähligen „Easter Eggs“, an denen sich zunächst vornehmlich die Comic- und nach und nach sämtliche Genereliebhaber erfreut haben beziehungsweise weiterhin erfreuen, zeugen davon. Eine Menge wirkte schlicht stimmig und man ist geneigt, zu entgegnen: „Kein Wunder, wenn das Erzählte auf einem solch reichhaltigen Fundament fußt.“
Diese Strategie ist aber auch schlicht Ausdruck des Vertrauens aller Beteiligten in die Charaktere selbst. Insbesondere die durchaus riskante Entscheidung, alles auf die Karte Iron Man zu setzen, sollte sich – in der Retrospektive – als wahrer Glücksfall erweisen. An der man allerdings auch gut erklären kann, dass jeder einzelne Schritt nie losgelöst, sondern als Teil eines sehr durchdachten, ganzheitlich angelegten Konzeptes betrachtet werden muss. Denn ja, die Rüstung, der Name, das Setting, die garantierte Action, all das sind Gründe, die das Lösen eines Kinotickets wahrscheinlicher machen, doch ein Robert Downey Jr., der maximal Spaß an der Sache zu haben scheint, ist im Vergleich bestimmt das gewichtigere „Kartenkauf-Argument“. Wobei diese Personalie keinesfalls unumstritten war: Die Verpflichtung des Schauspielers, dessen Karriere lange nicht unbedingt linear verlief und durch diverse Aufs und Abs gekennzeichnet war, konnte nur zustande kommen, weil allen voran Regisseur Jon Favreau sehr für seine Wunschbesetzung gekämpft hatte. Man darf eben eines nicht vergessen: Marvel Studios war zwar aus Marvel Productions hervorgegangen, jedoch trotzdem noch lange kein „Big Player“. Wäre «Iron Man» nicht der Hit geworden, der er schlussendlich geworden ist, hätte der „Masterplan“ sehr schnell wieder in der sprichwörtlichen Tonne landen können. Und ob es zu dem nur wenige Monate danach über die Bühne gegangenen Disney-Deal überhaupt gekommen wäre – zumindest zu den damaligen Konditionen – darf durchaus angezweifelt werden.
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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
31.05.2020 23:44 Uhr 1
Aber zumindest in meinem Fall könnte der Schuss nach hinten losgehen.. Mir ist nämlich dieses "hier noch ein neuer streaming-dienst" und "dort noch ein abo" langsam ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass es ins Geld geht, verschiedene Dienste zu abonnieren. Man kommt ja auch mit dem Angebot gar nicht mehr hinterher, es zu konsumieren.
Heisst für mich: Disney+ werd ich definitiv nicht abonnieren. Und wenn ich dann aber das Gefühl habe, dass ich "außen vor", weil ich dadurch etwas vom MCU verpasse, könnte das dazu führen, dass ich künftig auch an den Kino-Filmen das Interesse verliere und mir diese dann mittel- und langfristig gar nicht mehr ansehe.
Somit wäre Disney's Schuss zumindest bei mir nach hinten losgegangen.
02.06.2020 10:47 Uhr 2
Black Window z.B. interessiert mich gar nicht, ich fand Scarlett Johansson als Black Window auch am wenigsten interessant von allen Helden. Ich brauche auch nicht unbedingt noch einen weiteren Guardians Film.
Ja, ich werde die irgendwann wahrscheinlich schon mal sehen, wenn ich mir z.B. mal einen Monat Disney testweise buche, aber kann durchaus Jahre dauern.
Ich glaube, da bin ich nicht komplett alleine mit dieser Einstellung, zumindest in meiner Altersgruppe "Hab Star Wars EP3 noch im Kino gesehen" . Disney wird jetzt versuchen, die jungen Leute verstärkt abzuholen und einen ähnlichen Zyklus wieder herzustellen.