Die Kritiker

«The Last Days of American Crime» - Neues vom Netflix-Bodensatz

von   |  2 Kommentare

Die Ausgangslage klingt ein wenig wie die der «The Purge»-Filme. Da ist es fast konsequent, dass das Netflix-Original «The Last Days of American Crime» ziemlich ähnliche Probleme aufweist.

«The Last Days of American Crime»

  • VÖ: Netflix
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 148 Min.
  • Genre: Action/Thriller
  • Kamera: Daniel Aranyó
  • Musik: The Limiñanas, David Menke
  • Drehbuch: Karl Gajdusek
  • Regie: Olivier Megaton
  • Darsteller: Neels Clasen, Edgar Ramírez, Sharlto Copley, Tony Caprari, Kate Normington, Daniel Fox, Sean Cameron Michael
  • OT: The Last Days of American Crime (USA 2020)
Im Jahr 2013 punktete Regisseur und Drehbuchautor James DeMonaco mit einer hervorragenden Filmidee: In seiner mittlerweile auf vier Filme angewachsenen Reihe «The Purge» exerzierte er das zynische Szenario einer einmal jährlich stattfindenden „Säuberung“ durch, in der es den US-amerikanischen Bürgern ermöglicht wird, 24 Stunden lang Verbrechen – einschließlich Mord – zu begehen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Die politische Idee dahinter: Wer einmal im Jahr die Erlaubnis erhält, all seine angestaute Wut herauszulassen, der verzichtet die weiteren 364 Tage darauf, Verbrechen zu begehen. Leider wurde diese per se hochspannende Grundlage einem mehr als durchschnittlichen Home-Invasion-Plot geopfert. Erst mit der Zeit eröffneten sich in weiteren Filmen die ganzen Dimensionen der Prämisse. Und so gehört die «The Purge»-Reihe zu den ganz wenigen Franchises, deren Qualität von Film zu Film zunimmt.

Die Netflix-Produktion «The Last Days of American Crime» von «96 Hours 2 und 3»-Regisseur Olivier Megaton, basierend auf der gleichnamigen Graphic Novel von Rick Remender, widmet sich nun ebenfalls einer brachialen Art der Verbrechensbekämpfung: Ein akustisches Signal soll die menschlichen Gehirnströme so manipulieren, dass ihnen das Begehen von Straftaten nicht mehr möglich ist. Gut für die Verbrechensstatistik, sehr schlecht für den freien Willen.



Die Gewalt im Keim ersticken


In einem letzten Gegenschlag gegen Terrorismus und Verbrechen in ihrem Land plant die US-Regierung, ein Signal auszustrahlen, dass es den Menschen unmöglich macht, rechtswidrige Handlungen durchzuführen. Graham Bricke (Édgar Ramírez), ein mäßig erfolgreicher Berufsverbrecher, schließt sich mit dem berühmten Gangsterabkömmling Kevin Cash (Michael Pitt) und der Untergrundhackerin Shelby Dupree (Anna Brewster) zusammen, um den größten Coup des Jahrhunderts durchzuführen – und damit das letzte Verbrechen in der Geschichte der USA, bevor das Signal aktiviert wird.

Der Vergleich zwischen «The Purge» und «The Last Days of American Crime» – zeitlich gesehen entstand die Vorlage zu letzterem sogar vier Jahre vor seinem vermeintlichen Vorbild – liegt vor allem deshalb so nahe, weil sich bei beiden Filmen sehr ähnliche Schwächen ausmachen lassen. Im erzählerischen Raum steht eine hoch interessante, zwischen Realität und Dystopie befindliche Weltenbildung, deren Bilder aus Gewalt, Gegengewalt und Plünderei nicht zuletzt an die aktuell um die Welt gehenden Nachrichtenbilder aus den USA erinnern. Die eigentlich im Mittelpunkt stehende Geschichte rund um einen Bankraub fällt im Vergleich zur Prämisse dann aber doch weitgehend unspektakulär aus und lässt auf lange Sicht sogar vergessen, dass in der Filmwelt in wenigen Tagen ein Umbruch innerhalb der US-amerikanischen Bevölkerung bevorsteht.

Drehbuchautor Karl Gajdusek («Oblivion») spielt seine zahlreichen Trümpfe einfach nicht aus, verzichtet mit Ausnahme der ersten 15 Minuten darauf, die angespannte Lage in den USA auszubreiten und schreibt seinen Charakteren stattdessen eine austauschbare Heist-Story auf den Leib, die sich ebenso gut auch in der Realität abspielen könnte. Tonal erinnert «The Last Days of American Crime» dadurch eher an so missratene Testosteron-Schleudern wie „Criminal Squad“ (Hauptdarsteller Edgar Ramírez sieht auf den ersten Blick sogar ein wenig aus wie Gerard Butler) denn an die zahlreichen pessimistischen Zukunftsfantasien à la «Captive State», die Hollywood in den letzten Jahren ins (Heim-)Kino gebracht hat.

