Der Plot auf der Briefmarke
Nicht, dass «Betaal», so der Originaltitel, unbedingt eine Offenbarung wäre. Der Plot ist schnell erzählt und passt auf die sprichwörtliche Briefmarke. Die korrupte Leiterin einer indischen Spezialeinheit missbraucht ihre Macht, um im Hinterland Dorfbewohner abzuschlachten, um an deren Land zu kommen. Als sie mit einem skrupellosen Beamten wieder einmal ein Dorf „umsiedelt“, weckt sie einen bösen Geist, dessen Zombiearmee daraufhin erwacht und die Einheit Schritt für Schritt dezimiert, bis es zum großen Showdown kommt. Damit hat es sich im Großen und Ganzen auch schon. Allerdings gibt sich Graham, der übrigens der einzige westliche Drehbuchautor und Regisseur ist, der in der Hindi-Filmindustrie produziert, durchaus ein wenig selbstironisch. So entpuppen sich die Zombies beispielsweise als britische Kolonialsoldaten, die von Gier getrieben im 19. Jahrhundert einem Fluch zum Opfer gefallen sind. Gerne fallen da mal Sätze in der Richtung von: „Ihr habt unser Land gestohlen, ihr habt unsere Bodenschätze gestohlen, und jetzt stehlt ihr uns auch noch unsere Götter.“ Richtig witzig wird es sogar, wenn Graham seine Hauptfigur Vikram Sirohi (Viineet Kumar) mit einer uralten Kanone auf die untoten Rotröcke schießen lässt und ihm dabei die Worte: „Ich zeig euch, was ein richtig harter Brexit ist, ihr Scheißkerle“ in den Mund legt. Interessant ist ferner die Thematisierung des Naxaliten-Konflikts, der Indien seit Jahrzehnten erschüttert. Unter dem Begriff Naxaliten werden linksradikale, meist maoistische Rebellengruppen zusammengefasst, die auch heute noch große Teile Ostindiens in Unruheherde verwandeln.
Gute Ansätze mit ein paar kleinen Abstrichen
Die beiden großen indischen Traumata sind noch lange nicht überwunden und haben sich fest in die Seelen der Menschen des Landes eingebrannt. Nun könnte man «Vetala» vorwerfen, viel zu wenig in die Tiefe zu gehen. Sowohl die brutale Unterdrückungsherrschaft der Briten, als auch die naxalitischen Gewaltausbrüche und die damit verbundenen illegalen Racheaktionen der indischen Armee werden nur am Rande gestreift. Beides dient letztendlich lediglich als Aufhänger für einen schlichten, vierteiligen Horrorfilm. Allerdings ist eine derartige Vorgehensweise gerade im Horror-Genre nicht unüblich und es wäre unfair, hier mit zweierlei Maß zu messen. Denn in erster Linie will «Vetala» unterhalten und das gelingt über weite Strecken recht gut. Graham bevorzugt eine klassische Kameraführung, schnelle Schnitte und typische Elemente wie flackernde Lichter, Nebel und Dunkelheit, um seine Zombies in Szene zu setzen. Auch der Score reiht sich nahtlos in die Geschichte hunderter Horror-Movies ein und passt hervorragend. Das alles ist grundsolide produziert und unterhaltsam umgesetzt. Man merkt einfach, dass das Produktionsteam seine Hausaufgaben gemacht hat. Ein paar Abstriche muss man allerdings dennoch hinnehmen. Der Gore-Faktor ist zwar hoch und es wird gesplattert, was die Reißzähne hergeben. Explizite Gewaltdarstellungen bekommt man aber dennoch nicht wirklich zu sehen. Das muntere Zerfetzen, Zerhacken und Verbrennen von Toten und Untoten lässt sich in den allermeisten Fällen nur erahnen. Es mag sein, dass dieser Stil auf indische Zuschauerbedürfnisse zugeschnitten ist, für westliche Fans könnte eine derartige Zurückhaltung in Zeiten von «The Walking Dead» und Co allerdings etwas zu wenig sein.
Go Zombie, go!
Ein ähnliches Resümee lässt sich über das Makeup Departement zieht. In mancher Hinsicht leisten Chief Makeup Artist Kiran Kamble und seine Prosthetic Designer gute Arbeit, doch ausgerechnet den Zombies sieht man das geringe Serienbudget zu sehr an. Davon abgesehen, dass die lebenden Leichen sowieso etwas zu oft damit beschäftigt sind, an Toren und Gittern zu rütteln, trübt diese Tatsache zusätzlich ein wenig den wohligen Gänsehautgenuss, der zu einem gelungenen Gruselabend beiträgt. Eine Folge weniger hätte der Miniserie an dieser Stelle sichtlich gutgetan, zumal der Horror auf diese Weise manchmal repetitiv wirkt und sein Ziel verfehlt. Dies ist zwar ein wenig schade, soll aber bitte niemanden abhalten, selbst einen Blick zu riskieren.
Fazit: «Vetala» ist sicherlich nichts Besonderes und die Miniserie hat zweifelsohne ihre Fehler. Für einen unterhaltsamen Abend reicht die indische Serienkost allerdings allemal. Vor allem die ersten beiden Teile sind kurzweilig und entführen den Zuschauer in eine Welt Indiens abseits der knallbunten Bollywood-Romantik eines Shah Rukh Khan. Die Zombies als untote kolonialbritische Streitmacht auftreten zu lassen ist witzig und entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie. Das Ende wartet mit einer gelungenen Allegorie auf das Trauma der über ein Jahrhundert währenden Kolonialzeit auf dem indischen Subkontinent auf. Ob das Hintertürchen, dass sich Graham für eine zweite Staffel lässt, geöffnet wird und uns eine Fortsetzung beschert, bleibt abzuwarten.
Wer «Vetala» genießen möchte, muss dies übrigens in Englisch, oder Hindi mit deutschen Untertiteln tun. Es ist fraglich, ob die Serie jemals synchronisiert wird. Selbst Serien wie «3%», die sich in Deutschland inzwischen eine treue Fangemeinde erarbeitet haben, müssen bis heute ohne deutsche Synchronsprecher auskommen.
«Vetala» kann auf Netflix gestreamt werden.
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