Zwischen «Criminal Squad» und «The Purge»


Die Parallelen zwischen «Criminal Squad» und «The Last Days of American Crime» lassen sich indes vor allem an zwei Dingen festmachen: Da ist zum einen die beinharte Inszenierung. Der Film beginnt mit einer Szene, in der die Hauptfigur Graham Bricke einen gefesselten Mann mit Diesel (der brennt länger als Benzin!) übergießt und ihm anschließend eine Zigarre in den Mund steckt. Er stellt ihm in Aussicht, das nichts passieren würde, solange er die Zigarre gefahrlos bis zu Ende aufrauchen würde. Eine fast schon an die sadistischen Killerspiele von «Saw»-Bösewicht Jigsaw erinnernde Aufgabe, die natürlich niemand bestehen kann. Bevor der Tatort wenig später explodiert, zoomt die Kamera aber erst einmal heraus, damit der Zuschauer das komplette Ausmaß des diesem Szenario vorausgegangenen Überfalls sehen kann: An den Wänden kleben Unmengen an Blut, zwei Männer wurden übel hingerichtet – die Altersfreigabe ab 16 wirkt zumindest in dieser Szene milde, auch wenn sie bis zum Schluss des Films eine von nur wenigen Gewaltspitzen bleibt.

Die solide inszenierten, hin und wieder allerdings unter der arg wackeligen Kameraarbeit von Daniel Aranyó («The Crucifixion») leidenden Actionszenen haben ordentlich Wumms. Vieles wirkt handgemacht, die Lust am Exzess kann sich durch die an den Tag gelegte Hektik aber nur selten entfalten. Immerhin hält sich der Einsatz von CGI in Grenzen, weshalb das Szenario zwischendurch immer wieder eine Atmosphäre erreicht, die bedrohlicher ist, als es die High-Concept-Prämisse sonst zulässt. Der B-Movie-Charme (oder eben Nicht-Charme) ist einfach unverkennbar.

Wer indes so gar keinen Charme aufweist, sind die Figuren. Und so fällt es über die viel zu langen zweieinhalb (!) Stunden allzu schwer, sich dauerhaft für die Belange der Verbrecher zu interessieren. Das liegt nicht nur daran, dass die Story viel zu wenig Fleisch besitzt, um eine derartige Laufzeit zu rechtfertigen. Dialoge wie „Man merkt den Unterschied [zwischen Falschgeld und echtem Geld] nur, wenn man es verbrennt. Also zünd‘ dir mit dem Schein nicht deine Kippen an.“ versehen zudem sämtliche Charaktere in «The Last Days of American Crime» mit einer bisweilen unerträglichen Macho-Attitüde, die jedwede Empathie für sie im Keim erstickt. Einziger emotionaler Haltegriff sind die zwischendurch eingestreuten Momente rund um die der Gewalt hilflos gegenüberstehenden Polizisten; auch wenn das im Hinblick auf die aktuellen Geschehnisse in den USA zynischer wirkt als es beim Dreh vermutlich gemeint war.

Während Edgar Ramírez («Gold») den Film auf seinen Schultern zu tragen versucht, allerdings aufgrund seiner hier an den Tag gelegten, beschränkten mimischen Fähigkeiten daran scheitert, macht es immerhin Spaß, Michael C. Pitt («Criminal Activities») bei seiner völlig abgefahrenen Over-the-Top-Performance als Verbrecher-Exzentriker zuzuschauen. Doch leider kann auch er das liegen gelassene Potenzial der Prämisse sowie die lieblose Geschichte nicht ausgleichen – im Kino wäre «The Last Days of American Crime» mit großer Wahrscheinlichkeit ein Flop geworden.

Fazit


Viel Blut, ein halbwegs solides Handwerk, wenig Charme und trotz der interessanten Grundidee kaum neue Ideen – die Verfilmung der Graphic Novel «The Last Days of American Crime» gehört unter den jüngsten Netflix-Originalen in die Kategorie „belanglos“.

«The Last Days of American Crime» ist ab sofort bei Netflix streambar.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Flapwazzle
07.06.2020 11:16 Uhr 1
Wäre ja mal spannend zu wissen, ab wann der im Artikel erwähnte Film "Captive State" in Deutschland in irgendeiner Form verfügbar ist?! Ich warte da schon länger auf ein Release...
Sentinel2003
07.06.2020 16:26 Uhr 2
Also, ich habe gerade erst mir nochmals ALLE Purge Filme angesehen und finde diese großartig!!



Ob dann da dieser neue Netflix Film mithalten kann, muß man sehen....
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